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  • Themen-Fokus :: Clown | Mime

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    Was macht ein Krankenhaus-Clown, wenn er selber unheilbar krank wird ?


    About a Clown


    artbild_200_kolbEr hat ein sehr bewegtes Leben: Eric J. Kolb wuchs in den USA auf. Bis zu einer Verletzung war er Sportler, dann studierte er Mathe. Alles änderte sich, als er eines Tages ein paar deutsche Studenten auf dem Campus traf, die jonglierten. Jonglieren wurde zu seiner Leidenschaft. Er ging nach Europa, um dort Straßenkünstler zu werden. Er trainierte sehr hart; wurde Clown und Klinikclown und eröffnete sogar ein eigenes Theater.
    Irgendwann merkte er, dass sein rechter Arm nicht mehr ganz so wollte wie er. Die Diagnose: Fazio-skapulo-humerale Muskeldystrophie (FSH MD) -  fortschreitender Muskelschwund, nicht heilbar. Obwohl er zunehmend schwächer wurde und trotz Rollstuhl, beschloss Eric, dass sein Leben genauso bewegt bleiben würde wie bisher und dass Humor auch weiterhin die Hauptrolle spielen sollte. Er wechselte einfach die Perspektive...


    Kassandra Knebel hat für Trottoir-online Clown und Psychologe Eric J. Kolb interviewt.

    Kassandra Knebel:
    Hallo Eric! Du bist Clown - bitte erzähle uns davon!

    Eric J. Kolb: Ja, ich sammle Augenblicke (Heinrich Böll, Ansichten eines Clowns). Ein Clown ist niemand, der lustige Sachen macht, eine rote Nase und bunte Kleider trägt und Leute zum Lachen bringen will. Nein, ein Clown veranlasst, dass lustige Sachen passieren. Er ist jemand, der irgendwie anders aussieht. Er zielt nicht auf das Lachen ab, sondern darauf menschlich zu berühren. 

    Kassandra Knebel: Bitte beschreibe Deine Arbeit?

    Eric J. Kolb: Als Clown habe ich in 3 Bereichen des Humors gearbeitet: Das war zum einen der kommerzielle Bereich, das heißt Events, Messen, Hochzeiten - also alles womit man durch Humor seine Brötchen verdienen kann. Der zweite Bereich war mein eigenes Theater, indem Impro- und Comedyshows stattfanden. Bereich drei war das therapeutische Feld: Ich habe als Klinikclown gearbeitet - also von Zimmer zu Zimmer, jeweils 15 Minuten; und als therapeutischer Clown, das heißt, ich habe den Heilungsprozess von Patienten langfristig intensiv begleitet - mit jonglieren, zaubern und Theatertechniken.

    Jetzt arbeite ich als Psychologe. Ich bemühe mich, der Welt der Psychologie zu zeigen, dass die Darstellenden Künste menschliches Verhalten schon viel länger studiert haben als die Psychologie. Die Darstellenden Künste bringen Hinweise auf Fragen, die in der wissenschaftlichen Psychologie noch unbeantwortet geblieben sind. Zum Beispiel in den Bereichen Humor und Emotionen, denn dort ist sehr viel ungeklärt.

    Kassandra Knebel: Was macht den Clown wichtig?  

    Eric J. Kolb: Das Spiel. Als Psychologe interessiere ich mich für kindliche Entwicklung, wobei das Spiel hierbei eine große Rolle spielt. Wenn Probleme in der Entwicklung auftauchen, dann wirkt sich das negativ auf das Spielvermögen des Kindes aus. Ein guter Clown kann das wieder ankurbeln.

    Kassandra Knebel: Wie kamst Du zum Clowns- Beruf? Wie war Dein Weg?

    Eric J. Kolb: Ich habe in meinem Heimatland USA meinen Bachelor in Mathe gemacht und kann danach nach Europa. Eigentlich wollte ich nur einen Sommer lang Straßentheater machen auf den Weinfesten im Rhein-Main-Gebiet. Eines führte zum anderen und ich beschloss mit dem Theater professionell weiter zu machen.

    Kassandra Knebel: Du hast auch Strassentheater gemacht. Was waren Deine Erfahrungen?

    Eric J. Kolb: Die Straße war meine Schule. Ich dachte, ich hätte genug Geld, um drei Monate in Europa zu bleiben. Aber ich merkte sehr bald, dass mein Geld nur für einen Monat reichen würde. Das heißt, ich musste mit Strassentheater sehr schnell Geld verdienen - oder hungern. Ich war überrascht, wie gut mein Programm ankam, denn ich sprach erst wenig deutsch. Ich habe mich in englisch-deutschem Kauderwelsch über uns Amis lustig gemacht - und diese Art der Selbstkritik war im Raum Frankfurt 1995 eine Attraktion. Danach bin ich für eine Weile nach Frankreich gegangen. Dort lernte ich, das es scheißegal ist, wie gut ich jonglieren kann: denn wenn die Leute sich nicht für meinen Comedy-Charakter interessieren, dann sind ihnen auch meine Bälle egal.

