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    Figurenspiel oder Ich bin jetzt mal ganz anders

    Die Ansprache ans Publikum als Kabarettist, der sich über die Zustände im Land oder in der Welt aufregt, erlebt man immer seltener. Aus ökonomischen Gründen wurde das Ensemblespiel abgeschafft und man hat sich nun, weil man auf der Bühne nicht so allein stehen wollte, dem Figurenspiel zugewandt. Die Kabarettisten suchen die unterhaltende Vielfalt und hoffen insgeheim, dass ihnen flugs und unvermutet eine Figur unterläuft, die das doch so launische Publikum in den Kultstatus hievt. Früher hatten Kunstfiguren eine Schutzfunktion. Man konnte mit ihnen alles sagen, konnte dafür direkt aber nicht verantwortlich gemacht werden. Da ging es zumeist um politische Inhalte. Heute dominieren eher private Themen. Und die Figuren haben eine illustrierende Funktion. Oft erlebt man komische Käuze, etwas fürs Auge.

    Lothar Bölck hatte sein viertes Solo „Ätsching oder die Entführung aus dem Detail“ kurz nach der Lachmesse bei der Leipziger Pfeffermühle vorgestellt. Er ist sich treu geblieben. Politische Themen, Tempo und immer wieder taucht der Zorn des kleinen Mannes auf. Kein aktuelles politisches Thema bleibt ausgespart. Seine Pointen prasseln, Wortwitz und Kalauer beherrscht er aus dem Effeff, Pausen gibt es da kaum. Bölck nimmt sich nicht die Zeit, auch nur einmal eine Pointe sorgsam vorzubereiten. Bölck treibt das Geschehen auf der Bühne vor sich her. Dort stehen lediglich ein Garderobenständer und ein Bürosessel. Im „Stuhlumdrehen“ wechselt er die Figuren, und dann zieht er weiter vom Leder. Er ist einfach nicht zu halten. Bölck hat seine Form gefunden, als politisches Entertainment könnte man sie bezeichnen. Ob dafür so viele Bühnenfiguren wirklich nötig sind, ist schon eine Frage wert.

    Als eine academixer-Produktion gilt auch das dritte Solo von Anke Geißler. „Ja, ich will!“ heißt es, und das liest sich recht ehrgeizig. Verbunden hat die Leipziger Kabarettistin Lieder von Georg Kreisler mit aktuellen Texten. Das ist ein großes Wagnis, aber Risiko gehört zur Kunst. Und sie riskiert viel mit Figurenspiel. Ihre Frauen-Figuren leiden eher an den Zuständen als sie an den Schalthebeln des Geschehens sitzen. Aber sie entwickeln eine gewisse Heimtücke, sie sind bereit, sich zu wehren. Indirekt ist das auch politisch. Anke Geißler spielt die Figuren ohne viel Nachdruck, also Frauen und keine Karikaturen. Das ist gut. Die Verbindung zu den Kreisler-Liedern bleibt eher lose. Sie kommentieren die Soli. Gezeigt hat sich wieder einmal, dass für die Interpretationen der Lieder nicht viel Spielraum bleibt. Man muss die Geschichten, die Erzählstruktur und die Musikalität bedienen. Viel Freiheit für eine eigene Interpretation gibt es da nicht. Hier hat Anke Geißler kein sicheres eigenes Konzept gefunden. Und am Ende muss sich, bei aller Liebe zum Figurenspiel, auch sie fragen lassen, ob alle Figuren wirklich zwingend nötig sind.

    Hans-Günther Pölitz hat nicht lange gefackelt und nach dem ersten Programm „Dumm gelaufen“ zu dritt im Frühsommer, im August gleich noch ein zweites nachgelegt. „Wahn ohne Sinn“ hat er es genannt. Und damit hat die Magdeburger Zwickmühle mit Marion Bach, Klaus Schaefer und Hans-Günther Pölitz nun endgültig ein neues Gesicht. Das neue Programm hat Tempo und übermütigen Witz. Es beschreibt den politischen Alltag in Szenen und Conférencen mit außerordentlicher Spielfreude. Der Gewinn durch den Zuwachs von Klaus Schaefer wird deutlich, die Suche nach einem dritten Mimen ist plausibel. Während sich im Spiel früher eine klare Rollenverteilung eingeschlichen hatte, die unterlegene Mutti und der selbstgerechte Vati, ist nun ein variantenreicheres Spiel möglich.

    Magdeburg hat sich zu einer kleinen Kabarettstadt entwickelt. Nicht etwa, weil sich dort eine umfangreiche Szene entwickelt hätte; die Kabaretts sind in den 90er-Jahren eher durch „Zellteilung“ entstanden. Von den Magdeburger Kugelblitzen spaltete sich die Magdeburger Zwickmühle ab, dort siedelten sich Frank Hengstmann samt Söhnen an, er bildete mit Thomas Müller dann den Denkzettel, der sich zusammen mit den Hengstmann-Brüdern von der Zwickmühle abspaltete. Doch schon ein halbes Jahr später verselbstständigte sich die Familie Hengstmann mit einer eigenen Spielstätte. Und damit der Kreis sich schließt: Die Kugelblitze, einst Ursprung und Mittelpunkt des Magdeburger Kabaretts, werden im Januar ihre bisherige Spielstätte aufgeben und fortan als Gastensemble bei der Magdeburger Zwickmühle auftreten. Das ist wahrlich turbulent. Nur soviel vielleicht: Die reine Harmonie war es nicht, die diese Turbulenzen verursacht hat.

    Mehr Kontinuität hat das Dresdner Kabarett Breschke & Schuch gezeigt, das im Dezember sein 10-jähriges Bestehen gefeiert hat. Herzlichen Glückwunsch dazu von Trottoir!

    Zum Schluss sollen noch die Lachmessepreisträger 2009 mitgeteilt werden. Die Jury hat bestimmt: Das beste Programm zur Lachmesse 2008 hat das Erste Deutsche Zwangsensemble gezeigt.

    Redaktion: Harald Pfeifer

    2008-12-15 | Nr. 61 | Weitere Artikel von: Harald Pfeifer