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  • Szenen Regionen :: Österreich

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    Kein Winterschlaf im Kabarett

    Der österreichische Winter war bis dato ein überaus milder und mit jenem im mittleren Westen Amerikas nicht wirklich vergleichbar, aber die haben ja auch keine dermaßen kreative und gut funktionierende Kabarettszene wie wir. Nun, es hat sich allerhand getan auf den Kleinkunstbühnen der Alpenrepublik, wobei das absolute Premierenhighlight der Steirer Mike Supancic ablieferte. Seine "Strengen Kammerspiele" sind vor allem geprägt von der ungemeinen Talentevielfalt. Warum er nicht allgegenwärtig in Film, Funk, Fernsehen und auf allen Brettern, die die Welt bedeuten, zu sehen und zu hören ist, bleibt weiterhin rätselhaft. Mike Supancic ist nicht nur für mich der begnadetste Musikparodist des Landes, und keineswegs nur der steirischen Zunge mächtig. Seine Entscheidung, an den Kammerspielen mit Hannes Vogler und Ludwig Müller zwei der profiliertesten Gag-, Text- und Songschreiber mitwirken zu lassen, war ein Glücksgriff sondergleichen, was sich nicht zuletzt in den Rundungen des Programms und im außergewöhnlich gehaltvollen Liedgut widerspiegelte.

    So erzählt er uns vom 1. SOS Künstlerdorf in Kapfenberg, wo alle Künstler ihr Gnadenbrot fristen können ohne in irgendeiner Weise peinlich in die Politik gehen zu müssen oder um einen Termin Talkshows betteln. Wir erfahren vom Heinz Conrads-Gedenkdunstabzug, von den Aufnahmsprüfungskriterien des Künstlertrios Peter Alexander-Franzjosef Hartlauer-Heide Schmidt, von Kondomtöpferkursen und von seiner Zeit als Kanarischer Volksmusikant. Höhe- und Schlußpunkt ist sein zweites Ich, der mittlerweile ins Ausgedinge abgeschobene Karl Löbl, dem Supancic die Rezension des Programmes gleich höchstpersönlich abnahm. Einfach grandios!

    Etwas dürftig viel das zweite Programm der mittlerweile auch in deutschen Landen bestens bekannten Kabarett-Jungstars Schöller&Bacher aus. Selten habe ich ein dermaßen riesiges Diskrepanzenloch zwischen Journalistenkritik und Zuschauerreaktion gesehen, gehört, gespürt, erlebt. Obzwar der umgekehrte Weg - von der Kritik zerrissen, vom Publikum orgiastisch gefeiert - ein durchaus übliches Bühnenschicksal verkörpert, ist jener, den die beiden Brüder Rudi und Karli Schöllerbacher mit ihrem zweiten Programm "Lernen" hinterlassen, ziemlich neu und für die gesamte Szene leicht verwirrend. Der Inhalt ist schnell erzählt: Beide sitzen wiederum auf ihrer weißen Plastikbank, sehen sich und nicht das Publikum an und plaudern miteinander. Hin und wieder steht Rudi auf und übt sich in Schlagerparodien. Allerdings steht besagte Bank im Gegensatz zu ihrem zurecht vielbejubelten und hochdekorierten Debutprogramm "Warten" nicht an einer Bushaltestelle, sondern auf einer Terrasse einer Wohnung außerhalb des Wiener Gürtels. Es gesellte sich zwar ein Philodendron und ein klassischer Radiorecorder aus den 70ern dazu, doch ansonsten blieb alles beim Alten. Nach einem durchaus witzigen Dialog in der Länge von knapp 20 Minuten gibt es drei mehr oder minder fade Beispiele aus ihrer Liedgutsammlung. Mehr oder minder fad deswegen, weil der Gag, der Schmäh, die Pointe, die Überraschung jenseits des Faktors 1 dramatisch ins Bodenlose hechtet, so gut und perfekt ausgeführt das Stilmittel der Untertreibung auch sein mag. Dann war Pause - nach rund 35 Minuten. Nach derselben kamen noch zwei Lieder und nach 45 Nettominuten eine Verabschiedung. Ähnlich wie Bill Murray im genialen Film "Und täglich grüßt das Murmeltier" erlebten wir einen Neubeginn des Stücks und erfreuten uns dabei an wirklich guten Textvarianten. Allerdings nur zehn Minuten lang. Dann war endgültig Schluß mit lustig, das Duo entschied sich für die gleiche Zugabe wie beim ersten Programm und schickte uns mit einem "Wir wissen, daß das Programm sehr kurz ist. Aber was sollen wir machen?" ins Niedermair-Foyer, wo das Kopfschütteln kein Ende zu nehmen schien. Zumal zu diesem Zeitpunkt die durchwegs positiven Pressemeldungen in Kurier, Standard, Presse und Falter bereits erschienen, gelesen und bekannt waren. Mag sein, daß der Sympathie-Bonus für die beiden Oberösterreicher nach wie vor greift, gilt und zählt, möglicherweise ist der Titel des Programms aber auch ein hochintelligent auserwählter in Sachen Selbsttherapie.

