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  • Szenen Regionen :: Berlin

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    Berlin im Frühjahr – Ein Mix aus vielen guten Eindrücken



    Dieser Winter war auch in Berlin kein richtiger Winter. Er war irgendwo zwischen dunklem Spätherbst und kühlem Frühjahr angesiedelt. Deshalb soll der Blick des Berliner Berichterstatters auch einmal über die Stadtgrenze hinausführen, ins brandenburgische Cottbus. Dort fand zwischen dem 16. und 19. Januar das 19. Kabaretttreffen der Studiosi statt. EI(N)FÄLLE heißt die Veranstaltung. Die Künstler spielten an verschiedenen Orten der Stadt.

    Neben Solisten traten auch traditionelle Ensembles auf, wie das Prolästerrat für Studienungelegenheiten aus Magdeburg. Seit 1972 besteht die Truppe mit wechselndem Ensemble an der Otto-von-Guericke-Universität. Der Name entstand aus der Verballhornung des lange existierenden „Prorektorats für Studienangelegenheiten“. Beim Kabarettreffen spielte die aktuelle Besetzung: Drei Studentinnen, zwei Studenten und ein Pianist. Aus überwiegend studentischer Sicht brachten sie Ausschnitte aus dem brandneuen Programm „ErbGut“.

    Da sind die zwei Sanitäter, die sich um kollabierende Studenten im überfüllten Hörsaal kümmern müssen und gemeinsam mit der C-4-Professorin auf 450-€-Basis einen Drill-Song singen. „Mich haben sie zum Sozialamt gebracht – in die Rentnerklappe!“, jammert ein Mitglied des KRK, des „Komatösen Rheuma-Kommandos“. Der gekündigte Generationenvertrag spielt beim „Prolästerrat“ genauso eine Rolle, wie merkwürdige Werbekampagnen. „Mit jedem Gläschen Prosecco retten wir ein Stückchen Regenwald“, sagt eine der beiden Schnapsdrosseln, bevor sich beide in atemberaubenden Zusammenhängen zwischen Rauchen und Terror sowie Ökostrom und Rente verlieren. Hohe Musikalität, überzeugende Choreographie und gute Dramaturgie vervollkommnen den professionellen Eindruck, den das „Prolästerrat“ hinterlässt.

    artBild_400_Martin_BerkeAuch Solisten bieten die EI(N)FÄLLE eine Bühne. Da hat der Wahl-Chemnitzer Martin Berke, Jahrgang 1982, Bilanz gezogen: „4,72 Euro für 40 kg Studium“. Das war der Betrag, den er beim Altpapier-Händler für seine Papiere aus Studenten-Zeiten erhalten hat. Berke spielt seine solistische Erfahrung voll aus und resigniert: „Meine Generation wird keine Revolution machen, weil es dafür keine App fürs iPhone gibt.“ Er reflektiert schnell und scharf, zum Beispiel über den Mungo der Bundeswehr. Das ist ein umgebautes Multicar, eingesetzt als gepanzertes Mehrzweckfahrzeug. Berke schlußfolgert: „Unsere Bundeswehr fährt mit Müllfahrzeugen durch Afghanistan!“

    Er kann aber auch ganz leise und eindringlich. „Und plötzlich bin ich tot“ heißt die faszinierende Szene, die sein eigenes Ende beschreibt. Nur dumm im Bad ausgerutscht, verlässt er diese Welt. Ein nuschelnder Engel bringt ihn zur Himmelspforte, wo ihn Gott selbst empfängt - in Flip-Flops und Jogginghose! Das kann Martin Berke nicht auf sich sitzen lassen und beginnt mit Gott ein Streitgespräch über Reinkarnation mit Punktesystem. Voller Wendungen und Überraschungen steckt der Auftritt Martin Berkes. Anzunehmen, dass man ihm demnächst auch außerhalb der studentischen Szene begegnen wird.

