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    Zirkus in Berlin


    Berlin ist zur Domäne der Klein- und Mittelzirkusse geworden, da – mit Ausnahme von Busch-Roland – Großunternehmen in den letzten Jahren die Hauptstadt meiden. So nahm es nicht Wunder, dass auch zu Weihnachten und zur Jahreswende 2002/2003 mehrere kleinere Unternehmen an der Peripherie gastierten. Traditionsgemäß und bereits zum neunten Mal stand Zirkus Voyage als „Berliner Weihnachtszirkus“ am Olympiastadion. Das Programm der Familie Diana und Alois Spindler war eine Mischung aus eigenen Darbietungen und engagierten Artisten. Die Programme der letzten Jahre waren mir allerdings als stärker in Erinnerung, zumal die eigenen Tierdressuren - Pferde, Exoten und drei afrikanische Elefanten -  wenig Neues boten. Talent bewies die junge Tochter des Hauses, Madleen, am Luftring, bei den Akrobaten blieb die Truppe Dascal aus Moldavien mit Handvoltigen in Erinnerung. Schlussnummer war das Todesrad der Familie Spindler. Die Ansagen der Sprecherin waren etwas zu bombastisch und versprachen Attraktionen ohne Unterlass, die dann so nicht stattfanden.

    Ohne Namen warb der Zirkus Berolina mit dem Slogan „Menschen, Tiere, Attraktionen“ für sein Gastspiel in Siemensstadt. Auch hier ein Todesrad, Pferdedressuren (was allerdings Königspferde sind, bleibt das Geheimnis des Unternehmens), die große Kamelfreiheit, Elefanten, Tigerdressur und ein Tiger zu Elefant.

    Am Tierpark Friedrichsfelde gastierte der Zirkus William der Gebrüder Wille mit einem sauberen Familienprogramm, bei dem durchaus beachtlich ist, was sieben Personen leisten können. Manolito Wille zeigte eine akzeptable Trapezarbeit mit allen Standardtricks, das gilt auch für die Tanzseildarbietung. Die Brüder sind auch für die Dressuren – Exoten, Ponys und eine Pferdefreiheit - zuständig, dazu gab es eine nette Dalmatinerdressur, ein orientalisches Bild mit Schlangen und Feuer sowie die Westernshow. Auch hier durfte das Todesrad nicht fehlen.

    Der nicht mehr zu zählenden Gastspiele eines „Chinesischen Nationalzirkus“ (den es bekanntlich so nicht gibt) ist man beinahe schon müde und erwartet langgedehnte Stuhlbalancen und Bänkchenpyramiden. Deshalb war die Überraschung positiv, beim -natürlich auch als „Chinesischer Nationalzirkus“ firmierenden - Programm im Tempodrom (veranstaltet vom PR-Büro Schoregge in Zusammenarbeit mit Cirkcentrum Ladislav Knos, Prag) eine interessante Umsetzung für ein Bühnenprogramm zu sehen. Die 25 Mitwirkenden aus der Provinz Dalian waren fast immer in größeren Gruppen bei den Darbietungen präsent, aus denen sich die Haupttricks der Solisten entwickelten. Dazu eine geschickte Choreographie, die den durchaus traditionellen Darbietungen wie dem Ringspringen, den Wasserschalen oder dem Stangenklettern neue Nuancen gab. Sehr beachtlich war u.a. das Tellerdrehen mit zwei Partnerinnen im Kautschuktrick auf einem von der Unterfrau gehaltenen Perche.

    Nicht unbedingt Zirkus, aber schon in dessen Nähe, vielleicht auch ein wenig Jahrmarkts­spektakel in der Kombination mit Techno- und Weltmusik, Lichteffekten, Wasser, Nebel und Wind bietet die argentinische Truppe De La Guarda, die noch bis März in einer leer­stehenden Industriehalle in Berlin-Pankow gastiert. Stehend erleben in 70 Minuten rund 900 Zuschauer die Akteure, die sich in der Luft schwebend bewegen oder in einer Art Free-Climbing an einer Wand entlang schwingen. Ab und an wird auch ein Zuschauer mit in die Luft genommen, und das von oben herabstürzende Wasser verschont auch die Besucher nicht.

    Höhepunkt der Weihnachtsprogramme war jedoch zweifellos das Gastspiel „Ovations“ der Stardust Circus International auf dem Zentralen Festplatz. Die Spitzenleistungen koreanischer Artistik, die im Stil weniger folkloristisch, sondern eher europäisch beeinflusst ist, wurden zuerst durch die vielen Preise in Monte Carlo bekannt, und in diesem Programm waren gleich mehrere Preisträger Silberner und Goldener Clowns vertreten. Die Kombination dieser Spitzenakrobatik mit dem russischen Pferdetheater von Tamerlan Nugzarov aus dem Kaukasus war ein glücklicher Einfall, brachte das doch einen völlig gegensätzlichen Akzent ins Programm. Die Dshigitentruppe Nugzarov ist sicher die weltbeste ihrer Art, und wenn auch die theatralisierende Handlung um die „Legende der Liebe“ sicher nicht jedermanns Geschmack ist, so ist die anschließende eigentliche Dshigitenreiterei atemberaubend und kaum nachzuvollziehen, mit welchem Tempo die Reiter ihre halsbrecherischen Voltigen ausführen.

    Bei den koreanischen Akrobaten ist jede Darbietung von hohem Niveau, es gibt keine, die sich nicht durch wenigstens einen ungewöhnlichen Trick auszeichnet. So ist das „Pas de deux in der Luft“ von Kwak Thae Sol und Kim Jong Sun, eine Arbeit am schwingenden Haltestuhl, gekennzeichnet durch die Salti und Pirouetten der Partnerin von oben in die Hände des Fängers, die Jonglerie von Kim Jong Chol durch die Jonglage mit Federballschlägern und gleichzeitigem Ballspiel und die Würfe mit sieben Schlägern oder die Dolch-Glasbalance von Kang Ok Hwa am Vertikalseil und am Schwungseil  durch die unglaubliche Kombination dieser artistischen Genres.

    Die Schleuderbrettartisten springen ganze Serien von Salti, u.a. den 4- und den 5-fachen, und in der Kombination Russische Schaukel/Schleuderbrett gibt es einen 4-Mann-Hoch zum Handstand des Obermanns und einen 6-Mann-Hoch auf Stange.

    Schlussdarbietung des hervorragenden Programms war eine der Flugtrapezdarbietungen, die in Monte Carlo vor Jahren zum ersten Mal die Kombination von Flügen mit drei Fängern in verschiedenen Ebenen in Verbindung von Trapez und Schaukel vorgestellt und damit eine neue Ära in der Flugtrapezarbeit eingeleitet hatten.

    Für die bevorstehende Zirkussaison ist auch in diesem Jahr für Berlin kein Großzirkus in Sicht, noch scheut man offenbar den neuen Zentralen Festplatz und einen anderen geeigneten Platz in der City gibt es nicht. Aber es besteht immerhin Hoffnung, dass sich das vielleicht schon 2004 ändern und der Festplatz besser angenommen wird.

    Redaktion: Dietmar Winkler

    2003-03-15 | Nr. 38 | Weitere Artikel von: Dietmar Winkler