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    Wundertüte im Wohnzimmer

    Eine „All Stars Comedy“ der besonderen Art

    Den Kleinkunststars von heute zu begegnen, ist nicht allzu schwer, wenn auch nicht immer preiswert. Wo aber gibt es die Größen von morgen zu bestaunen? Der Kleinkunstfan hat hier zwei Möglichkeiten. Entweder begibt er sich zu einem Nachwuchsfestival im Stil des Prix Pantheon, wiewohl auch hier der Anteil der bereits etablierten Kräfte nicht eben gering ist. Oder er sucht eines der Häuser auf, denen der Ruf einer Talentschmiede anhaftet. Ein solcher Ort ist das 1. Kölner Wohnzimmertheater, nach über 10-jährigem Bestehen mittlerweile schon eine feste Institution mit eigenem Gründungsmythos. Das Theater, so ist es im Schaufenster zu lesen, sei dereinst durch das Verrücken eines Schrankes in einer 260 qm großen Altbauwohnung entstanden. Der durch die Raumumgestaltung entstandene Bühneneindruck habe die seinerzeit hier wohnhafte WG inspiriert, ihren Lebensmittelpunkt zur Kleinkunstdrehscheibe umzufunktionieren. Der heutige Besucher, der die Geschichte des Raumes visuell nachvollziehen will, steht jedoch von vorneherein auf verlorenem Posten. Das Wohnzimmer hat bereits ein Jahr nach Gründung des Theaters seinen Standort gewechselt. Es befindet sich nun schon seit fast 10 Jahren in den Räumlichkeiten einer ehemaligen Tanzschule in der Propsteigasse.

    Der Charme des Anfangs hat sich hier in erstaunlicher Weise erhalten. Immer noch genießt man von bequemen Sesseln oder (etwas billiger) Stühlen aus den unmittelbaren Kontakt zu den Akteuren auf der Bühne. Und immer noch kann man hier Künstlern begegnen, denen zuzutrauen ist, dass sie schon im nächsten Jahr größere Räume füllen. Zum Beispiel bei der „Wohnzimmertheater All Stars Comedy“, einer Art Wundertüte, bei der die jeweils mitwirkenden Akteure erst am Veranstaltungsabend selbst bekannt gegeben werden. Da die Besetzung mehrfach wechselt, ist die folgende Besprechung als Qualitätsbeleg für künftige Abende nur begrenzt tauglich.

    Das als Moderatorin auftretende „Comedyluder“ Ramona Schukraft macht seine Sache jedenfalls sehr gut. Sie verkörpert die moderne, kleinkunsttaugliche Variante der rheinischen Stimmungskanone vom Typ Trude Herr, die das Publikum immer fest im Griff hat und keinem Gag, darunter auch dem einen oder anderen flauen, aus dem Wege geht. Dabei beschränkt sie sich nicht auf die Ansage der übrigen Mitwirkenden, sondern bestreitet selbst einen Großteil des Programms. Georg Schnitzler, Mitgründer und Urgestein des Wohnzimmertheaters, steuert eine an genauen Beobachtungen reiche satirische Erzählung bei. Mathias Seling, in Österreich geborener Wahlkölner, vermischt, wie bei einer solchen Verbindung nicht anders zu erwarten, die leicht zotige rheinische Gemütlichkeit der frecheren Art mit bösem und morbidem Charme. Hier erfährt man viel Wissenswertes über die Vorlieben österreichischer Selbstmörder und den karnevalistischen Fanatismus der Rheinländer („Hauptsache, der Zug geht durch und die Häuser sind abwaschbar“). Die herausragende Performance des Abends aber lieferte Vera Deckers, eine mit allen Wassern gewaschene Beobachterin des Alltagslebens, die gekonnt die Zerrissenheit des gleichermaßen bindungsängstlichen und beziehungssüchtigen Alltagsmenschen aufspießt und – als Dialog zwischen dem brüchigen Ich und seinem widerstreitenden „Beziehungs-Gollum“ – auch hinreißend szenisch vergegenständlicht.

    Es lohnt sich also, einen Blick in die Wundertüte des Wohnzimmertheaters zu werfen. Matthias Selings an diesem Abend geäußerte Vermutung, dass es Köln vielleicht gar nicht wirklich gibt, sondern die Stadt nur für den Karneval aufgebaut wird, ist jedenfalls nicht zuzustimmen. Gerade hier wird diese Behauptung eindrucksvoll widerlegt.

    Redaktion: Guido Bee

    2006-06-15 | Nr. 51 | Weitere Artikel von: Guido Bee