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    Aktuelle Kritik: Goethes dicke Hälfte

    Blutwurst mit Herz und Verstand

    Sabine Wackernagel lässt im Theaterstübchen, „Goethes dicke Hälfte“, lebendig werden.

    artbild_S._Wackernagel_al._Nein, die Weimarer gute Gesellschaft hat Christiane Vulpius nicht gut behandelt. Besonders die Damenwelt kommentierte die „Mesalliance“ zwischen dem Dichterfürsten Goethe und der kleinen Putzmacherin aus Bertuchs Blumenfabrik mit Häme. „Goethes dicke Hälfte“ hieß sie bei den Teekränzchen und Abendempfängen, wo ihr Erscheinen nicht erwünscht war. Und Bettina von Arnim beschimpfte sie, nach 18 Jahren „wilder Ehe“ endlich Frau Goethe geworden, gar als „wahnsinnige Blutwurst“. Derlei Details sind uns aus Christianes Tagebüchern und Briefen bekannt, einiges auch aus Goethes Antwortschreiben und Korrespondenzen mit Zeitgenossen. Sabine Wackernagel hat all diese Quellen gründlich studiert, sie dramaturgisch stimmig mit biographisch bedeutsamen dramatischen und lyrischen Elementen angereichert und alles zur höchst eindrücklichen Lebenserzählung einer höchst bemerkenswerten Frau verschmolzen.

    Mit dem Christiane gewidmeten Gedicht „Ich ging im Walde so vor mich hin“ taucht Sabine Wackernagel tief in die Vergangenheit ein. Lässt aus ihm ihre Vulpius den Zauber des Anfangs entwickeln, von dem sie lange gezehrt hat, wenn der Liebhaber, später Gatte, auf Reisen oder mit Höherem, bisweilen auch Niederem beschäftigt war. Weist mit verhohlenem Stolz auf ihre Berufstätigkeit hin, die der Weimarer Society ein Dorn im Auge war. Erzählt, leise Empörung mit einem Gran Abgeklärtheit, von deren Sottisen und Anfeindungen, denen Goethe selten Einhalt bot. Gibt Einblick in den Haushalt am Frauenplan, ganz allein Frauensache! Und deutet, auch hier durch die Blume respektive Poesie, an, dass sie um die erotischen Eskapaden ihres Liebsten wusste. Doch Wehklagen in Briefen sei ihm verhasst gewesen, so habe sie es vermieden. Er sollte es gut mit ihr haben...

    Wackernagels furioses Solo ist ein ungemein authentisch wirkendes Porträt einer lange Zeit verkannten Frau, die nicht nur ein großes Herz, sondern auch einen geschliffenen Verstand ihr eigen nannte. Man weiß nicht, was soll man mehr loben: die brillante Textfassung oder ihr anrührendes Spiel, das genau um den schmalen Grat zwischen Einfühlung und Gefühligkeit weiß. Großer Jubel für einen kostbaren Theaterabend. 

    Redaktion: Verena Joos

     

    2013-01-20 | Nr. 78 | Weitere Artikel von: Verena Joos