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  • Szenen Regionen :: Österreich

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    Himmel und Hölle werden privatisiert

    „Zur Stadt der Menschenrechte muss ich aber sagen, dass ich jetzt bald einmal auch die Stadt der Menschenpflichten ausrufen werde.“ Nein, das entstammt keinem Kabarettprogramm, das sagte unlängst der Grazer Bürgermeister Nagl (ÖVP), immerhin politisch Verantwortlicher der zweitgrößten Stadt Österreichs. Aber das ist nur eine Spitze der österreichischen Realsatire. Weiter im Zitat: „Zu diesen Pflichten gehört etwa eine anständige Erziehung der Kinder in der Familie.“ Zurück zum Thema Kabarett: Mit Kindern beschäftigen sich zurzeit drei Kabarettprogramme: Fredi Jirkals unerfüllter „Kinderwunsch“, Andrea Händler und ihre tickende biologische Uhr mit „Einsendeschluss“ und Leo Lukas mit „Wohin die kleinen Kinder kommen“. Natürlich beschäftigt er sich in diesem anscheinend privaten Programm auch damit, woher die Kinder kommen: Nämlich aus ‚Abrahams Wurschtkessel‘. Verpackt in die Urängste eines Vaters thematisiert Lukas geschickt die Frage: Wohin schreitet diese Gesellschaft so schnell, planlos und ohne Visionen? Ein Lied daraus, intoniert als Wiener Lied, befasst sich mit der Privatisierung allerorten, sogar die des Himmels und der Hölle. Weiter in Sachen Realsatire: Alf Poier wollte wiederum zum Eurovisions-Songcontest. Aber er wurde aufgrund eines eigenartigen Abstimmungssystems Zweiter, obwohl er weit mehr Stimmen auf sich vereinigen konnte als die Sieger, Global.Kryner, mit Allerweltsethnomusik, die bekannt klingt und doch ganz neu ist. Alf Poier spitzt nunmehr wieder den Bleistift und lässt seine Ganglien rotieren. Er verspricht für Herbst 2005 ein neues Programm, das wieder, ob seiner Unkonventionalität, polarisieren wird. Unkonventionell auf andere Art sind auch Grissemann & Stermann, die ihr neues, viertes Anarcho-Programm im Wiener Rabenhof Theater präsentiert haben. „Harte Hasen“ läuft neunzig Minuten nonstop sarkastisch-böse ab. Stermann & Grissemann sind nun mal die Gemeinsten und Bösesten. Nichts für zarte Gemüter oder Angsthasen.

    Ein neues Programm hat auch die Formation Lange Nacht des Kabaretts herausgebracht. Sie spielt dieses homogene Programm, das eine Mischung aus den Soloprogrammen der Protagonisten mit gemeinsamen Nummern ist, überaus erfolgreich. Klaus Eckel, Pepi Hopf, Martin Kosch und Thomas Stipsits – jeder für sich brillanter Solist – erzählen u. a. von AMS-Beratungen und verlosen im Programm Pensionen, Studien- und Arbeitsplätze sowie Krankenbehandlungen. Martin Kosch bietet aus seinem neuen Programm „Splitternackt“ eine beklemmende Nummer, in der sich alle kommunalen Einrichtungen einer Region aus Einsparungsgründen in einem Supermarkt befinden. Sie spielen, solange Sie wollen oder bis Ihnen das Lachen vollends im Halse stecken bleibt.

    Marie Thérèse Escribano jubiliert, ebenso wie Österreich: 50 Jahre Staatsvertrag, 50 Jahre Escribano in Österreich. Aus diesem Anlass hat sie ein Programm unter dem Titel „Kommt mir spanisch vor“ zusammengestellt, indem sie mit Witz und Charme Kuriositäten ihrer Wahlheimat ebenso entblößt wie mehr schlecht als recht verdeckte braune Flecken.

    Mike Supancic tourt nicht nur mit seinem neuen, äußerst sehenswerten Programm „Radio Supancic“ durch die Lande, sondern hat auch gleich eine Live-CD desselben auf den Markt geworfen. Er greift in seinem abwechslungsreichen Programm politische Zu- und Missstände auf, formt sie parodistisch aus und treibt sie manchmal unter gesanglichem Einfluss auf die Spitze. Er lässt Jamie Oliver im Flüchtlingslager Traiskirchen für abzuschiebende Asylanten ein ‚Letztes Abendmahl‘ kochen, er durchleuchtet die Verbindungen und Abhängigkeiten zwischen Politik(ern) und Wirtschaft, konkret Frank Stronach, und lässt Arnold Schwarzenegger nochmals seine Kindheit im kommunistischen Österreich rekapitulieren. Andreas Vitasek bringt zurzeit ein Best-of-Programm, nein, das Ganze heißt nunmehr ‚Werkschau‘, unter dem Titel „Taxi, Tod und Teufel“. Vitasek feiert darin ein Wiedersehen mit alten Bekannten: dem Tod, dem Wochenendvater, dem Doppelgänger, dem roten Ball … Vielleicht ist dies auch ein Abschied von diesen Figuren. Sehenswert allemal!

    Ebenfalls eine Werkschau, respektive Werkshow, unter dem Titel „Groebner gesammelt“ bietet derzeit Severin Groebner an. 10 Jahre steht er mittlerweile – einst im Duo mit Klaus Gröll, seit 1999 solo – auf Kleinkunst-Brettern. Nach seinen mehrfach ausgezeichneten Solo-Programmen bringt er im September sein neues Opus im Wiener Theater in der Drachengasse heraus. Ebenfalls eine Werkschau zu seiner Dekade bester Unterhaltung bietet Ludwig Müller in „Geehrt und gefedert – Best of …“. Aus sechs Programmen rezitiert, improvisiert, verdreht, verballhornt, zerlegt und setzt er wieder zusammen. Dialekt und Fremdsprachenimitationen sowie Schüttelreime als Zugaben. Christian Filek solo: „Herr Filius erklärt die Werbepause“. Endlich! Wir haben sie doch bis jetzt nur als lästige Unterbrechung der Filme empfunden oder zum eiligen Gang auf die Toilette willkommen geheißen. Ab jetzt wird alles anders. Nach diesem Programm werden Sie anders fernsehen!

    Zum fünften Mal findet heuer in Bregenz das Seelax-Festival statt, und zwar in der Zeit vom 7.–30. Juli. Aus diesem Anlass werden u. a. die Wiener Musikkomödianten Mnozil Brass, die bayrischen Kabarettisten Helmut Schleich und Andreas Giebel, der schräg-schräge Musikarzt Ringsgwandl sowie die Chansonieres Tim Fischer und Irmgard Knef auftreten.

    Wien hat wieder eine Bühne mehr. Prinzipalin Anita Ammersfeld eröffnete ihr stadtTheater walfischgasse am 20. April 2005. Vormals war in diesen Räumlichkeiten eine Boulevardtheater-Bühne, davor, ab 1959, eine Kabarettbühne, und zwar jene des legendären „namenlosen Ensembles“ um Bronner-Merz-Qualtinger beheimatet. Das neue Haus bietet neben der Hauptbühne, auf der heiter-satirisches Theater ebenso wie Musik geboten werden, einer zweiten Spielstätte Platz, genannt theaterCercle, wo zu fortgeschrittener Stunde auch dem Nachwuchs Auftrittsmöglichkeiten geboten werden und „Kulturgenuss in Lounge-Atmosphäre“ versprochen wird. Auftritte von und mit Gerhard Bronners sind natürlich geplant.

    Redaktion: Iris Fink

    2005-06-15 | Nr. 47 | Weitere Artikel von: Iris Fink