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  • Szenen Regionen :: Hamburg

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    Ossis und Wessis, Frauen und Männer

    Ein Signal für Frauen-Power setzte Alma Hoppes Lustspielhaus   zu Beginn der Spielzeit: Dort fand an sechs Abenden eine von Lisa Politt und Maren Kroymann organisierte und moderierte   Frauenleistungsschau - Abt. Kabarett statt, auf der   Großmeisterinnen der Kleinkunst vorgeführt wurden wie zum   Beispiel Nessi Tausendschön und Rosa K. Wirtz, Francesca   de Martin und Barbara Kuster.

    Am ersten Abend präsentierten drei Hamburgerinnen sich selbst und   ihre Sicht auf die Welt: Sybille Hein, halb Schulmädchen, halb   Vamp, reüssierte mit bizarren Chansons über Beziehungen - zu   Weihnachtsmännern oder zu Hunden. Spezielle Verhältnisse bildeten   auch das Thema von Andrea Bongers (einst MäGäDäM), die mit   sprödem Charme und starker Stimme von Stutenbissigkeit auf dem   Eppendorfer Isemarkt sang, vom melancholischen roten Sofa sowie   vom Girl von Ipanema, in ihrem Falle "dick und fett und rund und   schwabbelig". Zwischendurch teilte "Die Patin" Helga Siebert lächelnd   einen verbalen Rundumschlag aus - gegen Gott als Mode-Schöpfer, den   Osten, Männer und Frauen, Computer und Handybenutzer.

    Das alles machte Lust auf die Programme, die diese Damen an anderen Kulturstätten der Stadt aufführen. Doch blieb die Frage: Ist so eine "Leistungsschau" eigens von Frauen heute noch notwendig? Lisa Politt, sonst weibliche Hälfte von Herrchens Frauchen, meinte dazu gegenüber "Trottoir": "Was Männer auf dem Kleinkunst-Sektor leisten, ist nicht unbedingt besser, medial aber immer noch präsenter." Daher habe sie die Vielfalt zeigen wollen, mit der sich Kabarettistinnen heute mit den Strukturen der Gesellschaft beschäftigen - "von intellektuell bis zu purer Anarchie." Politt, die die Frauenleistungsschau als Fortsetzung des bundesweiten Front-Frauen-Festivals versteht: "Wir müssen heute keinen besonderen Blick auf die Gesellschaft mehr werfen, so eine Daseinsberechtigung ist nicht nötig."

    "Brutalstmöglich" hieß die wiederum rein männlich besetzte Hausproduktion, die danach im Lustspielhaus Premiere hatte: Reiner Kröhnert, Henning Venske sowie Alma Hoppe alias die beiden Hausherren Jan-Peter Petersen und Nils Loenicker untersuchten als Ärzte beziehungsweise deren Patienten den Zustand von Rot-Grün.

    Die Vier bewiesen sich erneut als Kabarett-Routiniers, die ihre Pointen gekonnt verabreichten. Es durfte boshaft gelacht werden, etwa über Sentenzen wie "Trittin - der tritt ja immer so auf wie Ammoniak riecht" oder "Politik ist das Eigenheim des Nichts, der Horror Vacui." Symptome der Gesellschaft wurden dabei allerdings mehr gestreift denn reflektiert: ob Gesundheitsreform, Rechtsradikalismus, Kampfhunde, Parteispendenaffäre oder die Möllemannisierung dieser Welt. Statt messerscharfem Röntgenblick und klarer Diagnose lieferten Kröhnert, Venske und Co. unterhaltsamen Politschwank. Sehr viel Applaus bekam einmal mehr Reiner Kröhnert für seine virtuosen Politikerparodien.

    Gleich sieben Herren warfen in den Hamburger Kammerspielen am Vorabend des 3. Oktober ein kaltes Auge auf die deutsche Einheit. "Zehn Jahre danach" hieß das Programm unter der Regie von Intendant Ulrich Waller mit Arnulf Rating, Matthias Deutschmann, Georg Schramm, Matthias Beltz und Heinrich Pachl. Am Piano mit unsäglichen deutschen Schlagern: Alexander Geringas.