    Kassandra Knebel: Du hast als Klinik- Clown gearbeitet. Was nimmst Du daraus mit?

    artbild_250_CRW_8727Eric J. Kolb: Klinikclowns und andere Leute sagen, dass Humor die beste Medizin ist. Wenn das so ist, dann muss diese Arznei auch verschrieben, dosiert und verabreicht werden. Das heißt, ich muss als Clown-Doktor mein Gegenüber sehr genau wahrnehmen und entscheiden, welche Art von Humor dem Patienten gut tut - und das dann so umsetzen, dass ich ihn nicht überfordere. Gegebenenfalls muss ich meine Medikation sofort ändern. Ich muss komplett im Moment und flexibel sein. Denn es geht um den Patienten, nicht um mich oder meine Show. Als Clown habe ich die Erfahrung gemacht, dass Humor helfen kann, deshalb wollte ich mehr über die psychologischen Hintergründe des Humors erfahren. Und so habe ich angefangen, meinen Master in Psychologie zu machen - mit Fokus auf die psychologischen Aspekte des Humors.

    Kassandra Knebel: Du bist erkrankt - Wie gehst Du damit um?

    Eric J. Kolb: Als ich die Diagnose "Fazio-skapulo-humerale Muskeldystrophie" bekam, hatte ich schon ein paar Jahre als Clown-Doktor auf dem Buckel. Für eine ganze Weile war ich ziemlich am Boden zerstört. Aber die Arbeit als Klinik Clown hat mir unheimlich viel geholfen. Und auch umgekehrt: die Tatsache, dass ich eine chronisch progressive und lähmende Krankheit hatte, gab mir Einsichten, die man sonst nicht verstehen kann.

    Kassandra Knebel: Welche Einschränkungen hast Du dadurch?

    Eric J. Kolb: Als meine Krankheit voranschritt, wurden natürlich auch meine Comedy- Charaktere immer eingeschränkter. Einmal bei einem Spaß-Kellner Auftritt sagte mir ein Kunde, dass er die Show bis jetzt gut fände und bat mich, ich möge von jetzt an nicht mehr so körperlich behindert spielen. Ab dem Moment ahnte ich, dass mein Performance Vermögen bald aufgebraucht und mein Leben auf der Bühne bald abgeschlossen sein würde.

    Kassandra Knebel: Wie hast Du auf den Kunden reagiert?

    Eric J. Kolb: Ich habe ihnen gesagt, dass es einen Grund gibt dafür, dass ich mich behindert bewege. Dass ich es ihnen gerne sage, aber sie sich dann schlecht fühlen werden. Sie wollten es trotzdem wissen. Dann sagte ich: "Der Grund, dass ich mich behindert bewege ist, dass ich behindert bin." Für uns alle eine seltsame Situation. Was soll ich sagen – es gab sehr viel Trinkgeld. Lach.

    Kassandra Knebel: Was machst du jetzt?

    artbild_250_Tag2_013Eric J. Kolb: Gerade schreibe ich an meiner Dissertation über Emotionen. Genauer gesagt über den Moment, in dem ein emotionaler Prozess beginnt. Noch immer ist es ein Mysterium, was genau es ist, dass Emotionen auslöst. Ein Beispiel: fünf Leute sehen eine Spinne. Einer springt auf den Stuhl, der andere will die Spinne sofort töten, der nächste will sie fangen und genauer ansehen; der eine kriegt Brechreiz und der andere lässt sich beim Essen nicht stören. Wie oft sagen wir: Du machst mich traurig oder das macht mich sauer. Aber so ist es ja nicht. Die Emotionen kommen nicht von außerhalb. Spinnen an sich machen keine Angst. Das Gefühl der Angst kommt aus dem Körper – aber woher? Ich habe dazu eine Theorie: Im Clowns-Spiel oder im Impro-Theater gibt es das Konzept von Status. Zu einem gewissen Grad wird dieses Konzept in praktisch allen Darstellenden Künsten genutzt. Ich glaube, dass Status etwas mit der Zündung der Emotionen zu tun hat. Gerade bereite ich ein wissenschaftliches Experiment vor um dies zu testen.

    Kassandra Knebel: Inwieweit bist Du als Clown noch aktiv?

    Eric J. Kolb: Ich gehe mit meiner Tochter auf Spielplätze und baue dort eine Slagline auf. Oder wir machen spontan Walkacts zusammen. Das Clown-sein, das Spielen, das Schauspiel und der Humor – das alles bringe ich natürlich nicht nur in meine psychologische Arbeit mit ein, sondern auch in die Erziehung meiner Kinder.

