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    Trends in der Event- und Unterhaltungsbranche


    Die ZAV Künstlervermittlung ist darstellenden Künstlern ein Begriff. Seit Jahrzehnten vermittelt sie Künstler an Produktionen und Events - und das ohne Provisionen einzu-streichen. Sie ist eine staatliche Agentur. Dort wo man Beamten vermuten möchte, die Dienst nach Vorschrift tun, hat sich in Berlin das genaue Gegenteil entwickelt: Das Team der ZAV Berlin rund um Andrea Wittwer unterstützt Künstler nach Kräften - sogar in der Freizeit. Vermittlerin Andrea Wittwer ist es seit über 30 Jahren ein Anliegen „ihre Künstler“ weiter zu bringen. Neben ihrer Tätigkeit in der Vermittlung engagiert sie sich in der Nachwuchs-förderung, organisiert Showcases, um Künstler vorzustellen, sitzt bei Preisverleihungen in der Jury und veranstaltet regelmäßig einen Stammtisch für Künstler bei dem Gastredner zu relevanten Themen sprechen. 
    Kaum jemand hat soviel Einsicht und Überblick in und auf die Künstlerszene wie Andrea Wittwer. 

    Trottoir-online-Redakteurin Kassandra Knebel sprach mit ZAV-Künstlervermittlerin Andrea Wittwer

    Kassandra Knebel: Kannst du in wenigen Sätzen erklären, was der Künstlerdienst ist, was genau er macht und welche Bereiche es gibt?

    artbild_259_AndreaWittwerAndrea Wittwer:  Wir heißen seit 2007 ZAV Künstlervermittlung (unter dem Dach der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV)) und sind eine Fachvermittlung für Künstler der Bundes-agentur für Arbeit, die in den 1960ern Jahren eingerichtet wurde, um darstellenden Künstlern lang – und kurzfristige Jobs zu vermitteln und auch Firmen eine neutrale Beratung und ein großes, bundesweites Portfolio anzubieten. Auch Bewerber aus künstlerisch-technischen Berufen rund um Bühne und Kamera, die vorrangig ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis suchen, werden vermittelt. Es gibt 7 Dependancen mit unterschied-lichen Bereichen. Ich betreue die Show und Unter-haltung in Berlin.

    Kassandra Knebel: Welche Vorgaben habt Ihr? Müsst Ihr ein bestimmtes Maß an Vermittlungen erfüllen?

    Andrea Wittwer: Es gibt keine direkten Vorgaben, aber die Vermittlungsergebnisse unterliegen einem Controlling der Geschäftsleitung, um die Effektivität zu gewährleisten.

    Kassandra Knebel: Was müssen Künstler erfüllen, damit Ihr sie aufnehmt?

    Andrea Wittwer: Künstler sollten ihrer Bewerbung aussagekräftiges Material mitschicken, um zu sehen, ob wir passende Job-Angebote für die Darbietung haben. Ich schaue mir die Shows vorab gern live an, um sie aus eigenem Erleben beschreiben und einschätzen zu können.

     

     

    Trends der Event- und Unterhaltungsbranche

     

    Kassandra Knebel: Welches sind die Trends der Event- und Unterhaltungsbranche? 

    Andrea Wittwer: Nach den Trends werde ich häufig gefragt. Wenn ich alles genau wüßte, würde ich nicht im öffentlichen Dienst arbeiten, aber ich beobachte natürlich einige Entwicklungen am Markt. Auf jeden Fall ist immer noch ein gagenbedingtes Nord- Süd Gefälle zu sehen. Die Gagen in Berlin liegen oft hinter dem Bundesdurchschnitt, aber nicht mehr in der Höhe wie noch vor 5 Jahren. 

    Kassandra Knebel: Werden bestimmte Dinge mehr nachgefragt, andere weniger?  Haben sich die Veranstaltungen verändert? 

    Andrea Wittwer: Auftraggeber buchen gern komplette Shows, die sie in Varietés oder in Dinnershows sehen. Die sogenannten festen Häuser gibt es flächendeckend in ganz Deutschland und sie sind nach wie vor beliebt bei Künstlern und Publikum. Die Artistik erfreut sich seit einigen Jahren einer großen Beliebtheit; Sportlerbälle und Festivals belegen das. 
    Auch sind nonverbale Darbietungen in Berlin vermehrt nachgefragt. Das liegt im Grunde daran, dass internationale Gäste immer häufiger die Shows besuchen und Firmen verschie-dene Standorte haben.
    Der Norden feiert zu allen möglichen Terminen gern ein Oktoberfest, und die Senioren-einrichtungen mit entsprechenden Künstleranfragen werden immer mehr. Grundsätzlich kann man sagen, dass Mottoveranstaltungen und Partys immer noch der Trend sind.

