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    Über die Kunst des Spagat

    "Heaven is in Germany" heißt das neue Programm von Sven Ratzke, zu dessen deutscher Vorpremiere das Kulturfenster in Heidelberg lud (19.und 20.04.). Die familiäre Atmosphäre bot dem Künstler Gelegenheit, sein Programm, in dem sich neben eigenen Stücken auch Lieder von Cora Frost und Hildegard Knef finden, einer Feuertaufe unter Freunden zu unterziehen. Ab September geht es auf Deutschlandtournee. An diesen Abenden war die Melancholie Ratzkes zuweilen so schön, dass man sich darin verlieren mochte, etwa beim Chanson "Berlin". Von Uwe Matschke sensibel am Piano geführt, agierte Ratzke auch wie ein Schauspieler. Wagt sich Ratzke an die Knef, dann trägt seine Stimme, aber für seine 25 Lenze wirkt er dann einfach zu alt. Gegen Ende des Programms bog Ratzke mit seiner Homage an Roy Black den Spannungsbogen unnötig nach unten. Man hätte es Ratzke verziehen, politisch zu werden, wenn er die Anspielungen auf Bahnchef Mehdorn aus dem Publikum zu deuten gewußt hätte. Statt den Spagat zwischen Lyrik und Politik zu riskieren, hätte Ratzke besser getan, sein Publikum allein mit der Kraft seiner Poesie zu verzaubern. Seine subtil zarten Texte liefern mit Sätzen wie "Bei diesem ohne dich werde ich nicht älter, ich muss nur irre viel verreisen" viel Raum für Phantasie.

    Am 5. Juli gastierte die United Slapstickshow 2002 mit Mario Ecard, Kai Eikermann und Earl Okin in der „Mannheimer Klapsmühl'“. Mario Ecard spielte den faden Sachsen Ronald Hartmann, der Single ist und eine Frau mit den Interessen "Skat, Fußball und Fernseh gucken" sucht. Ronald ist Stimmimitator und hat sein Handwerk bei einem Crashkurs für 1000 Mark gelernt. Jetzt kann er Captain Kirk, Leutnant O’Hura und alle Klingonen imitieren. Wenn er von den "unendlichen Weiden" des Weltraums erzählt und die Titelmelodie zur einschlägig bekannten Weltraumserie kreischt, dann ist das ein Angriff auf die Lachmuskeln. Mr. Electric-Boogie Kai Eikermann glänzte nicht in seiner Rolle als "virtueller Moderationsrobotor Robert van der Telekom", dem aus der Werbung entlehnten Maschinenmenschen. Wo aber die Worte fehlten, da konnte das Publikum staunen. Eikermann brachte die Bewegung auf die Bühne, die nötig war, um die Show am Laufen zu halten. Wenn Kai Eikermann seinen nicht eben zierlichen Körper geschmeidig in eine lebende Treppe verwandelt, dann wird er im wahrsten Sinne des Wortes zum Bauch der wild zusammengestückelten Truppe. Unangefochtener Star des Abends aber war der Brite Earl Okin. Mit dem Sexappeal eines Henry Kissingers betritt er die Bühne als perfekter Gentleman mit Gitarre und Gamaschen, klettert auf den Barhocker und bekennt lapidar "I am a bit of a sex symbol and I´m feeling horny tonight". Was er nun mit dem Publikum anstellt, nennt er "save group sex". Okin singt mit lasziv bebender Unterlippe und geschmeidig schönem Bariton. Seufzen, Stöhnen und Winseln, er kennt die ganze Bandbreite erotischer Lautmalerei. Willig folgt ihm das Publikum, bis zu der Stelle, an der er einen Orgasmus verlangt. Fraglich, ob die Show ohne Okin eigentlich funktioniert hätte.