    Neben den positiven Bühnenerlebnissen hat vor allem die freundschaftliche Atmosphäre das Kabaretttreffen EI(N)FÄLLE geprägt. Einen Wettbewerbscharakter hat die Veranstaltung nämlich nicht. Es ist eher eine stolze Leistungsschau, bei der die Künstler der vergangenen Stunde jetzt im Publikum sitzen und sich über die Ideen und die Spielfreude der Kollegen amüsieren. Offen und interessiert treffen Künstler und Publikum am späten Abend auf ein Glas im cabaret-nightclub zusammen, Musik und Tanz natürlich inbegriffen! Der Zeitraum 22. bis 25. Januar 2015 wird als Termin für die nächsten EI(N)FÄLLE schon in manchem Kalender notiert.

    ArtBild_300_Maulhelden_MNoch kürzere Auftritte als die 45 Minuten beim Cottbusser Kabaretttreffen bieten die verschiedenen Kabarett-Mix-Shows. Das Berliner Kabarett-Theater „Die Wühlmäuse“ hält sich jeden ersten Montag im Monat für eine Mix-Show frei: In ungeraden Monaten gibt es „7 auf einen Streich“ und in geraden Monaten wird seit Februar 2014 Der Blaue Montag wiederbelebt. (Bild:An jedem Blauen Montag mit dabei: das Blaue M.)









    artBild_200_Arnulf_Rating_0Diese Veranstaltung wurde zur Legende, als sie zwischen 2003 und 2006 jeden Montag stattfand. Arnulf Rating lud damals in die kleine Arena des Tempodroms und später ins Tipi am Kanzleramt. Er rief die Großen und groß werdenden zum Auftritt. Dass er damals den richtigen Riecher hatte, beweisen Künstler wie die O-Ton-Piraten, Anny Hartmann, Hagen Rether, Murat Topal, Bodo Wartke und viele, viele andere. Sie alle konnten sich mit neuen Ideen und Nummern dem Publikum vorstellen und sich ausprobieren.

    Das ist auch heute noch so. Arnulf Ratings ist bei seinen Einladungen zum Blauen Montag für viele Genres offen: Artistik, Magie, Chor- und Orchestermusik haben hier genauso Platz, wie Kabarett und Chanson. Da kann auch eine Nummer mit BMX-Rädern dabeisein oder ein Chor mit dutzenden Mitgliedern. „Die ganze Stadt in einer Show“ – Dieses Motto des Blauen Montags kann wörtlich genommen werden. Die nächsten Termine sind am 7. April, am 2. Juni und am 6. Oktober.

    In der Mix-Show „7 auf einen Streich“, die am ersten Montag der ungeraden Monate in den Wühlmäusen stattfindet, wird ein etwas anderes Konzept verfolgt. „Wir wollen mit dieser Veranstaltungsreihe vor allem die Genres Wortkabarett und Comedy fördern“, erklärt die Theaterleiterin der Wühlmäuse, Ulrike Schirrmacher. „Dazu laden wir einen Moderator und sechs Gäste ein, damit jeder etwa eine Viertelstunde spielen kann“, so Schirrmacher weiter. „Wir sagen den Künstlern: `Macht das, womit ihr Euch wohlfühlt!`“

    Seit Dezember 2006 funktioniert diese Veranstaltungsreihe mit wechselnden Gastgebern und Gästen. Da kann sich dann Henning Schmidtke ans Klavier setzen und über die „stalinistische Gleichmacherei“ bei den Casting-Shows herziehen: „Früher hatten wir Ilja, den Richter – heute haben wir Bohlen, den Henker!“ Oder der sehr junge Chris Tall berichtet aus den Tiefpunkten seiner erst vor kurzem beendeten schulischen Laufbahn. Nach ihm tritt dann Herr Schmied auf. Der Poetry Slammer, der auch als Lehrer sein Geld verdient, berichtet von einer einwöchigen Klassenfahrt mit 10-jährigen Schülern. Da gibt es Unruhe, Panik und Wahnsinn, aber Schüler und Lehrer mögen einander doch. Die nächsten Termine für „7 auf einen Streich“ sind 7. Mai, 7. Juli und ausnahmsweise am zweiten Montag, am 8. September.

