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    Glücksbringer

    Zum 3. Politischen Aschermittwoch (con anima CA 26565; ISBN 978-3-931265-65-6; 2 CDs, 10 Tracks, 50:02 Min. + 10 Tracks, 39:06 Min.) luden in Berlin Hagen Rether, Martina Schwarzmann, Volker Pispers, Arnulf Rating und Matthias Deutschmann ein. Nun hat nach den Versuchen, in Berlin den Karneval zu installieren, auch der politische Aschermittwoch in der Bundeshauptstadt Einzug gehalten. Ein kabarettistischer Rückblick und Ausblick, dem man eigentlich nur mehr Struktur und, seinem Namen gerecht werdend, ein noch schärferes politisches Profil wünschen kann.

    Im Jahr 1 nach der Fußball-WM in D, nach Freude, Glück und Wonnen heißt es auf der Lesereise² der 11 Freunde: jetzt wird geheiratet (WortArt 4488; 11 Tracks, 78:45 Min., live). Philipp Köster, Jens Kischneck und zeitweise auch Schmidtis Manuel Andrack tragen Fundstücke aus dem Fußball-Magazin vor. Seien es ein Beitrag über Hooligan-Lyrik, die zehn schönsten Trainerentlassungen oder Reiseerzählungen aus Fanbussen: Hier haben Fußballfans ebenso etwas zu lachen wie Unkundige, die Milieustudien staunend belächeln können. Egal, ob der 1. FC Köln auf- oder absteigt, Günter Hetzer trotz oder wegen des Alkoholzuspruchs zu viel redet und MV ausnahmsweise ernüchternd ist – für Spaß und Freude ist gesorgt bei der 11-Freunde-Tour.

    Das Ergötzende an den Programmen des Herrn Dr. med. Eckart von Hirschhausen (www.Hirschhausen.com; 14 Tracks, 72:58 min) ist, dass er sein studiertes Fachwissen mit einem ausgesprochen gesunden Menschenverstand paart. Das versetzt ihn in die Lage, diversen Glücksversprechungen mit Skepsis zu begegnen und die (scheinbar) simplen Rezepte auszubreiten, mit denen jeder selbst an seinem Glücklichsein/Zufriedensein arbeiten kann. Der Herr Doktor weiß zudem, seine Vorschläge in schlichte Worte zu kleiden, mit Fakten aus der Forschung zu untermauern und mit anschaulichen Beispielen zu illustrieren. So entsteht die Hirschhausen’sche Kabarettmischung aus Unterrichtung, Unterhaltung und Freude an der Erkenntnis, verbunden mit praktischer Nutzanwendung.

    Ein Rezept zum Glücklichsein (Russki Record; 20 Tracks, 50:37 Min.) bietet Susanne Brantl mit den Chansons von Edmund Nick, dem Hauskomponisten des Münchener literarischen Kabaretts „Die Schaubude“. Von 1945 bis 1948 existierte dieses bedeutende Nachkriegskabarett, das mit Erich Kästner über einen herausragenden Autor verfügte. Kästner und Nick kannten sich schon seit 1929 und waren seitdem gut befreundet. Nick vertonte viele Texte Kästners, aber auch welche von Klabund, Mascha Kaléko, Tucholsky und anderen. Susanne Brantl hat diese verborgenen Schätze bekannter und auch vergessener Kabarettchansons von Dagmar Nick, der Tochter des Komponisten, zur Wiederbelebung erhalten. Zusammen mit dem Pianisten Gerold Huber hat die Sängerin und Schauspielerin sie neu und überzeugend interpretiert. Auf ihrer zweiten CD Das Leben ohne Zeitverlust sind ausschließlich Kästner-Texte in der Vertonung Nicks zu hören. So bekannte Titel wie das „Marschlied 1945“ (einst gesungen von Ursula Herking) oder „O Du mein Österreich“ bezeugen Sorgen und Ängste der Menschen und erzählen deutsche Nachkriegsgeschichte; eine wirklich politische Auseinandersetzung mit der Nazizeit wird eher verhalten geführt. Zwei sehr interessante und hörenswerte Produktionen, die dem Hörer ein wichtiges Kapitel deutscher Kabarettgeschichte wieder erschließen. Susanne Brantl hat die Ausdrucksfähigkeit, die Varianz und die Kraft in ihrer Stimme, um diese Lieder angemessen dem Publikum neu zu präsentieren.

