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    Winterschlussverkauf mit Frischzellenkur

    Die 16. Internationale Kulturbörse Freiburg war, allen Unkenrufen über deren Vorverlegung in den Januar zum Trotz, eine Börse der Superlative. Für Veranstalter und Künstler wird sich die konzeptionell runderneuerte Kulturbörse wohl in Zukunft als die Auftaktveranstaltung des Veranstaltungsjahres etablieren können. Der Besucher- und Ausstellerrekord vom Vorjahr wurde gebrochen. Mit 32 Kurzauftritten ging in Halle 1 ein eigenständiger Bereich Musik auf gleich zwei Bühnen zusätzlich zur Kleinkunst mit 50 Kurzauftritten im Theaterraum über die Bühne. Im Foyer geriet man in zwölf weitere Straßentheater Darbietungen, wie den ästhetischen Bildern der Phoenix Theatre Company oder Akrobat Noahs kreiselnder Schaukelstange. Eine Putzfrau von den drei Nasen hat gleich am Eingang zur Ausstellerhalle die Besucher tüchtig abgestaubt. Durch den Umzug in die mittlere Halle gab es mehr Platz zwischen den Messeständen. Was sich bei der letzten Frühjahrsmesse 2003 noch im Foyer an Straßentheater und freien Gruppen abgespielt hatte, belebte nun die Flure der Halle. Eine gelungene Frischzellenkur. In der Ruhezone mit Gastrobereich konnte man wie im Straßencafe verweilen oder beim BusinessForumKultur, das in die Halle integriert war, unverbindlich vorbeischnuppern. Sobald man in die Messehallen abtauchte, war das Winterwetter ausgeblendet. Nur das Straßentheater die Stelzer ging raus in den Schnee, um hoch genug hinaus zu können, und tat dies deshalb vor wenig Publikum. Künstler, wie der aufstrebende Pianist und Kabarettist Hagen Rether, der schon durch diverse Preise auf sich aufmerksam gemacht hat, trauten sich hingegen nur kurz vom eigenen Stand. Die Frage gärte in den Köpfen, wie denn die Fachjury zur Auswahl für die Kurzauftritte gekommen sei, denn auf dieser Börse war unerwartet viel schlechte Kleinkunst zu sehen und Künstler, die man auch in 2003 schon beim Kurzauftritt gesichtet hatte. Wo aber viel Schatten ist, muss auch Strahlendes Licht sein und so stand im diesjährigen Varieté Block, wieder von Ken Bardowicks magisch moderiert, ein Ausnahme Magier wie Topas mit seiner Partnerin Roxanne im Rampenlicht.

