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    Toller Wiener Kabarett-Herbst

    Olivier Lendl, der Mensch gewordene Comic-Strip unter den Kabarettisten, hat die St. Ingberter Pfanne, einen der arriviertesten deutschen Kleinkunstpreise, gewonnen.
    Apropos Kleinkunstpreis. Bernhard Ludwig, Seminarkabarettist und Therapeut, nahm am 4. September im Vindobona den von den Wiener Stadtwerken gestifteten und mit 100.000 Schilling dotierten Kabarettpreis "Karl ’99" entgegen. Das Duo Kabud (Otmar Kastner & Peter Buda) gewann im Rahmen des Österreichischen Kabarettfestivals (1. - 30. September) den Kabarettförderungspreis ’99 und freute sich über 30.000 Schilling. Gernot Fischer hat den etwas rundlichen Karl entworfen, eine etwa 40 cm große deixfigurenähnliche Figur mit stattlichem Gewicht. Den Preis für die herausragendste und innovativste kabarettistische Leistung übergab Wiener Stadtwerke-Boß Dr. Felix Joklik.
    Der in der Branche mit demonstrativem Stirnrunzeln kommentierte "Österreichische Kabarettpreis" (O-Ton Vindobona-Chef Wolfgang Gratzl) hat momentan noch Akzeptanzprobleme. Zum einen, weil der Vergabemodus des Preises nie transparent gemacht wurde, und zum anderen, weil die Szene der Meinung ist, daß ein österreichweit gültiger Kabarettpreis auch von anderen Spielstätten mitgetragen werden müßte. Wolfgang Gratzl hiezu leicht erzürnt: "Ich verstehe die Aufregung nicht, ist doch der Deutsche Kleinkunstpreis auch an das Mainzer Unterhaus gebunden, so wie eben der Karl an das Vindobona." Peter Glenk, seines Zeichens Marketingbeauftragter der Wiener Stadtwerke, steht jedoch voll und ganz hinter Gratzl und seiner Idee: "Selbstverständlich wird es auch in den nächsten Jahren einen Karl geben. Ich halte die Idee für sehr gut und vor allem für unterstützungswürdig. Außerdem bin ich überzeugt, daß der Karl als ständige Einrichtung der gesamten Kabarettszene nützt." In einem Punkt jedenfalls sind sich alle einig: Mit Bernhard Ludwig hat man einen würdigen Preisträger gefunden. Zumal er nicht nur völlig neue Spektren in der Sparte Kabarett eröffnet hat - "Meine Zuschauer sollen nicht wissen, ob sie in einem Seminar oder in einem Kabarett sitzen" (Ludwig) - und er sich überdies dazu beiträgt, daß nicht nur jeder für sich persönlich etwas vom Kabarettbesuch hat, sondern auch einen Beitrag zur Volksgesundheit leistet. Nicht zuletzt hat er die 100.000 Schilling sofort jenen Schulklassen zur Verfügung gestellt, die als Blutdruck-Scouts die meisten Verwandten und Bekannten dazu bringen, regelmäßig ihren Blutdruck zu kontrollieren. Bernhard Ludwig tourt seit Jahren von ausverkauften Sälen in Österreich zu jenen in Deutschland, in der Schweiz und retour. Seine Programme um die Themen Diätwahnsinn, Herzinfarkt und Sexfrust zählen zweifelsohne zum gleichermaßen Intelligentesten und Lustigsten, was die Kabarettszene derzeit zum Bieten hat. Kabud erhielten den Förderungspreis unter anderem deswegen, weil sie nicht nur die deklarierten Shooting Stars der Kleinkunstszene sind, sondern bereits mit ihrem allerersten Programm mehrere Nummern (Perlzwieberl, Pissoirdialog usw.) landen konnten, die zweifelsohne auf dem besten Weg sind, echte Klassiker zu werden.