     

    Brecht auf der Tagesordnung

    Wer hätte je erwartet, Peter Gauweiler, Norbert Blüm, Gregor Gysi, Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine, Konstantin Wecker, Gina Pietsch und Jürgen Trittin u. a. auf einer CD mit Brecht-Texten (friedlich) vereint zu hören? Natürlich hat man die Erinnerung an die Marie A. schon überzeugender als von Nobbi Blüm gehört und schon eindringlicher die Fragen eines lesenden Arbeiters vernommen als von Jürgen Trittin, aber dass es diese Zusammenstellung überhaupt gibt, ist erstaunlich genug. Die Idee wurde von Diether Dehm, dem Ex-Liedermacher (Lerryn), Komponisten, Produzenten, Manager und ehemals SPD- und jetzigem PDS-(Linkspartei)-Politiker umgesetzt, der ebenfalls auf der CD vertreten ist. Brecht auf der Tagesordnung (SPV 78712; 29 Tracks, 42:31 Min.), eine Überraschungs-CD, deren Erlös an Amnesty International und die VVN-BDA geht.

    Wenn Gina Pietsch & Uwe Streibel (Klavier) ein neues Brecht-Programm vorstellen, hört sich das selbstredend deutlich professioneller an. Unter dem Motto: … er hat Vorschläge gemacht … (Raumer Records RR 16907; 33 Tracks, 78.56 Min., Infos) stellen sie in Liedern und Texten seine sich mit den Zeiten wechselnden Vorschläge vor, von lüsternen Reden bis zum gesellschaftlichen Aufbau. Den Vertonungen von Weill, Eisler, Dessau und Folkerts vermag Pietsch deren spezifischen Klang zu verleihen, ihre stimmliche Bandbreite findet für jeden Text, ob gesungen oder gesprochen, einen eigenen, oft neuen Ton. Man hört – by the way – eine der besten Brecht-Interpretinnen unserer Zeit.

    Cora Chilcott singt Brecht Weill Eisler (ligeia records; www.corachilcott.de; 15 Tracks, 50:16 Min.) in ganz anderer Art. Sich sehr zurücknehmend, fast überdeutlich trägt sie die bekannten Songs aus Dreigroschenoper, Mahagonny, Happy End und einige Eisler-Vertonungen vor und dadurch hört man sie z. T. auf etwas andere Art als gewöhnlich.

    Wie aber auch die Zeit vergeht! Konstantin Wecker wird im Juni sechzig! Herzlichen Glückwunsch! Aus diesem Anlass hat sich Bear Family, Spezialist für aufwendige CD-Boxen mit ausgewählten Aufnahmen, etwas Besonderes einfallen lassen: zwei dicke Boxen mit Aufnahmen des wilden Bayern. Zwischenräume (Bear Family BCD 16063 HL / ISBN: 978-3-89916-294-3; 7 CDs, 177 Titel, DVD, Buch) versammelt die Studio-Aufnahmen von 1973 bis 1987 und Alle Lust will Ewigkeit (Bear Family BCD 16067 JL / ISBN 978-3-89916-295-0; 10 CDs, 160 Titel, Buch) die Live-Aufnahmen von 1975 bis 1987. Viele Lieder finden sich erstmals auf CD, die Bandbreite reicht von Aufnahmen, als Wecker noch im Kinderchor sang, über den ersten „Willy“, Liveaufnahmen von Onkel Pö bis hin zur Münchener Philharmonie und der Zusammenarbeit mit Jazz-Größen wie Wolfgang Dauner. Die beiden umfangreichen Boxen decken fast das gesamte bekannte Repertoire des ebenso politisch engagierten wie lebensgierigen Künstlers ab.

    Anlässlich der Ausstellung in Paderborn über den Bußgang Heinrich IV. zu Gregor VII. im Jahre 1077 haben Liederjan sich ausnahmsweise der Kirchenlieder des 19. Jahrhunderts angenommen: Einmal Canossa und zurück (Pläne Verlag 88944; 37 Tracks, 74:24 Min., Infos). Doch ohne Erklärungen, kritischen Blick und Ironie geht bei Liederjan ja gar nix, und so geht’s auch diesmal bei Jörg Ermisch, Hanne Balzer und Klaus Irmscher ebenso unterhaltend wie informativ zur Sache. Ein Haus voll Glorie schauet auf den Kulturkampf und einigen Kladderadatsch, den heiligen Rock von Trier und Herrn Hoffmann von Fallersleben. Ein unheiliges Vergnügen.

    Liedgut aus der Schweizer Provinz verbreiten die Badener Kabarettisten Roland Fitzlaff und Ueli Haenni alias FitzlaffHaenni und die Notty’s Jug Serenders unter dem vielsagenden Titel: Wääh! (Turicaphon ES 73702, 19 Tracks, 60:05 Min., Texte). Die beiden Herren, nicht mehr ganz jung und schon seit vielen Jahren in der Schweiz unterwegs, haben sich mit Thomas Bannholzer, Notker Homburger und Andi Reinhard, einer deutsch-schweizerischen Jug-Band, zusammengetan, um sich munter textlich und musikalisch auszulassen. Sie rappen, schnulzen und jazzen wortgewaltig über typische Machos, Autofreaks, Politiker und Spießer. Was sagen und singen uns die schwarzhumorigen Eidgenossen auf ihre ungewöhnlich vielfältige musikalische Art: Die Schweizer Kleinbürgerwelt unterscheidet sich von anderen eigentlich nur durch den Dialekt.