    Die neu eingeführte Musikbühne mit acht stilistischen Programmblocks sollte Veranstaltern einen Überblick über Trends und Tendenzen der aktuellen Musikszene verschaffen. Wie allerdings konnte es der Jury entgangen sein, dass es schon seit geraumer Zeit einen Trend zu Hip Hop und Balladen mit deutschen Texten gibt? Brauchen Veranstalter noch mehr A cappella? Dass man Kleinkunst und Musik nicht immer wie Eiweiß und Eigelb voneinander trennen konnte, zeigte eine Band wie die Lunas, bei denen ein um die Gunst der Kulturdealer ringender Sänger seine virtuose Band um Grund und Boden mimte. Schade um die Musik. Respekt dem Orchester, das astreine Salonmusik aus den goldenen 20ern intonierte. Viele Besucher nutzen die Musikbühne als Ruhezone. Dank Getränkestand und der Möglichkeit sich im hinteren Bereich der abgedunkelten Halle weitab der Bühne aufzuhalten, verkam die dargebotenen Musik zuweilen zur Hintergrundsberieselung. Erst im Bereich Rock, bei Bands wie HISS, mit stampfenden Polka Rhythmen, oder den Refrigerators, die pulsierenden Ska mit fetten Bläsersätzen darboten, wagte sich der ein oder andere näher an die Bühne, um auch mal das Tanzbein zu schwingen. Weltmusik in Bestform war mit The Shin aus Georgien zu sehen. Zu eigenwillig schönen Klangteppichen verwoben sich mehrstimmiger Gesang, Gitarren und Rhythmusgruppe. Virtuos vorgetragener eurasischer Fusion-Jazz mit begeisternd markantem Profil. Sam Tshabalala eroberte mit seinen von der musikalischen Tradition Südafrikas inspirierten Kompositionen, vibrierendem mehrstimmigem Gesang und den typischen minimalistischen Gitarrentonfolgen, das Publikums sachte, aber mit Sogwirkung. Mit dem Acoustic Fun Orchestra stand im Bereich Pop eine Partyband auf der Bühne, die sich zwar durch originelle Tempowechsel und durch ein Akkordeon von den meisten Gute-Laune-Cover-Bands unterschied. Die Auswahl der Songs und das Niveau der Musiker war aber eher typisch für das Genre. Im Bereich Jazz ging das Duo Fragile, zerbrechlich wie der Name, an Zuhörermangel zugrunde und hätte wohl in einer lauschigeren Atmosphäre eindeutig besser gepunktet. Eine Freude aber war es, Cécile Verny dabei zu erleben, wie sie getragen vom ausgesprochen dynamisch swingenden Quartett die Klangfarben ihres Mezzosopran an den Bühnenhimmel malte. Wer eine Jazzstimme sucht, die sich zur Diva mausern könnte, sich leichtfüßig im Skat Gesang bewegt, ohne Klischees herauf zu beschwören, aber auch ohne Experimente zu wagen, kann sie in Cécile Verny finden.

    Innovation war eher auf der Kleinkunstbühne zu finden, wenn etwa das Kölner Kabarett Trio Männerkulturen ein vollkommen neues Genre ausbreitete, bei dem Wortsinn und Körpersprache sich zu einem emotional intelligenten Konzept verdichteten, das vom Publikum leicht angenommen wurde. Feinfühlig überwanden drei männliche Protagonisten, auch symbolisiert durch drei Sorten Kölsch, das Schweigen der Männer dank Reflektion und Selbstversuch. Auch einer wie der musikalisch literarische Kabarettist Sebastian Krämer konnte sich gegen das Gros der mittelmäßigen Mitbewerber scharf abgrenzen. Krämer erzählt von der im Wind flatternden Wange eines Mädchens als handele es sich dabei um ungeahnte Dimensionen tantrischer Erotik, so lustvoll und stetig baute er den Höhepunkt auf. Dann bedient er tüchtig das Piano, schmettert inbrünstig sein Lied über bittere Erfahrungen mit der Netzgiraffe als Rampensau, um später der schrilltönenden Tastatur seines Palm Rechners eine Hit verdächtige Melodie abzuverlangen. Bizarr schön sind Krämers Texte und erfrischend unprätentiös ist seine Art sie vorzutragen. Ganz anders das poetische Drama, das Andreas Thiel und Jean Claude Sassine dem Publikum kredenzten, sperrig mit pathetischen Gesten und poetischem Piano. „Glaubst du an Gott? – Sieht ein Blinder seinen Schatten?“ Frage und Antwort beim Zwiegespräch der Todgeweihten. Text und Klangpassagen zum versinken, aber auch das versunkendste Poetenpublikum muss mal wieder auftauchen, um Luft zu schnappen und so war eine poetische Dada Orgie in Gemüsebeet und Blumenrabatt eindeutig zu lang – auch wenn manche Gemüsewortkreationen echt lecker waren. Den vielversprechenden Weg einer multiplen Persönlichkeitsspaltung beschritt das österreichische Kabarett Duo die Schienentröster mit Körpereinsatz ohne Moral und Tabus. Ein rasantes Sittenbild im Wirtshaus eines Tiroler Dorfes, ein Panoptikum mit schrillen archetypischen Dorfbewohnern wurde im fliegenden Szenewechsel mit wenig Worten aber treffsicherer Mimik ausgebreitet wie ein Ganghofer Drama, in dem eine geschwängerte Jungfrau garantiert, dass das Verhängnis seinen Lauf nimmt. Eine Meisterleistung. Die zweite Kostprobe des Duos, Sequenzen aus dem Musical „Fleisch“, reichte an das brillant ausgebreitete Szenarium im Wirtshaus leider nicht mehr heran. Dass sich Dickdarm und Hüfsteak ineinander verlieben, war zwar herrlich skurril, aber zu aufgebläht. Minimalistisch schön war unterdessen das Figurentheater des Two Hands Theatre. Aus Bewegungen und simplen Requisiten ergab sich wie von selbst ein Vexierspiel zwischen Trug und Realität, bei dem sich die beiden Puppenspieler noch nicht einmal vor dem Publikum verbergen mussten. Ein Traum für wache Augen und wie gerne lässt sich das Auge doch verführen. Um eine Gans über die Bühne watscheln zu sehen, bedarf es nur zweier Menschen mit Händen und Füßen, eines Tuches und einem weichzeichnenden Bühnenlicht. Wie beim Rohdiamanten schimmerte hingegen beim Österreichischen Kabarettisten Thomas Stipsits das Talent zum scharfen Politsatiriker, auch wenn der 20jährige noch nicht in dieses Genre hineingewachsen ist. Wenn Stipsits sich aber die grüne Gebirgsjägermütze überstreift, dann wird man das Gefühl nicht los, er habe seine Figuren bei George Grosz entlehnt hat, so grindig kommt ein dumpfbackiger Ausbilder einem jungen Rekruten in die Quere. Man sollte Stipsits im Auge behalten.