    Kassandra Knebel: Gibt es Clowns mit einer Behinderung?

    artbild_250_DSCN0402Eric J. Kolb: Naja, Clowns-Charaktere werden gern mit der ein oder anderen Art der Behinderung versehen. Mal ist ein Clown zu groß oder zu klein oder zu irgendwas. Ein Problem muss man immer schaffen und dieses dann auf unerwartete Art und Weise lösen. Am Anfang ging das bei mir auch mit FSH MD ganz gut. Aber am Ende des Tages, wenn ich meinen Hut und meine Schuhe auszog und meinen Koffer abstellte, war ich immer noch muskelkrank. Ich musste mein Clownsspiel ändern, d.h. weniger Slapstick und dafür mehr Wortwitz machen. Aber es wurde mir klar, dass ich nicht mehr so gut war wie einst. Also entschied ich mich dafür, die Bühne endgültig zu verlassen. Ich habe immer wieder Ideen eine Zaubernummer zu machen oder Impro-Storytelling oder so was. Ich zaubere hier und da ein bisschen und kann noch drei Bälle in einer Hand für einen kurzen Moment jonglieren. Aber das Clowns Leben als Geschäft weiter zu machen, das geht einfach nicht mehr. Das ist traurig, aber durch mein Leben als Clown bin ich nun als Psychologe besser, als ich damals als Clown war.

    Kassandra Knebel: Wie reagieren die Leute?

    Eric J. Kolb: Auf mich? Ich kann so ziemlich jede Reaktion bekommen, die ich will.

    Kassandra Knebel: Du arbeitest jetzt als Psychologe? Inwieweit beeinflusst Dein Clown Deine Arbeit?

    Eric J. Kolb: Alles, was ich als Clown erlebt habe, untersuche ich jetzt wissenschaftlich. Mein Ziel ist es, der Welt der wissenschaftlichen Psychologie das Konzept von Status vorzustellen. Ich hoffe, mit dem Konzept von Status eine Messung emotionaler Kommunikation machen zu können. Dies basiert auf meiner Theorie, dass emotionale Kommunikation in der Realität genauso wie in der Improvisation funktioniert. Und zwar durch kleine Änderungen im Status, die sich durch Mimik, Geste, Haltung und Aktionen einer Person zeigen. Schließlich ist Improvisation die Kunst, Realität auf einer Bühne zu präsentieren.

    Kassandra Knebel: Du hast ausführlich über Humor geschrieben. In welchem Rahmen?

    Eric J. Kolb: Während meiner Master Arbeit habe ich sehr viel über die wissenschaftlichen Erkenntnisse über Humor gelernt -  und kam zu dem Schluss, dass die wissenschaftliche Psychologie überhaupt keine Ahnung von Humor hat. Es war sehr frustrierend. Meine Arbeiten wurden bemängelt, weil ich mich auf Autoren bezog wie Chaplin, Atkins, Fields und andere der ganz großen Komiker. Es hieß, sie seien keine Psychologen und hätten deswegen keine Ahnung von Humor. Was soll man dazu sagen? Es war sehr frustrierend und stressig, genau wie ich es mag. Also, wenn ich ein PhD. hinter meinem Name brauche, um mir eine Stimme in der Welt der wissenschaftlichen Psychologie zu ergattern, dann mache ich das eben. Sobald ich das Konzept von Status in die Psychologie eingebracht habe und sobald ich den richtigen Buchstaben hinter meinem Namen habe, werde ich mich sofort wieder mit den Psycho-Humor-Spezialisten anlegen.

    Kassandra Knebel: Kannst Du die Essenz des Humors kurz für uns zusammen fassen?

    Eric J. Kolb: In der Psychologie ist das so: Wenn man Humor studieren will, dann muss man ihn erst mal definieren. Man unterteilt feinsäuberlich in verschiedene Arten des Humors -  zum Beispiel schwarzen Humor, sexuellen Humor, Wortwitz, rassistischen Humor usw.. Jede Unterart ist ganz genau definiert, aber auf diese Weise verpasst man in der Psychologie das grosse Bild des Humors.

    Ich definiere Humor als die Fähigkeit, eine Situation oder einen Gedanken, aus verschiedenen Perspektiven sehen zu können. Das ist es doch, was ein Clown macht. Er macht nichts Witziges. Er macht etwas Normales und lässt den Humor darauf wuchern.

    Kassandra Knebel: Worüber lachst Du selbst?

    Eric J. Kolb: Mein Lachen fängt da an, da wo die meisten schon aufhören zu lachen.

    Kassandra Knebel: Was sind Deine Pläne?

    Eric J. Kolb: Meine Frau Diana ist gerade hochschwanger mit unserer zweiten Tochter. Also schauen wir als nächstes, wie wir diesem Kind einen schönen Empfang auf unserer Welt bereiten können.

    Kassandra Knebel: Ein Schlusswort?

    Tschüß.


    Weitere Infos:
    Zum Weiterlesen hier eine wissenschaftliche Publikation von Eric
    J. Kolb: "The Definition of Sense of Humor: A new Perspektive" in englischer Sprache:

    Website: Eric J. Kolb


    Redaktion:
    Kassandra Knebel


    Bildnachweis:
    Fotos: Eric J. Kolb

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    215|6518 TG: Monsieur Momo - Timo Lesniewski . Straßentheater. Clownerie . Walk Act . Varieté [mehr Infos] 

    2015-06-30 | Nr. 87 | Weitere Artikel von: Kassandra Knebel