    Kassandra Knebel: Wie hat sich die Arbeit des Künstlerdienst, also eure Vermittlungs-arbeit in den letzten Jahren verändert? 

    Andrea Wittwer: In den 80er Jahren habe ich mit meinem Mentor und Kollegen Werner Bode (nun in der ZAV Hannover) die Berliner Kleinkunstszene aufgebaut. Wir hatten unglaublich viel Spaß mit den ganzen kreativen Köpfen in der Stadt. Außerdem hatten wir in ganz Deutschland die sogenannten Gala- und Ballveranstaltungen. Spätestens seit Anfang des Jahrtausends ist diese Szene leider so gut wie ausgestorben, das heißt der Charakter der Veranstaltungen hat sich einfach verändert.

    Kassandra Knebel: Durch die Digitalisierung und die Verlagerung ins Internet gehen die Anfragen an Agenturen zurück. Kommt das auch bei Euch an?

    Andrea Wittwer: Das Internet macht sich natürlich auch bei uns bemerkbar. Die Kunden besetzen Ihre Feiern häufig über Eigensuche im Internet Allerdings: Der Beratungsbedarf steigt wieder.

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    Künstler-Gagen

     
    Kassandra Knebel: Wie siehst Du die Gagen-Entwicklung in den letzten Jahren?

    Andrea Wittwer: Künstler haben die Gagen nach unten korrigiert, in Berlin gibt es eine starke Ansammlung von Künstlern - "Jobs gehen durch mehr Teile“. Das sogenannte mittlere Segment auf der Seiten der Kundenanfragen scheint sich auszudünnen. Budgetkürzungen bei größeren Veranstaltungen - statt drei  Darbietungen werden zwei gebucht -  oder ein namhafter Künstler.

    Kassandra Knebel: Wie verändert sich die Situation der Künstler?

    Andrea Wittwer: Die Künstler sind oft gezwungen und müssen 2-3-gleisig fahren, um zu überleben. Kaum ein Künstler bietet nur noch eine Show an. Künstler entwickeln Mix-Shows, die an Locations verkauft werden. Ich beobachte leider auch die Entwicklung einer 2 Klassen Gesellschaft bei Künstlern. 

    Kassandra Knebel: Wie hat sich das Buchungsverhalten der Kunden in den letzten Jahren verändert? Was sind hier die Aussichten?

    Andrea Wittwer:
    • Castingshows und Dinnershows beeinflussen das Buchungsverhalten der Kunden.
    • Künstlerfestivals liegen im Trend – Kunden engagieren gern vor Ort.
    • Nebenkosten bei Veranstaltungen wie GeMA, Technikkosten, Saalmieten und KSK beeinflussen das Gagenniveau. 
    • Die Einspielbeteiligung über den Eintritt erfreut sich immer mehr Beliebtheit und auch eine Risikoverteilung (Gage nach 8 Wochen). 
    • Die Künstler werden oft zuletzt gebucht – nach dem Motto: „Haben wir eigentlich jemanden, der da auf der Bühne was macht….. ??“ 
    Das Standing der Künstler gleicht oft der Blumendeko und da muß aus meiner Sicht ein faires Verhältnis geschaffen werden. Ich arbeite daran!

    Kassandra Knebel: Wie geht Ihr vor, wenn Kunden zu niedrige Gagen zahlen wollen? 

    Andrea Wittwer:
    Dumping wird nicht bedient.

    Kassandra Knebel: Künstlergagen sind unglaublich unterschiedlich. Es gibt sowohl Hungerlöhne als auch saftige Gagen. Welche Art Künstler bekommen hohe Gagen bezahlt? 

    Andrea Wittwer: Das war schon immer so
    je seltener etwas auf dem Markt auftaucht, um so höher kann die Gage sein. 

    Kassandra Knebel: Woran liegt das? 

    Andrea Wittwer: Wenn Kunstrichtungen inflationär kopiert werden, sind sie nicht mehr so wertig aus Sicht der Kunden.

