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    Der Olymp verwaist

    Die Göttinnen des (Frauen-) Kabaretts drehen eine letzte Runde (Rood RD 2433196; live, 19 Tracks, 75:45min) und dann ist Schluß mit lustig: Die Missfits hören auf! Gelegentlich kopiert, doch nie erreicht reißt das Ende dieses Duetts eine schmerzhafte Lücke in die Kabarettszene. Doch was war an den beiden eigentlich so außergewöhnlich gut? Es war ihre Präzision! Diese Genauigkeit der Beobachtung, der Pointen, des Spiels und des Gesangs zeichnete sie vor allem aus. Keine faden Scherze, stattdessen treffende Satire. Sie haben ihren Spott über Gott und die Welt ergossen, haben Mann und Frau den Spiegel vors Gesicht gehalten und sich über sich selbst lustig gemacht. Eine seltene Gabe! Der Mitschnitt ihrer letzten Runde mit Höhepunkten ihrer Programme als Abschiedgeschenk auf der CD, eine schöne, eine traurige Scheibe. Good bye!

    Das Blaue vom Himmel (con anima  CA 26541 / Hörsturz ISBN 3-931265-41-2; live, 26 Tracks, 74:53 min) erzählt uns Ingo Börchers. Er macht ein Programm über Wahrheit, Wirklichkeit, Realität und Virtualität, er vermengt Physik und Politik, schwarze Löcher und schwarze Kassen und unterhält damit geistvoll und freundlich. Wenn sie wissen wollen was der vielgepriesene Quantensprung bei den Schröder'schen "Reformen" wirklich wert ist, Herr Börchers erklärt's.

    Mehr mit der Medizin hält's naturgemäß Eckart von Hirschhausen, was Wunder, der Mann ist im wirklichen Leben ja auch Arzt. In seiner Sprechstunde (Susanne Herbert Tel.: 069-95507340; live, 20 Tracks, 67:07 min) geht's um Kranke, Ärzte, Erwartungen und Enttäuschungen, Mythen und Astrologie. Es darf gelacht und gelernt werden, fröhlicher und klüger verläßt man seine Anwendungen.

    Er kommt aus einem Stadtteil von Gelsenkirchen, der zufällig genauso heißt wie ein bekannter Fußballverein, nämlich Schalke; das prägt fürs Leben: hg.butzko macht party (con anima CA 26542 / Hörsturz ISBN 3-9311265-42-0; live, 26 Tracks, 75:26 min). Die Spaßgesellschaft soll ja seit nineeleven zuende sein, aber unser Schalker glaubt das nicht. Wäre ja auch berufsschädigend. Also macht er mit uns ein spaßiges Verwirrspiel, ob er ein Skymarshall ist, der zur Tarnung einen Partymacher mimt, oder ob er als Kabarettist nur den Securitybegleiter spielt. Die Zeit mit ihm vergeht mit Plaudereien über Fußball und Terror, Prägungen und leergegessenen Tellern wie im Fluge.

    Der Tyrannosaurus Recht (con anima CA 26543 / Hörsturz ISBN 3-931265-43-9; 2 CDs, live, 7 Tracks, 42:18 min + 13 Tracks, 55.18 min), den uns Werner Kaczwara im letzten Teil seiner kabarettistischen Justiz-Triologie präsentiert, ist bei Lichte gesehen ein ziemlich zahnloses Tierchen. Deshalb verzichtet er (wieder einmal) auf bissige Satire und verlegt sich lieber auf abgelutschte Späßchen. zum Beispiel: Der §26 GG verbietet die Vorbereitung von Angriffskriegen. Ein paar interessante Sätzchen stehen da in der Verfassung und angesichts einer feindlosen Bundeswehr, die sich auf Auslandseinsätze in aller Welt vorbereitet, wären sie ein paar kritische kabarettistische Spitzen wert. Doch nicht so bei Kaczwara, er zieht sich auf das Witzchen zurück, daß man in seinem Garten nicht für einen Angriff auf Österreich üben dürfe. Wie außerordentlich witzig - aber dem Publikum gefällt's. Eigentlich ein interessantes Sujet – zum Plauderstündchen mutiert.

    Viel war ja nicht, viel gibt es auch nicht mehr, aber ein paar Aufnahmen von politischem und kritischem Kabarett während der Nazizeit sind doch vorhanden. Unter dem Titel Drei Minuten vor Zwölf (Antikbüro Tel.: 030-31807279; CH 3005; 24 Tracks, 76:32 min, außerführliche Infos) sind solche Aufnahmen von 1932 – 1944 auf einer CD vereinigt. Versteckte Anspielungen und assoziative Spitzen sind neben offener Kritik aus berühmtem Munde zu hören. Werner Fink, die vier Nachrichtler, Hilde Hildebrand und Kirsten Heiberg u.a.sind mit Beiträgen vertreten. Ob Weiß Ferdl in diesem Zusammenhang richtig eingeordnet wird, darüber läßt sich streiten. Ob sein "Gleichgeschaltet" die Unterdrücker oder die Unterdrückten verspottet sei dahingestellt. Gleichwohl, er nimmt direkten Zeitbezug, man kann ihn als kritisch werten, was bei ihm ja nicht die Regel war. Eine einzigartige CD, die zudem mit einem sehr informativen Booklet ausgestattet ist.