    Dass auch große Namen im Hintergrund nicht vor miserabler Darbietung schützen, zeigte sich bei Christoph Schmidtke, der lieber weiterhin Schreibtischtäter für Anke Engelke bleiben sollte. Wer nicht schon aufgrund Schmidtkes Fistelstimme den Saal verließ, tat dies spätestens nach den lauwarmen Schilderungen von Tantenküssen und Karpfen mordenden Omas zur Weihnachtszeit. Comedy, die so schlecht vorgetragen ist, dass selbst im Ansatz witzige Passagen abschiffen, muss nicht sein. Bei Martin Lücker mag Nervosität vor einer Bewährungsprobe eine große Rolle gespielt haben. Allzu frisch gestärkt wirkte der weiße Galaanzug und so steif waren denn leider auch die Lieder vorgetragen. Na vielleicht hätte bei einem Programm mit dem Titel „von innen schön“ ruhig etwas mehr ostwestfälischer Schweinemist an den Gummistiefeln kleben dürfen. Dann hätte vielleicht auch Lücker seine ehrliche Haut besser zu Markte getragen. Dann gab es da noch Frank Baumann, der das Publikum mit dem pfiffig dreinblickenden Hund Bostitch in den Saal lockte und den Vierbeiner dann mit sichtbarem Unbehagen auf einem Hocker ausharren lies, dass man sich fragte, ob das wirklich nötig war. War es unterhaltsam, sich Anatomie und Funktionsweise eines Hundes im Vortrag mit Bildprojektionen erklären zu lassen, so wurde es gänzlich langweilig, als sich eine Bilderserie von Prominenten mit nackten Füßen anschloss. Da half kein indischer Jogi mit Gewichte stemmenden Genitalien für zwischendrin und den Kannibalen von Rotenburg hätte man auch besser ausgespart. Wer sich nimmt, was er von Frank Baumann braucht, kann eine Business-Veranstaltung aber gewiss ganz gut auflockern. Und wer vergessen hatte, dass die Kulturbörse zwar schon vielen jungen Künstlern zum Durchbruch verholfen hat, aber eigentlich keine Newcomerbörse ist, konnte zum Abschluss noch eines Besseren belehrt werden. Auch ein Frank Goosen verspürt den Wunsch, sich vor Fachpublikum zu beweisen, wenn es um sein neues Buch „Mein ich und sein Leben“ geht. Dank Goosens Auftritt wurde der letzte Programmblock der Börse als Durchhalteblock für alle Kleinkunstenthusiasten versüßt.

    Redaktion:Sibylle Zerr

    2004-03-15 | Nr. 42 | Weitere Artikel von: Sibylle Zerr