    Eigentlich ist für den Heidelberger Autor und Kabarettisten Thomas C. Breuer ein wichtiges Wort, denn eigentlich ist er Autor. Trotzdem lebt er ein Leben als Chamäleon, denn Breuer kann das Tingeln einfach nicht lassen. 60 bis 70 Bühnenauftritte in Deutschland und der Schweiz absolviert er im Jahr, um seine Texte zu inszenieren. Die sind scharfzüngig kurz, doppeldeutig wendig und treffsicher wirksam. Breuer versteht sich als Wilderer im Kabarettrevier. Was er damit meint, hat er in seinen 104 einseitigen Betrachtungen im Band "Stadt Land Blues" zusammen getragen (Augsburg: MaroVerlag, 2000). Jetzt feiert der Kabarettist wider Selbstbild sein 25. Bühnenjubiläum mit dem neuen Programm "Piranha Sushi". Bei seinem 19. Programm seit 1977 wendet sich Breuer gegen den Stumpfsinn der Unterhaltung im modernen Medienzeitalter. Als fiktiver Gast in Bioleks Kochstudio wird ein scharfzüngiges Sushi für Fortgeschrittene angerichtet. Piranha Sushi bietet in mundgerechten Kurzsequenzen einen Abgesang auf die Spasskultur der Event-Gesellschaft. Was es wohl zu bedeuten hat, dass ausgerechnet in diesem Sommer tatsächlich ein Piranha aus dem Heidelberger Neckar gefischt wurde? Am 25. November gibt Breuer im Rahmen des Heidelberger "Zungenschlag" ein Solo von zehn Minuten. Dann wird er sein "Hirn wieder abtropfen lassen", wie er es nennt und sich von den zweieinhalb Minuten Kabarett Episoden abwenden, um an seinem nächsten Roman zu arbeiten. Der aktuelle Roman erscheint im September ("Paradise, etc." MaroVerlag: Augsburg).

    Die Kunst des Spagat beherrschen auch die Macher des Sozio-Kulturellen Zentrums Karlstorbahnhof in Heidelberg, denn von Hip Hop Musik bis Kleinkunst wird hier ein Programm gemacht, das verschiedene Szenen bedient. Jetzt soll vom 17. bis 25. Januar 2003 erstmals ein Festival über die Bühne gehen, das nur der Sparte Kleinkunst gewidmet ist. Matthias Paul vom Theaterverein TiKK, und Dagmar Fiedler, Kleinkunst und Kabarett Veranstalterin, wollen ein Festival etablieren, das wie ein Kaleidoskop das Spektrum Kleinkunst zeigt. Seit 1999 ist Dagmar Fiedler mit ihrem Programm am Karlstorbahnhof. Fiedler, die 1993 aus dem kreativen Umfeld des Berliner Mehringhof Theaters nach Heidelberg kam, hat sich als freie Veranstalterin in der Region einen Namen gemacht. Immer wieder hat sie Geschick bewiesen, wenn es galt, große Namen auf Bühnen zu bringen, die für die Sparte bislang wenig bekannt waren. So gab Matthias Beltz am 24. März 2002 auf der Bühne des Karlstorbahnhofes sein letztes Gastspiel. Das Kleinkunstfestival soll mit dem temporeichen Akt Art Sports eröffnet werden: Schauspieler, Musiker, bildende Künstler und Dichter treten auf Zuruf des Publikums in zwei Mannschaften gegeneinander an und buhlen um die Gunst desselben. Fest stehen unter anderem Programmpunkte wie Klaus Birk, der mit seinem Programm "Loslassen", Jess Jochimsen mit dem "Dosenmilchtrauma", der Clown Arthur Senkrecht und Marc Britton vom Nickelodeon Theatre. Mit einer Variete-Show soll das Festival am Abend des 25. Januars glanzvoll beendet werden. Das Programm wird bis Anfang Dezember in gedruckter Form vorliegen.

    Redaktion: Sibylle Zerr


    Termine Heidelberg

    Karlstorbahnhof

    10.10. Bülent Ceylan

    19.10. Ringswandl & Band

    24.10. Andreas Giebel

    9.11. Christian Habekost

    14.11. Johann Köhnich

    5.12. Pigor & Eichhorn

    11.12 Fank Lüdecke

    17. bis 25.01.2003 Kleinkunstfestival 


    Zungenschlag, Theater der Stadt Heidelberg

    25.11. u.a. mit Thomas C. Breuer


    Kulturfenster

    11.10. Bernd Gieseking

    18. und 19.10. Podewitz

    30.10. Stefan Sulke

    31.10. Bernhard Bentgens, "Fühl-Vergnügen!" (Premiere)

    08.11. Coco Camelle

    07.12. Matthias Brodowy

    2002-09-15 | Nr. 36 | Weitere Artikel von: Sibylle Zerr