    Achtzig Jahre wäre er im Dezember geworden, der schillerndste Stern an deutschen Kabaretthimmel: Wolfgang Neuss. Von ihm ist ja an dieser Stelle schon einiges vorgestellt worden und wie bei fast allen Veröffentlichungen hat sein Freund, der Autor Volker Kühn daran mitgewirkt. Zum Geburtstag des quirligen Tausendsassers und bekennenden Kiffers porträtiert er Neuss total (Bear Family BCD 16077 BH; 2 CDs, 12 Tracks, 66:58 min + 11 Tracks, 74:06 min, ausführliche Infos). Plastisch werden das Auf und Ab seiner Karriere, seiner politischen Entwicklung und sein Ausstieg aus dem Rummel nachvollzogen und mit O-Tönen belegt. Ein umfangreiches Booklet ergänzt auch hier die Tonträger.

    Beiträge zu Neuss Deutschland (edel Classics 0014652BCB; 2 CDs, 18 Tracks, 75:54 min + 11 Tracks 78:32 min, ausführliche Infos) sind auf den Aufnahmen zu hören, die Volker Kühn mit der Akademie der Künste Berlin herausgegeben hat. Auf der ersten CD sind Schnipsel aus verschiedenen Jahren, auf der zweiten ein komplettes Programm festgehalten. Dieses Programm, "Das jüngste Gerücht", wurde 1965 in der Kantine des Berliner Ensembles in Ostberlin aufgenommen, Helene Weigel hatte ihn dorthin eingeladen. Es blieb sein einziger Auftritt in der DDR. Wortgewaltig, geistreich, bissig und witzig – Neuss ist immer wieder eine Offenbarung.

    Helge Schneider ist ja sicherlich ein Begriff! Wenn dieser Ausnahmekünstler Mendy, das Wusical (Roof RD 2433195: 2 CDs, 12 Tracks, 41:24 min + 9 Tracks, 39:25 min) liest, darf man sich auf einiges gefasst machen. Der Name Grusical oder Absurdikal würde auch besser passen auf diese ebenso blutrünstige wie hanebüchende  Geschichte vom Mädchen Mendy, ihrem (bedrohten) Pferd Mocca, dem Rollstuhl und Porsche fahrenden Vater, einem ermordeten Knecht, einem brennenden Schlachthof und, ach ja, einem  "Happy End", nach Art des Hauses Schneider. Also, trotz des niedlichen Titels nix für zarte Kinderohren, Freunde des schwarzen, des inkorrerkten und schrägen Humors sollten hier zugreifen.

    Die Texte des ausgemachten Feingeistes Roger Willemsen sind da natürlich von anderer Art. Er hat sich den Karneval der Tiere (Lido 1001/Naxos/Eichborn ISBN 3-8218-5271-2; 27 Tracks, 57:22 min, Infos und als Buch Eichborn ISBN 3-8218-0947-7; 64 S, 12,95 €) von Camille Saint-Saens vorgenommen und einen satirischen Text dazu verfasst. Das der bildhaften Musik des (eigenwilligen) französischen Komponisten auch ein Text zugeschrieben wird, ist spätestens seit Loriot nicht mehr ungewöhnlich. Roger Willemsen hat nun einen langen satirischen Text dazu gedichtet, in dem ein kritischer Streifzug durchs Land gewagt wird. Gibt es in der Musik einiges zu entdecken, so enthält auch sein Text  viele Bezüge, Anspielungen und Spitzen. Ein gelungener, intelligenter Text, der auf der CD von ihm gesprochen wird und den man im Buch, das der inzwischen verstorbene Volker Kriegel liebevoll illustriert hat, nachlesen kann.

    Die hintersinnig-lakonischen Lieder des Funny van Dannen sind inzwischen eine eigene Gattung geworden. Sie wirken immer so ein bißchen unfertig, scheinbar naiv gedichtet und ebenso musikalisch umgesetzt, doch sie haben es faustdick hinter den Ohren. So auch seine neueste Scheibe Herzscheiße (Trikont US-0317; 22 Tracks, 66:39 min), die diesmal im Studio mit Band produziert wurde. Seine Lieder sind aus dem vollen Leben, gut gefühlt und gut gedacht, und doch eben immer ein bißchen daneben. Er lebt zwar gerne auf dieser Erde, "doch ich werde hier nie so zuhause sein wie die Freunde der Realität...""...Jeder braucht einen, der einem sagt, daß man toll ist...", ja recht hat er und toll ist er auch.