    Ganz anders der Wiener Ciro de Luca. Sein zweites Soloprogramm heißt "Kurz vor knapp - Aber kein Grund zur Veranlassung" und beschäftigt sich vorwiegend mit der bevorstehenden Jahrtausendwende. Ciro de Luca ist seinem Ruf als wort- und stimmgewaltiger Permanent-Alles-Hinterfrager noch einen Touch mehr gerecht geworden als mit seinem Solo-Debut-Programm "In Zivil". Sein skurril-realsatirischer Durchmarsch durch all unsere Probleme, Leiden und Nöten entpuppt sich alsbald als gnadenlose Durchleuchtung intimster Öffentlichkeiten mit einer Trefferquote jenseits jener von Schandmaul Harald Schmidt. Des Ciros Vorschläge in Sachen Bekleidungszukunft (Korkschuhe, Holzhose mit Astloch vorne, Japanische Sushi-Mäntel, Chinesische Oberhemden aus Hummerchipsmasse, Fellmoonboots als Weiberlersatz für rammlerte Niederflurhunde, Österreichische Hosenträgerrakete) sind nur beim ersten Mal Hinhören lustig, entpuppen sich jedoch alsbald als wahrscheinlich wirklich einzige Lösung, den Kometen, die Jahrtausendwende, den Weltallkulturbeauftragten Karl Moik, platz.max, dem Handy für Hunde und den Chappi-Flitzer großräumig auszuweichen und so die Menschheit vor dem Aussterben zu retten.

    Sein Wiener-Test in Flugzeugen (Jemand zugestiegen?) funktioniert übrigens praktisch immer und bei Berichten über Karol Woytila denkt nicht nur er an den Drei-Wetter-Papst, der - wie die Kinder dieser Welt - alsbald ein Pipi-Handy benötigen, um Mutter wie Vatikan gleichermaßen mitzuteilen, daß es alsbald jede Menge Wasser zu lassen gilt.

    Als überraschend professionell und inhaltlich durchaus komplex entpuppte sich das Erstlingswerk von Michael Stockinger, "Stockinger wird pragmatisiert". Er ist wahrlich einer der letzten Einzelkämpfer dieses Planeten, er sammelt die Neujahrsansprachen der Bundespräsidenten auf Video, er träumt von überdimensionalen Stempelmarken, er wird vom Betriebspsychologen zur Kuhglockentherapie geschickt und er trifft Politiker sowohl im Beamtenhimmel als auch in der Hölle. Er gewann 1997 mit einem Rumpfprogramm den 2. Preis beim Goldenen Neulingsnagel im Theater am Alsergrund, 1998 den 2. Preis beim Gmundner Kleinkunstschwan 1998 und hatte Ende November des Vorjahres im Theater am Alsergrund Premiere. Und: Er wird von Auftritt zu Auftritt besser, der Michael Stockinger. Im wirklichen Leben gebürtiger Halleiner, gelernter Diplomingenieur und geläuterter Beamter im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft erzählt Stockinger von seiner absurden Reise ins Land der Pragmatisierung und dessen Jenseits, findet sich dabei als Figur in einem Computerspiel wieder und versucht sich als seelischer Rundordner des Teufels. Doch da dieser ja bekanntlich nicht schläft, verschafft er ihm zwischendurch noch schnell eine kleine Verfolgungsjagd mit dem Wiener Riesenrad, schmuggelt er ihm ein Stück Kohle ins Beamtentäschchen und erteilt ihm die Lizenz zum Trompetensignalausstoßen. Erst eine zufällige Begegnung mit Gott bringt ihn zurück auf den langen, verschlungenen Pfad, der irgendwann einmal zum eigenen Ich führt. Zumindest führen soll. Aber so ganz sicher ist das bei den Pragmatisierten dieser Welt ohnhin nicht.