    Kassandra Knebel: Was macht die Arbeit dieser Künstler so gut bezahlt? 

    Andrea Wittwer:
    Gutes Timing!

    Kassandra Knebel: Sind eher Kunst oder Marketing entscheidend? 

    Andrea Wittwer: Marketing hat sehr viel mehr Stellenwert als vor 15 Jahren. Existierst Du online nicht, findest Du nicht statt.

    Kassandra Knebel: Was können andere Künstler tun, um ihren Gagen zu verbessern? 

    Andrea Wittwer:
    Das Alleinstellungsmerkmal erarbeiten und promoten.

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    Fragen zum Künstler-Stammtisch

     
    Kassandra Knebel: In der Berliner Künstler-Szene bist Du ein Begriff, denn Du organisierst in Deiner Freizeit einen Stammtisch für Künstler. Wie und wann kamst Du auf die Idee?

    Andrea Wittwer: Im Jahr 2006 habe ich mich entschlossen dieses Netzwerk entstehen zu lassen, bei dem ich bereits etliche Gastredner zu verschiedenen Themen wie Vertrags- , Steuer oder Datenschutzrecht oder auch Festivalbetreiber einladen konnte. 

    Kassandra Knebel: Was genau geschieht da?

    Andrea Wittwer: Der Stammtisch ist im Grunde eine Infoveranstaltung für alle darstellenden Künstler aus meinem Arbeitsgebiet. Der alte Begriff wurde dabei in voller Absicht von mir gewählt. Die Künstler benötigen oft Hilfestellung in beruflichen Fragen und ich fühlte mich berufen, etwas zu unternehmen. Seit 11 Jahren suche ich nun interessante Themen und organisiere die Räume und Gastredner. Wie sage ich immer: „Einer muß es ja machen!“ :-)

    Kassandra Knebel: Was ist Dein Ziel? Was wünschst Du dir diesbezüglich?

    Andrea Wittwer: Ich bin mit meiner Zweitfamilie und dem Job bereits so verwachsen, dass es mir ein Bedürfnis ist, etwas zu bewegen und später vielleicht auch eine Spur zu hinter-lassen. 

    Kassandra Knebel: Was hat sich dadurch bewegt?

    Andrea Wittwer: Durch meinen Stammtisch sind schon einige Kooperationen und Ensembles entstanden.

     

     


    Fragen zur Situation der Künstler

     
    Kassandra Knebel: Du kennst unglaublich viele Künstler. Gibt es Themen, die alle verbinden? 

    Andrea Wittwer:
    Ja, das Überleben.

    Kassandra Knebel: Wie sollten Künstler damit umgehen? 

    Andrea Wittwer: Flexibel, offen und kreativ bleiben.

    Kassandra Knebel: Gibt es Initiativen oder Organisationen, die Künstler unterstützen? 

    Andrea Wittwer: Unter anderem -  Deutscher Kulturrat, Bundesverband Schauspiel, Pensionskasse Rundfunk, Bühnengenossenschaft etc.

    Kassandra Knebel: Was können Künstler selbst tun?

    Andrea Wittwer: Man sollte den Arbeitsmarkt für Künstler immer im Auge behalten und nicht erst etwas an der Darbietung ändern, wenn man nicht mehr gebucht wird. So lange es Künstler und Bühnen gibt, gibt es Trends, die für ein paar Jahre aktuell sind. Dinge ändern sich eben. Du hast die Wahl: Gut sein, gut werden oder aufgeben!

    Kassandra Knebel: Was sind die größten Herausforderungen der Künstler? Und welche möglichen Lösungsansätze siehst Du?
     
    Andrea Wittwer: Ich arbeite seit 34 Jahren für die ZAV KV beziehungsweise den „Künstlerdienst“. Leider sind die darstellenden Künstler noch nicht so gut aufgestellt wie beispielsweise der Schauspielbereich. Das liegt aus meiner Sicht unter anderem an der gesellschaftlichen Betrachtungsweise. Die klassischen Musiker und Tänzer werden als Künstler anerkannt und behandelt und finden auch politische Beachtung. Der Unterhaltungs-bereich läuft oft nur mit. Auch daran versuche ich zu arbeiten – es gibt bereits Gespräche zur Gründung einer Künstlerinitiative. Arbeit zieht eben Arbeit nach sich.