    Apropos Klassiker. Von 19. bis 23. Oktober ging es im Wiener Theater am Alsergrund wieder einmal um den Goldenen PSK-Kleinkunstnagel, und erstmals konnte diesen ein Deutscher mit nach Hause nehmen. Christian Springer, diese herrliche Symbiose aus Gerhard Polt, Michael Mittermeier und Eigenständigkeit, überzeugte am Finaltag nicht nur die gestrenge Jury, bestehend aus erfahrenen österreichischen und deutschen Veranstaltern, sondern auch das Wiener Publikum. Was nicht zuletzt auch deswegen bemerkenswert ist, weil mit dem Simmeringer Pepi Hopf und seinen Buben ein wirklich guter Lokalmatador gleich drei Finalisten aus deutschen Landen gegenüberstand. Somit war die Entscheidungsfindung zugunsten Christian Springers eine hauchdünne, letztendlich jedoch eine gerechte. Tom van Hasselt überraschte mit anspruchsvollem und professionell vorgetragenem Liedgut, wobei ihm alleine für sein Michael Jackson-Medley ein Ehrenpreis gut zu Gesicht gepaßt hätte. Etwas weniger gut drauf war an diesem Finalabend Björn Fredrik, was vor allem jene enttäuschte, die ihn Tags zuvor aufgrund einer sensationellen Performance zum Tagessieger kürten.