    Apropos Kleinkunstpreise. Jede Menge Kabarettpreise konnten österreichische Kabarettisten noch in den letzten Zuckungen des 98er Jahres und bereits in den ersten Tagen und Wochen des neuen Jahres einheimsen. Kabud bekamen das Passauer Scharfrichterbeil für ihr Programm "Wer bastelt mit?", Lukas Resetarits am Nürnberger Burgtheater den Deutschen Kabarettpreis für sein Lebenswerk, Andrea Händler den Salzburger Stier für ihr Programm "Auszeit" und Steinböck&Rudle den Förderpreis der Stadt Mainz zum Deutschen Kleinkunstpreis 1999.

    Letztere hatten am 4. Februar (nach Redaktionsschluß, daher folgt die Rezension erst im nächsten Trottoir) mit ihrem jüngsten Programm "Killerkipferl2" im Wiener Kabarett Niedermair Premiere, wo sie uns in die Welt des Zirkus zauberten, auf’s offene Meer hinausfuhren, die Weltgeschichte erklärten, ein rauschendes Fest feierten und auch diesmal wieder Jean-Paul und Püpp waren.

    Eine tolle Idee hatte der Therapeut und Seminarkabarettist Bernhard Ludwig. Er lädt seit Jahresbeginn und noch bis tief in den Frühling hinein zum sonntäglichen Sex(kt)-Frühstück in die Wiener Kulisse, wo er seine Programm-Hits "Anleitungen zur sexuellen Unzufriedenheit" sowie "Sexual Healing" vorträgt. Wo es immer nur um eine Zentralfrage geht: Können Sie über Ihre sexuellen Unzulänglichkeiten lachen? Nein? Aber vielleicht die anderen. So wie Sie über deren Probleme mit dem eigenen Geschlecht lachen. Also vergessen Sie Ihre Kleinschwänzigkeit, ihre Frigidität und ihre Ohrgasmusprobleme, weil Sie nicht zuhören können. Oder weil Sie Ihre Erwartungshaltung viel zu hoch hinaufgeschraubt haben. Oder weil Sie auch nach 40 Jahren Ehe keine Ahnung haben, wie es Ihr Partner eigentlich wirklich gerne hat. Viel Tamtam also um 2 Kaffeelöfferl Körperflüssigkeit, aber eine Riesengaude.

    Im nächsten Trottoir berichte ich Ihnen dann neben dem Steinböck&Rudle-Programm "Killerkipferl2" auch vom neuen Wurf der Hektiker ("Ich") und jenem von Alf Poier ("Zen"). Servus aus Wien. Willy Zwerger

    Zum Schluß noch ein Video: „BEST OF KABARETT“ - ausgesuchte Höhepunkte der österreichischen Kabarett-Szene ist eine Video-Reihe, deren 2. Cassette jetzt erschienen ist. Von Josef Hader über Die Hektiker bis Andreas Vitasek präsentieren 20 Kleinkünstler Ausschnitte aus ihren aktuellen Programmen. Zu beziehen bei HOANZL Vertriebs GmbH, Wien, Tel.: 0043-1-586 63 10.

    Redaktion: Willy Zwerger

    1999-03-15 | Nr. 22 | Weitere Artikel von: Willy Zwerger