    Friedhelm Kändler ist so ein anderer Sprachkünstler, der sich im Laufe der Jahre zu einer Ikone der Kleinkunst entwickelt hat. Mit seinen sprachverspielten Gedichten und seinen exzentrischen Auftritten hat dieser Schelm inzwischen ein breites Publikum und jede Menge Künstler für sich eingenommen. Elf sehr unterschiedliche SängerInnen haben zwar nicht Unter der Sonne von Mexiko (Verlag Roter Baum Tel.: 06157-157008; ISBN 3-937417-02-8;  14 Tracks, 48:14 min, Infos), sondern in seiner Heimatstadt Hannover (sonst nicht gerade für seine Paradiesvögel berühmt), diese Chansons voller Witz (gelegentlich auch Kalauer) und Humor aufgenommen. Von der rauchigen Alix Dudel, Jo van Nielsen, der klassischen Sängerin Almuth M. Kroll  oder dem Schauspieler Bernd Tauber u.a. werden die Lieder (Komponist Uli Schmidt ) wunderbar umgesetzt, ob Chanson, ob Schnulze oder Rap. Wenn die Liebe und das Geld mal wieder weg sind und nur noch ein Herpes zurückgeblieben ist, hier findet man das passende Lied dazu. Übrigens, wer einmal in Hannover ist, sollte unbedingt im Cafe Kanapee vorbeischauen und vielleicht hat man ja Glück: hier sind Kändler-Auftritte am schönsten.

    Wer schon mal in Neapel war, ist mit Sicherheit an jeder Ecke über Totò gestolpert. Antonio de Curtis war ein in Italien überaus populärer Komiker und Schauspieler, der auch viele Lieder geschrieben und komponiert hat. In Deutschland sind seine Filme und Lieder eher unbekannt und da liegt es nahe, daß Rachelina, eine Neapolitanerin, die in Berlin lebt, uns diese typischen Chansons ihrer Heimatstadt nahe bringen will: Core analfabbeta (Duo-Phon 04043; 18 Tracks, 48:24 min). Und wie schon bei ihren früheren Produktion streichelt sie einem mit ihrem Charme, ihrem Temperament und ihrer ausdrucksstarken Stimme das Ohr. Wenn das Booklet mehr Informationen, vor allem über die Lieder, gegeben hätte, wäre der Genuß vollkommen.

    Daß Manfred Krug Jazz singen kann, wissen gelernte Ossis schon Jahrzehnte, gelernte Wessis seit Jahren, zumal wenn sie fleißig Tatort gesehen haben. Seit einiger Zeit tritt er zusammen mit Tochter Fanny Krug auf und wieder ist aus dieser Zusammenarbeit eine CD erwachsen: sweet nothings (BMG Amiga 82876564342; 14 Tracks,54:12 min). Dieses süße Nichts bedeute "zärtliches Geflüster" und sei rein zufällig entstanden, belehrt das Booklet. Tja Zufälle gibt's, da kann man nur dankbar sein. Zwar swingt seine Stimme nicht mehr wie vor dreißig Jahren, aber er findet es klingt schön. Man möchte ihm nicht widersprechen.

    Ralf Schmidt war ebenfalls in der DDR schon ein Star als Frontmann von Stern Meißen und als IC Falkenberg feierte er in den Achtzigern ebenfalls große Erfolge. Er textet, komponiert und arrangiert für sich und andere und singt und musiziert – ein vielseitiges Talent also. In seiner neuen Produktion fällt er in Agonie und Ekstase (BuschFunk MW 200301; 12 Tracks, 48:56 min, Texte). Seine Texte sind kritisch, kryptisch, lyrisch (dadurch fehlt ihnen allerdings Humor und eine gewisse Leichtigkeit) und musikalisch hat er sparsam instrumentiert. Für diesen einfühlsamen Liedermacherpop lieben ihn seine Fans.

    Wenn IG Blech loslegen, geht's nicht so einfühlsam zu, da geht es herzhaft zur Sache. Jenseits sogenannter Volksmusik oder Marschmusik macht diese Blaskapelle  mit ihren außergewöhnlichen Arrangements Stimmung auf Festen, Demos und bei Konzerten. Zu ihrem vielseitigen Repertoire gehören u.a. Samba, Klezmer, Calypso aber auch La Paloma, also ein breites Angebot aus der Weltmusik. Gegründet wurde die Gruppe in den Siebzigern und etwas hat überlebt (IG Blech Tel.: 030-7864118; 13 Tracks, 58:16 min) aus dieser wilden Zeit.

    Mir ist so, ich weiß nicht wie (Duo-Phon 05443; 24 Tracks, 75:41 min, Infos) sang einst die Schauspielerin Renate Müller, die 1937, von den Nazis schikaniert, tragisch mit 31 Jahren ums Leben kam. In ihrer kurzen aber sehr erfolgreichen Filmkarriere hatte sie viele Filmschlager gesungen, die hier alle auf CD festgehalten sind. "Ich bin ja heut' so glücklich" hat sie in ihrem Privatleben nicht sehr oft sagen können.

    Redaktion: Rainer Katlewski

    2004-03-15 | Nr. 42 | Weitere Artikel von: Rainer Katlewski