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    Fragen zu Andrea Wittwers Arbeit

     
    Kassandra Knebel: Du fährst sehr viel im ganzen Land herum. Was machst Du denn alles?

    Andrea Wittwer: Ich bin auf ca. 100 Veranstaltungen oder Festivals / Börsen im Jahr. Für mich ist das das Selbstverständnis des Jobs. Bevor ich einen Künstler anbiete, muß ich ihn erlebt haben, um es dem Kunden passgenau anzubieten. Stammkunden suchen jedes Jahr eine neue Show, bestimmte Themen einer VA benötigen bestimmte Künstler, es gibt räumliche Gegebenheiten, die beachtet werden müssen und es gibt natürlich auch regionale Besonderheiten (Humor oder Tradition).

     


    Kassandra Knebel: Du kümmerst Dich auch um die Nachwuchsförderung. Wie sieht das aus?

    Andrea Wittwer: Ich habe Kontakt zur staatlichen Artistenschule und der ETAGE in Berlin.

     

    Kassandra Knebel: Du hast das Ensemble Young & Fresh ins Leben gerufen. Was ist das?

    Andrea Wittwer: Das ist ein Künstlerensemble, welches durch meine  Netzwerke entstanden ist und schon mit Erfolg an Veranstalter verkauft wurde. Vom Prinzip ist das eine Mottoshow, die als Nummernprogramm gezeigt wird. Ein Moderator mit jungen Artisten unterhält die Gäste zwischen 50 – 120 Minuten. Man könnte auch sagen, dass es eine artistische Comedyshow ist. Ich denke, dass neben den großartigen Produktionen in den festen Häusern auch immer noch die gute, alte Unterhaltung nicht zu kurz kommen sollte. Das Konzept ist einfach, geht aber durch die flexible Gestaltung gut auf. Es ist abwechslungsreich und der Zuschauer kann lachen, staunen und auch ein wenig träumen.

    Kassandra Knebel: Du organisierst Showcases? Was genau geschieht da? 

    Andrea Wittwer: Das sind interne Kundenveranstaltungen, die nicht öffentlich sind. Ich präsentiere 2 mal im Jahr neue und bewährte Künstler in einer ca. 2-stündigen Show. Eintrittsgelder fließen da nicht.

     

    Kassandra Knebel: Du sitzt öfter mal in einer Jury. Was ist Dir dabei wichtig? In welchen Jurys hast Du schon gesessen?

    Andrea Wittwer:
    Ein Künstlervermittler sollte ständig am Puls der Zeit bleiben und seinen künstlerischen Horizont regelmäßig erweitern. Nur so kann er Gespräche auf Augenhöhe führen.

    Kassandra Knebel: Was machst Du noch? Welche Tätigkeit macht Dir am meisten Spaß?

    Andrea Wittwer:
    Ich habe den besten Job, den man sich im öffentlichen Dienst vorstellen kann. Und jeder der das liest, kann sich erst in ca. 14 Jahren auf meinen Job freuen. :-)

     

    Kassandra Knebel: Was nervt Dich an Deiner Arbeit?

    Andrea Wittwer:
    Jeder Beruf und jede Arbeitsstelle hat Schattenseiten. Es gibt Dinge, die ich nicht ändern kann, aber ich kann aufhören, mich von Ihnen faszinieren zu lassen.

    Kassandra Knebel: Warum machst Du Deine Arbeit gerne?

    Andrea Wittwer:
    Mein Vater war Taxifahrer, meine Mutter Verkäuferin. Ich fahre ständig durch die Gegend und verkaufe Künstler. So ist die Ordnung wieder hergestellt.

     

    Tips

     
    Kassandra Knebel: Wie sollte ein Künstler aufgestellt sein, damit er gute Chancen auf Vermittlung hat? 

    Andrea Wittwer:
    Nicht einfach nur das machen, was alle machen.

    Kassandra Knebel: Was sollte er auf keinen Fall tun? Was sind die Dos and Donts?

    Andrea Wittwer:
    Das ist schwer, aber ein Dont:
    Sich unwiderstehlich finden.

              

    Kassandra Knebel: Welche Tips kannst Du Künstlern geben?

    Andrea Wittwer:
    Niemals aufgeben. Mut steht am Anfang jedes Handelns, Glück am Ende!


    Redaktion:
    Kassandra Knebel



    2017-10-07 | Nr. 97 | Weitere Artikel von: Kassandra Knebel