Trottoir Online Magazin / Künstler und Eventattraktionen

--- Trottoir Admin Ebene ---

 
 
 
Trottoir Header
Suche im Trottoir

Kategorien Alle Jahrgänge




Admin Bereich K10


Artikel - gewählte Ausgabe
Meist gelesen
Statistik
  • Kategorien: 66
  • Artikel: 3588
  • Szenen Regionen :: Berlin

    [zurück]

    Aktuelle Kritik - Best of Offenes Wohnzimmer

    ... im Theater Verlängertes Wohnzimmer

    Von Wundertüten wird man meist irgendwie enttäuscht. Oft steht eine Sache, an der man sich freut, einem Vielfachen von Dingen entgegen, die man getrost vergessen kann. Mit offenen Bühnen verhält es sich ähnlich. Sie sind Wundertüten für das Publikum. Eine Wundertüte mit überdurchschnittlich hohem Freufaktor ist das „Offene Wohnzimmer“ im Theater Verlängertes Wohnzimmer im Hipster-Kiez Friedrichshain. Moderiert wird sie jeweils von Christian de la Motte, der eigentlich Close-Up-Zauberer ist und selbst erfolgreiche Soloshows bestreitet. Im Oktober präsentierte er für einmal eine Art „geschlossene“ Offene Bühne: Er lud nämlich seine Lieblingsacts des letzten Jahres zu einem Best Of ein. Und er hat nicht zuviel versprochen. Weil er sich selbst aufs Moderieren beschränkte, räumte er vor allem lässig und mit gutgelauntem Selbstbewusstsein Mikrofonständer vom Bühnenrand zur Bühnenmitte und zurück, während er entspannt mit den Zuschauern plauderte. Dass er mit ein paar zu vielen Applausübungen sehr tief in die Mottenkiste der Animationstricks griff, ist ihm verziehen, weil er zwischendurch wirklich lustig war.

    Das Programm, das er ausgewählt hat, ist vielfältig. Stand Upper Sebastian Nitsch überzeugte mit ein paar hübsch vorgetragenen Gedanken zum Thema „Haarkosmetik“ („Wenn eine Frau ein Shampoo kaufen will, muss sie im Supermarkt an 35 Regalmetern entlanggehen, um die für sie passende Beleidigung aussuchen – stumpfes Haar, glanzloses Haar, sprödes Haar, fettiges Haar“). Mit seinem Unschuldsgesicht erinnert Nitsch ein wenig an den frühen Oliver Pocher. Eine gute Regie würde ihm allerdings helfen, noch etwas mehr Zug in seine Nummern zu bringen. Die Wildcart war der britische Schauspieler und Komiker Marc Adams. Spröde bis zur völligen Introvertiertheit zeigte er zwei Kurznummern – eine romantische Szene mit einer Aufblaspuppe, bei der seine Figur erst im Laufe der Vertraulichkeiten festzustellen schien, dass es sich bei der Partnerin um Plastik handelte. Sowie nach der Pause eine wild grimassierende Gesangsnummer, die an groteskes Theater der 1920er Jahre erinnerte. Dennoch hinterließ der unterkühlte Adams die Zuschauer etwas verunsichert, weil er keine Anstalten machte, jenseits seiner Kunstfigur mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Damit hatte wiederum Eva Wunderbar, die einzige Frau des Abends, keine Mühe. Kulleräugig sang sie mit schönem Alt empfindsame Lieder zur Gitarre, bewarb charmant ihre neue CD und setzte dabei erfolgreich auf den Herzensbonus, den empfindsame junge Frauen mit schönen Singstimmen und Kulleraugen in der Welt ganz zu Recht genießen.

    artbild_250_DER_TOD___d2mbeSpätestens als die rätselhafte Comedy-Figur „Der Tod“ (Bild) auftrat, wurde der Abend auf der intimen, samtummantelten Bühne des Verlängerten Wohnzimmers dann aber sogar zu einem Best of the Best. Denn dieser Comedian, der in schwarzer Mönchskutte und unsichtbarem Gesicht mit lieblich zitternder Stimme und stark sächsischem Akzent Witze über das Sterben macht, gehört zum Besten, was gegenwärtig auf Comedybühnen zu sehen ist. „Der Tod“ ist tiefgängig, respektlos und tröstlich. Und manchmal angemessen albern. Er schafft es immer wieder, dem Publikum für einen Moment den Atem stocken zu lassen – weil es ganz ungewollt mit dem Tod über den Tod gelacht hat. Und das zu können ist ja bekanntlich eine Lektion fürs Leben.

    Der Besinnlichkeit den Garaus machte gleich darauf der Zaubercomedian Archie Clapp, für den der Begriff „Rampensau“ erfunden worden sein muss. Clapp, ansonsten selbst als Moderator einer offenen Bühne und mit Soloprogrammen erfolgreich, fegte über die Bühne, zeigte Zaubertricks und am Ende stand ungefähr ein Viertel des Publikums auf der Bühne,

    von Clapp zu einer Mitmachnummer verpflichtet und sich freudig von ihm den restlichen Zuschauern vorführen lassend.

    Darauf verzichtete zum Glück der letzte Künstler des Abends, Johnny Armstrong, der sich selbst als der „einzige dicke Hipster“ beschreibt. Doch eigentlich erinnert der Glatzkopf mit dem enormen, roten Bart eher an einen gutmütigen Riesen aus dem Märchen. Mit unschuldiger Miene, etwas stockend und immer wieder bezaubernd selbst über die Witze lachend, erzählte er mit seinem britischem Akzent eine Pointe nach der anderen bis die Lunte zündete und das Publikum angesichts des aus der Hüfte geschossenen Bombardements vor Lachen von den Stühlen fiel.

    Tod, Shampoo und Armstrongs Deutscher Schäferhund Klaus („Humorlos, voller Schuldgefühle, aber pünktlich“) – dieser Abend im Offenen Wohnzimmer war besser als eine Wundertüte. Er kam nämlich ganz ohne Nieten aus.


    Redaktion: Susann Sitzler


    Termine:

    Das „Offene Wohnzimmer“ im Theater Verlängertes Wohnzimmer findet an jedem ersten Dienstag im Monat statt. 

    2014-11-05 | Nr. 84 | Weitere Artikel von: Susann Sitzler