    Die fünf renommierten Kleinkünstler, alle aus dem Westen, boten ein despektierliches, witziges Potpourri aus alten und neuen Solo-Nummern, traten jedoch nicht in fruchtbare Dialoge miteinander. Ihr Fazit: Ossis und Wessis passen nicht zueinander. "Zu viele Deutsche auf einem Haufen - das ist nicht gut. Wir kennen das aus dem Urlaub", meinte Arnulf Rating, der anschließend den kranken Volkskörper untersuchte.

    Auch dieser Abend hatte seine Highlights immer dann, wenn über den Lacher hinaus tiefer gegründelt wurde. Zum Beispiel, wenn Georg Schramms als Festredner einen historischen Abriss verpatzter deutscher Vereinigungen gab - schließlich seien wir schon 1848 nur aus Angst vor demokratischen Reformen eine Nation geworden. (Wiederholung am 27. November.)

    Steuermann- und Steuerfrau-Wechsel sowie Jubiläum auf dem hochindividuellen "Schiff": Nach 25 Jahren, jede einzelne der Vorstellungen literarisch-politischer Kleinkunst ausverkauft, übergaben Christa und Eberhard Möbius das Ruder an die Hamburger Theaterleute Anke und Gerd Schlesselmann samt Söhnen Heiko und Björn Schlesselmann.

    "Möbi", weiterhin auf "Schiff" und neuem "Thespiskahn" als Autor, Schauspieler und künstlerischer Leiter tätig, pflegt klassische Kabarett-Tradition - mit eigenen Texten, Weltliteratur und Interpreten von Ustinov bis Lohner. Brandaktuelles Geschehen kommentiert er mit Versen von Walther von der Vogelweide, Ulrich von Hutten oder Erich Kästner: Das ewig Böse, das über den Tag hinaus im Menschen wütet und das couragiert bekämpft werden muss, stellt Möbius damit auf höherem Niveau an den Pranger - und propagiert in Zeiten von "Big Brother" ganz idealistisch die Werte Toleranz und Freiheit. "Die Würde des Menschen wird nur noch verletzt", sagte der auch sozial Engagierte zu Trottoir.

    In Zukunft sollen die Programme auf dem alten Kultur-Dampfer häufiger wechseln. Aktuelles Beispiel im Möbi-Stil: Das Programm "Wer dient schon gern", ein "Bericht aus der Servicewüste Deutschland" mit Eberhard Möbius und dem wunderbar maliziösen Heinz Rennhack (bis 19. Dezember, ausverkauft). Da kämpfen - seltsam vertraut - zwei einander mobbende Kellner unterschiedlichen Alters um ihre Reviere. Die Präpotenz des Deutschen an sich ("Auf die Pauke hau'n will jeder, aber keiner will sie tragen"), rüder Umgang auf allen Ebenen, latenter Antisemitismus, schlechter Kundenservice und Politiker, die man sich nur noch schön trinken kan,  nehmen die beiden Interpreten aufs Doppelkorn, musikalisch pfiffig begleitet von Wolfgang Leonhard (bzw. Christian Rolle). Denn wie sagte schon der 1680 geborene Dichter Barthold Heinrich Brockes, einst Ratsherr zu Hamburg, (nicht nur) über seine Kollegen aus der Politik: "Kein Mensch ist, was er scheint, man weiß sich zu verstellen. Nie stimmt mit dem Gemüt, das Anseh'n überein."                                                                                                                        


    Redaktion: Ulrike Cordes

     

    TERMINE

    Hamburger Termine:

    St.Pauli-Theater:   Herr Holm, "Stille Nacht" mit Dirk Bielefeldt
    (21.11. bis 31.12. tägl. außer Mo.)

    Fliegende Bauten:  The Fabulous Singlettes
    (6.12. bis 31.12.)

    Kleinkunstbühne Bege: Reinbek/Neu-Schönningstedt: MIKOS - Comedy der Meisterklasse aus Moskau  (8.12.)

    Mon Marthe:   Jahres-Ultimo: "Die Patin" Helga Siebert blickt zurück            (11.12. bis 16.12.)

    Alma Hoppes Lustspielhaus:   Hans Scheibner
    (25.12. bis 28.12.)

    Das Schiff:  "Guten Abend, schöne Unbekannte"                     Ringelnatz-Abend mit Heinz Rennhack und Velia Krause                          (7.2. bis 24.6. 2001)

    2000-12-15 | Nr. 29 | Weitere Artikel von: Ulrike Cordes