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    KRITIK: Matthias Beltz beim Vellmarer Festival "Sommer im Park"

    Guck ma´ da, ´en Kopp!

    Matthias Beltz aus Frankfurt tourt mit seinem Programm "Notschlachten -Die 7 Weltverbrechen" durch die Lande und füllte auch beim Kulturfest in Vellmar bei Kassel das Zelt. Bei seinem Ethno-Kabarett legt er in der Rolle des Justizwachtmeisters Kwiatkowski ein derart hohes Tempo vor, daß muttersprachliche Eingeborene und solche, die es werden wollen, zwischen dem Gelächter alle Hände voll zu tun haben, dem vor Querverweisen und Wortspielen sprühenden Spurensucher und Fährtenleger zu folgen. Für Langeweile bleibt da auch bei gelegentlichen Untiefen des Programms kein Zeit. Kalauer sind zum Luftholen da.

    Beltz, der in einer biederen Strickjacke auf der Bühne steht, arbeitet wenig mit dem Körper, sondern setzt auf seine verbale Überrumplungstechnik mit einem ausgeklügelten Text, der ins Kraut schießend assoziiert, aber doch immer wieder auf den Punkt kommt. Seine Lieblingsthemen sind die neuesten Trends am Verbrechensstandort Deutschland, ein teils melancholischer, teils giftiger Blick auf die RAF, rollende Köpfe im Großstadtleben und außerdem die Weltgeschichte vom Alten Testament bis zum Klonen, was er alles mühelos und scheinbar zwingend vernetzt.

    Eine seiner Techniken ist das Aufmischen unserer Kommunikationsregeln durch Ineinanderblenden von thematisch getrennten Feldern. Er gibt etwa an, auf seine Anzeige "Henker gesucht. Gute Bezahlung" hätten sich viele gemeldet, was ihm als Indiz gilt, daß die Deutschen durchaus arbeiten wollen, wenn man ihnen etwas Vernünftiges anbietet. Es habe aber Kritik gegeben, die Anzeige sei inhuman, denn eigentlich müsse es "Henker/innen" heißen. Die Hinrichtung von Maria Stuart greift er als Gesellenprüfung des Henkers auf. Das Paradiesversprechen der katholischen Kirche interpretiert er als Rentenbetrug. Das Kainsmal bedeutet für ihn "Kain Arbeit", Kain wird folgerichtig zum Gewerkschaftler. Da Hitler Vegetarier war, kann das Verspeisen eines Schnitzels zur antifaschistischen Aktion werden. Undsoweiter, es sprudelt.

    Ja, rabenschwarz ist dieser Mann und läßt die Köpfe rollen. "Guck ma´, da liegt ´n Kopp", habe es neulich an einer Frankfurter Haltestelle geheißen, und man habe beraten, den Kopf mitzunehmen, weil ihn vielleicht noch jemand braucht.

    Was Beltz häufig macht, läßt sich als tabuloses Freidenken auffassen, aber genauso gut als gezielte Affronts gegen ein Publikum, das wie alle besseren Menschen friedlich und tolerant sein möchte. Jedenfalls geht er bis an die Grenze, wo die Leute symbolisch "Aua!" rufen, etwa dort, wo Schäuble die Chancen als Kanzlernachfolger abgesprochen werden, weil er in der Klasse Paraolympics antrete. Oder in einer Szene in der S-Bahn, wo Neonazis einen farbigen Mitbürger als Schwarzfahrer titulieren und daraufhin von Beltz in O-Ton Adolf Hitler in ihre Schranken verwiesen werden. Beltz darf das, so die unausgesprochene Übereinkunft, und kittet schnell mit einem Querschläger aus Gegenrichtung.

    Keine Angst vor Unsinn: Was hat Botho Strauß mit Johann Strauß mit Henry Maske mit Friedrich Schiller zu tun? Botho und Johann teilen den Nachnamen, Johann schrieb "Glücklich ist, wer vergißt", Botho den "Anschwellenden Bocksgesang", Boxgesang gibt es durch Vangelis auch bei Henry, und Schillers "Glocke" verweist aufs Boxen, weil´s da eins auf die Glocke gibt.

     

     
    1998-09-15 | Nr. 20 |