    Apropos Tagessieger. In für viele unerwartete und eigentlich nicht für möglich gehaltene Dimensionen stieß einmal mehr einer der wichtigsten Impulsgeber unter Österreichs ohnehin nicht allzu kleiner Kabarettisten-Elite, Andreas Vitasek, mit seinem jüngsten Programm "Pscht!" vor. Ein Programm, das wahrlich keinen kalt läßt, das Publikum in eine Zeit-, Gedanken- und Gefühlsreise mitnimmt, aus dem es schlichtweg kein Entrinnen gibt. Vitasek erzählt locker, leicht und mit einem Höchstmaß an Selbstverständnis aus seinem Alltag, macht uns mit all jenen Figuren bekannt, die wir ohnehin schon kennen, in vielen Fällen jedoch bereits der Vergessenheit anvertraut haben. Wahrscheinlich gehen die Geschichten und die Geschichterln, die Vitasek da so im amikalen Plauderton in unsere Herzen setzt, deswegen so oft mit den eigenen Aha- und Achja-Erlebnisen konform. Sein Mut zu erstmals eingesetzten Geräuschen ? da ein Flugzeug, dort ein Kinderlachen ? zeugt von viel Gefühl für das Reduzierte, seine Entschlossenheit, auch dem obligaten Tod in der Schlußnummer einen neuen Charakter zu verpassen, verdient Bewunderung. Alles in allem, ein ungemein reifes, sehr persönliches und durch und durch perfekt auf- und abgebautes Programm. Große Hochachtung! Apropos Hochachtung.Diese verdient auch Ludwig Müller für seinen jüngsten Wurf "Jackpot". Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Er ist ein Wortkaskadeur mit schier unglaublichen Gedankenpiruetten auf einer phantastischen Reise durch die wunderbare Welt der Schmähkraft. Ludwig Müller hat mit "Jackpot" sein mit Abstand bestes - weil reifstes, weil vielfältigstes, weil anspruchsvollstes - Programm abgeliefert. Er konfrontiert sein Publikum ganz bewußt mit ansatzlos hinausgepfefferten Exponaten aus seinem Absurdidätenkabinett, erzählt vom beinamputierten Wawrata, der sich in seiner kleinen Trafik so seine großen Gedanken macht, läßt Mozart mit Beethoven in einem Kaisermühlner Beisl über tiefergelegte Flügel palavern, und läßt uns teilhaben an den beiden Philosophiefraktionen der Yetis. Müller kommt auch in den absurdesten Gagkurven nicht ins Schleudern und zieht seine Humorschleifen oftmals in Höhen, in denen anderen sehr schnell die Luft ausgeht. Fragen schießt er in den Raum wie andere Tontauben, doch kaum in den Hirnen der Zuschauer angekommen, hat er sie mit seinen verblüffenden Antworten auch schon wieder abgeknallt. Und seine musikalischen Ausflüge sind sowieso ein Kapitel für sich. Wenn Andreas Hofer mit seiner Zahnspange sein eigenes Schicksal besingt, wenn es um chinesisches Essen und der damit verbundenen Durstigkeit geht oder das Quintett Brunner & Brunner & Brunner & Brunner & Brunner zum Linzer Faun für die beste zweite Strophe antritt, dann ist das Kabarett vom Allerfeinsten. Ein Riesenlob auch an Mitautor Mike Supancic und an Regisseur Andy Halwaxx. Hut ab! Apropos Hut. Nicht nur sehr fesch, sondern auch sehr verwegen und durchaus authent reitet Kabarettist Alfred Dorfer neuerdings über die Leinwände der heimischen Kinos. Die Botschaft von Dorfers neuestem Wurf, dem Kinofilm "Wanted", ist klar: Wer mit dem realen Leben nicht mehr zurecht kommt, flüchtet in eine Scheinwelt, in eine ganz persönliche Scheinwelt. So auch der Unfallchirurg Thomas (überzeugend gespielt von Dorfer himself), der - von Frau und Operationsglück verlassen - sich freiwillig in eine Psychiatrische Anstalt begibt um dort jederzeit in seine geliebte Westernwelt wechseln zu können. Zwar gelingt es seinem Schulfreund Hermann, mittlerweile Pfarrer geworden und grandios verkörpert von Michael Niavarani, die angesagten Realitätsfluchten immer mehr zu vereiteln um schlußendlich doch zu übersehen, daß die Kraft der Gedanken und der Phantasie weitaus stärker sind als jede im realen Leben beschlossenen Pakte. Immer tiefer und immer öfter zieht Thomas seinen Freund in seine Welt hinüber und läßt es zu, daß dieser daran zerbricht. Denn in seiner Welt wird dieser weiterleben und weiterleben und weiterleben ... Unter der einfühlsamen Regie von Harald Sicheritz ist Dorfer ein stiller, berührender und nachdenklicher Film gelungen, ohne - möglicherweise von vielen erwarteten - Bruhahas und vordergründigen Gags. Die Kabarett- und Schauspielkollegen Dorfers und Niavaranis fügen sich ohne Schwachpunkte in dieses mit vielen liebevollen Details gestrickte Netz an Gefühls- und Geistesverirrungen. Wobei das Irrenhaus als Spiegel unserer Gesellschaft da nur die eine Seite der Parabel darstellt, die stets verwischten und schlußendlich völlig aufgelösten Grenzen zwischen Realität und Irrealität die andere. Wahrlich kein Film zum Ablachen, sondern zum Nachdenken und Nachfühlen. Apropos nachdenken und nachfühlen. I Stangl, seinerzeit begnadeter Solokabarettist und nunmehriger Prinzipal des Wiener Kabaretts Niedermair, hat mit seinem Haus- und Hofautor Hannes Vogler mit "Männer sind bessere Indianer" ein schier sensationelles Kabarettprogramm geschrieben. So führen uns die beiden von einem absurden Indianerstamm über einen ziemlich betroffen machenden Sandler-Dialog zu einigen gesellschaftlichen Zukunftsvisionen in Sachen noch mehr Effizienz. Sprachabspeckung wäre da die eine Möglichkeit, weil kürzere Wörter Zeit sparen helfen, oder die andere eine effiziente Leichenbewirtschaftung, und wieder eine andere personelle Einsparungen, wie bei den Pfarrern oder bei den Kabarettisten. Überzeugend die Rechnung, warum beim Hofer (das österreichische Aldi-Pendant) eine Flasche Rotwein mehr als 15.000 Schilling kostet, köstlich die Ausflüge ins Reich der politisch korrekten Frauenfeindlichkeiten und überaus verblüffend-dramatisch die Rapid-Hooligan-Szene mit dem Blinden. Daß sich Stangl als sexuelles Kosovo sieht und hinter dem Café Hummel (ein traditionsreiches Kaffeehaus in Wien) einen getarnten Swingerclub vermutet, ist die eine Seite, die andere ist das Philosophieren über das Denken an nix im besonderen und über Begrifflichkeiten im allgemeinen. Der Rest ist schnell erzählt, genauso wie die grengeniale Schlußpointe, die man sich keineswegs entgehen lassen sollte. Also auf nach Wien, alle miteinander!

    Ihr Willy Zwerger

    1999-12-15 | Nr. 25 | Weitere Artikel von: Willy Zwerger