    Wer so gekonnt Melancholie verbreitet wie Der singende Tresen, bereitet einem schon wieder gute Laune: Clowns im Regen (Raumer Records RR 16807; 13 Tracks, 61:20 Min., Texte). Der Gruppe um Manja Präkels, die für die hervorragenden Texte genauso verantwortlich zeichnet wie für den wunderbaren, wandelbaren Gesang, gelingen außerordentliche Stimmungsbilder, absurde Geschichten und voglige Träumereien. Die musikalische Bandbreite der Band reicht von Walzer bis Jazz und von Klezmer bis Tango, sodass jedem Text seine eigene passende Note mitgegeben wird. Musik für das letzte Glas Bier nach langer Nacht.

    Heut ist der Tag (105 Music / BMG 88697055632; 12 Tracks, 53:00 Min., Texte), an dem Stefan Glewis nicht nur überwiegend Soul-Coverversionen präsentiert, sondern mehrheitlich eigene Produktionen. Seelenschmerz, Balladen, der Hamburger Kiez von St. Pauli, Mutmachendes und Aufbauendes wechseln sich in seinen Liedern ab. Flotter Sound, kratzende Stimme und Texte, denen man zuhören kann: Mit dieser Mischung erobert Stefan Glewis die Konzerthallen.

    Die großen Hallen hat Silke Hauck noch nicht erobert, doch die Künstlerin hat sich schon in vielen Genres einen guten Ruf erworben. Mit ihrem aktuellen Album frozen tears (Starfish Music 33342-3; 12 Tracks, 55:12 Min., Texte) stellt die Mannheimer Songwriterin ein Jazzalbum vor, dass auch den internationalen Vergleich nicht zu scheuen braucht. Jazzige, poppige Balladen, sparsam aber eindrucksvoll instrumentiert, erzeugen eine stimmungsvolle Atmosphäre, die sowohl in der Bar als auch in der Nachmittagssonne swingt und wohltut.

    Edda Schnittgard, die einst bei Queen Bee kräftig in die Tasten griff, hat jetzt das Debüt-Album ihrer Solokarriere vorgelegt. Mit Barbie reloaded – das Ziel ist im Weg (Roof Musik / tacheles! RD 2733307 / Indigo 822202 / Eichborn ISBN 978-3-938781-50-0; 20 Tracks, 68:35 Min.) knüpft die stimmgewaltige Schniddi stilistisch an alte Zeiten an. Lieder am Klavier, Texte, die auch schon mal etwas oberflächlich sein können, selbstironische Reden – eine Mixtur, die wohl ihr Publikum finden wird.

    Die zweite CD von Mathilda, der Berliner Band um den Texter und Komponisten Florian Bald und die Sängerin Anika Maurer, trägt den etwas bedrohlichen Titel M wie Mord (Pläne Verlag 88942; 14 Tracks, 58:41 Min., Texte). Doch keine Angst, so dramatisch ist die Scheibe nicht. Überwiegend geht es in den sanften Popchansons um Kontaktanzeigen, innere oder äußere Werte, Freunde aus Fulda, ob der Partner zum Styling passt und darum, wie es ist, mit einem Polizisten zusammen zu sein. Die Lieder haben immer so ein etwas geheimnisvolles Flair, was den zurückhaltenden Arrangements und nicht zuletzt der Stimme Anika Maurers geschuldet ist. Eine junge Truppe, von der man noch hören wird.

    Musik hat mich verliebt gemacht (Roof Music RD 2633276 / Indigo 869972 / Eichborn ISBN 978-3-938781-27-2; 20 Tracks, 68:44 Min.) behaupten Ulrich Tukur & Die Rhythmus Boys auf der Scheibe mit ihren größten Erfolgen. Der etwas unterkühlte Caféhausstil, in dem die Herrschaften der Tanzkapelle mit ihrem schauspielernden Sänger diverse Schmachtfetzen präsentieren, wird weder die Freunde kritisch-analytischer Texte noch die leidenschaftlichen Liebhaber ergötzen. Hier lässt man sich besser in der blauen Stunde treiben und wippt mit dem Fuß, wenn der rote Mond, die weiße Taube, die letzte Straßenbahn oder die Laterne vor der Kaserne gespielt bzw. besungen werden. Träumereien am Abend.

    2007-06-15 | Nr. 55 |