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    Kritik: Lothar von Versen im Charlottchen

    Der Begleiter, früher einmal selber Kabarettist, kann seine Aufregung nicht verbergen. Eine von gemischten Gefühlen begleitete Aufregung. „Lothar von Versen im Charlottchen. Das ist, als ob die Mauer noch steht.“ Zielstrebig strömt das Publikum in das Hinterzimmerchen des Charlottenburger Lokals, das mit Flohmarktmöbeln und blassgelb gestrichenen Raufasertapeten die Gemütlichkeit der Jahre beherbergt, in denen man Milchkaffee aus bauchigen Schalen trank. Am Vortag war es völlig ausverkauft, und auch heute sind fast alle der vierzig Plätze besetzt. Das Licht geht aus und dann kommt Lothar von Versen, und er hat seine Gitarre dabei. „Sag’ mir, wo die Blumen sind“, singt er. Aber statt Blumen heißt es „Aufschwung“, Kabarett verpflichtet, und der Begleiter kneift die Rezensentin in einem Anflug von Gruselgänsehaut ins Bein. Aber dann wird es doch ganz anders.

    „Der Deutschen ihre Heiterkeit“ heißt das Programm, mit dem der ansehnlich ergraute Kabarettist und Barde heute auftritt. Es besteht aus Chansons, einem politischen Sketch und langen, charmant dahergeplauderten Zwischenmoderationen. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Verlust des Berliner Dialekts zugunsten des Turko-Deutschen. „Heute sagt man „Isch geh Tante“, dabei heißt es doch korrekt „Ick geh bei meene Tante“.

    Von Versen ist ein alter Hase, der schon jedes Publikum gemeistert hat und sich nichts mehr beweisen muss. In den Siebzigern hat er in der Liedermacherbewegung angefangen und seither einfach immer weitergemacht. So wird dieser Abend angenehm und kurz: Man sieht einer alten Rampensau zu, wie sie es noch immer genießt, das Publikum in Richtung Lachen oder leerem Schlucken zu lenken, ganz beiläufig und ohne die Leute noch mit kabarettistischem Sendungsbewusstsein zu quälen. Und dann landet er doch ganz beiläufig die eine oder andere politische Pointe. Ein Abend fast so, als hätte man bei von Versen nach langen Jahren wieder einmal im Wohnzimmer gesessen und festgestellt, dass ihn die Zeitläufte überhaupt nicht bitter gemacht haben, dass er immer noch Spaß an sich und einem bisschen Anarchie hat, dass er gerne und recht gut singt und auch die Frauen bis heute liebt. Das ist mehr, als viele Menschen von sich behaupten können. Und das alles, obwohl die Mauer längst nicht mehr steht. 

    Redaktion: Susann Sitzler

    2007-06-15 | Nr. 55 | Weitere Artikel von: Susann Sitzler