    Auch die ufaFabrik im Berliner Ortsteil Tempelhof veranstaltet Mix-Shows. Seit mehreren Jahren werden hier „Kiezgeschichten – ein echt Berliner Mix“ erzählt. Ursprünglich sollte die Reihe sehr berlin-bezogen sein. Doch inzwischen hat man sich etwas geöffnet und lässt einen Berliner Künstler zwei Gäste einladen. Üblicherweise stehen dann zwei Wort- und ein Musikkünstler auf der Bühne.

    Im vergangenen Jahr wurde in der ufaFabrik der Große Theatersaal nach einem Umbau wiedereröffnet. Allein er ist schon einen Besuch wert! Bevor man den Saal mit seinen 260 Sitzplätzen betritt, schreitet man durch ein lichtdurchflutetes Foyer. Eine Bar sowie Tische und Stühle laden zum Verweilen ein. Der hölzerne Fußboden verbreitet einen kernigen Duft und die großen vollverglasten Türen eröffnen den Blick auf den Open-Air-Bereich der ufaFabrik.

    In den Kiezgeschichten selbst haben die drei Künstler Zeit, sich zu entfalten. Murat Topal moderierte jüngst und konnte mehrere Anekdoten aus seiner Zeit als Polizist im sozialen Brennpunkt Berlin-Neukölln erzählen. Da war die zufällig bei einem Wohnungsbrand entdeckte Haschisch-Plantage und der Umgang mit dem Mieter, der sich die neuen Schlüssel auf der Polizeiwache abholen musste. Oder der Bauchladenverkäufer in der Einkaufsmeile, der den ganzen Tag „Plaster, meine Damen!“ rief und dabei weder über ein f für das Wort Pflaster, noch über die notwendigen Papiere für sein Gewerbe verfügte.

    Özcan Cosar aus Stuttgart, ebenfalls türkischer Herkunft, musste bei seinem Prozess des Deutschwerdens abwägen: „Komme ich als Deutscher noch in alle Diskotheken rein?“ Dort hat er auch verschiedenen Tanztypen beobachtet, die er nun sehr überzeugend vorführt. Vollen Körpereinsatz zeigt Cosar auch, wenn er demonstriert, wie sich Deutsche, Türken oder Schwule verhalten, wenn sie beim Fremdgehen erwischt werden.

    Und dann Roger Stein, Liedpoet aus der Schweiz, jetzt in Berlin lebend. Er öffnet am Klavier sein Herz, plaudert das Geheimnis der „Volksmusik“ aus, die er selbst gelegentlich komponiert. Stein erzählt von „Alfred“, der sich plötzlich in einen Mann verliebt, aber sein bisheriges Leben mit Familie und Reihenhaus nicht aufgeben kann. Er singt über „Pensionierte Punks“, die im Park die 1980er Jahre hochleben lassen. Überwältigend ist Steins Bühnenpräsenz, poetisch und berührend seine Lieder.

    Kabarett-Mix-Shows stecken eben voller Überraschungen! Die nächsten Kiezgeschichten gibt es vom 30. Juli bis 2. August. Und wenn das Wetter sich dann an den Plan hält, finden sie sogar auf der Open-Air-Bühne im überdachten Sommergarten der ufaFabrik statt.

    | Ausgewählte Termine: Berlin


    Redaktion:
    Gilles Chevalier
     

    Bildnachweis Martin Berke: © Nadine Eckert
    Bildnachweis Maulhelden M: © Beate Möller
    Bildnachweis Portrait Arnulf Rating: © Linn Marx 


    monsieur_chocolat_1059_1_82650|114 TG: Monsieur Chocolat . Walk Act . Straßentheater . Animation 



    2014-04-05 | Nr. 82 | Weitere Artikel von: Gilles Chavalier


    |Passende Links: Aktuelle Kritik: "Keine Kunst"

    . Programm - ufaFabrik-Berlin