Wolfgang Steinitz, dessen bahnbrechendes Werk „Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten“ ganze Generationen von Liedermachern und Sängern beeinflusste, starb im April 1967 62-jährig in der DDR. Da der Einfluss des jüdischen, kommunistischen Wissenschaftlers auf die Volkskundeforschung bis heute anhält, hat das Volksliedarchiv in Freiburg – in Verbindung mit dem TFF Rudolstadt – anlässlich seines 100. Geburtstags eine Fachtagung abgehalten, dessen Beiträge jetzt als Buch mit ergänzender CD erschienen sind: Eckhard John (Hrsg.) / Die Entdeckung des sozialkritischen Liedes (Waxmann ISBN 3-8309-1655-8; 212 Seiten, 24,80 €; CD: 16 Tracks, 55:47 Min.). Was ist eigentlich ein Volklied? Was bedeuteten in Deutschland noch Volkslieder nach dem Missbrauch durch Nazis? Welche Funktionen haben Volkslieder in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen? Diese Fragen werden erörtert, neueste biografische Erkenntnisse über das Leben von Wolfgang Steinitz vorgestellt, und die CD „Steinitzsingen“ stellt Liederbeispiele aus seinem Werk vor, die von bekannten Folkmusikern aus Ost und West gesungen werden. Eine sehr anregende Lektüre.
Der Schauspieler, Sänger, Agitator, Liedersammler, Labelbesitzer und Spanienkämpfer Ernst Busch war zeit seines Lebens in der und für die Arbeiterbewegung aktiv, hat eng zusammengearbeitet mit Künstlers wie Brecht, Eisler oder Langhoff und hatte dennoch in der DDR immer wieder Probleme mit der politischen Führung in Partei und Staat. Da solche Auseinandersetzungen in der DDR nicht öffentlich behandelt wurden, rankten sich bald viele Legenden darum. In einer, in sehr subjektivem und persönlichen Stil geschriebenen, Untersuchung sind, angereichert mit vielen Dokumenten und einer CD mit typischen Liedern Ernst Buschs, Carola Schramm & Jürgen Elsner den Fragen nach Buschs Parteimitgliedschaft in der SED, der Überführung seines Labels „Lied der Zeit“ in „Volkseigentum“ und einigen Fragen seiner Emigration nachgegangen: Dichtung und Wahrheit – Die Legendenbildung um Ernst Busch (Trafo Verlag, 2 Bände, ISBN 3-89626-591-1, 312 S., 34,80 € + ISBN 3-89626-592-X, 386 S., 37,80 €, CD: 27 Tracks, 71:01 Min.). Eine interessante Lektüre. Neben dem Versuch, die Legenden zu klären, was in der Sache schwierig ist, wird vor allem die Atmosphäre voller Bürokratie und Misstrauen deutlich. Briefe hin und her, Aktenvermerke, Telegramme, Gerüchte, Ausflüchte und Intrigen sind in den Bänden dokumentiert. Politische und persönliche Differenzen werden nicht in Gelassenheit und Weisheit behandelt, sondern in strenge Formen, wie Prinzipientreue und höchste Grundsätze, gegossen. Da wurden aus offenen Fragen und Unterschieden Gräben, und am Ende haben sich dann Genossen wie Feinde behandelt. Auftrittsverbote und Mediensperre waren für Busch die Folge, er rettete sich ins klassische Schauspiel, wo er große Erfolge feierte. Es bleibt ein Kopfschütteln über die Tragik, die diesen Intrigen innewohnte. „Was willst Du machen, wenn Genossen Dir den Mund zuhalten? Feinden kannst Du in die Hand beißen, wenn sie es tun; …“, so Ernst Busch einst in einem Brief. Vor dieser Frage standen auch der Physiker Robert Havemann und der Sänger Wolf Biermann. Doch die waren weiter bissig, und die Konflikte eskalierten bis zur berühmten Ausbürgerung Biermanns und zur, von der Stasi erzwungenen, totalen Isolierung Havemanns in Grünheide. Havemann ist inzwischen fast ein Unbekannter, an Wolf Biermann erhitzen sich immer noch die Gemüter angesichts seines Bundesverdienstkreuzes und der Ehrenbürgerwürde in Berlin. Nach so viel unkritischer Würdigung lässt ein Buch aufmerken, das sich kritisch mit beiden beschäftigen will: Robert Allertz (Hrsg.) / Sänger und Souffleur – Biermann und Havemann und die DDR (Edition Ost ISBN-13: 978-3-360-01075-9; 162 S., 12,90 €). Auffallend an den vielen Beiträgen unterschiedlicher Autoren ist, dass sie nichts Substanzielles aussagen, was die staatlichen Repressionen gegen beide begründen könnte. Es wird stattdessen zur Rechtfertigung schon im Vorwort eine sehr schlichte Logik zugrunde gelegt: „Objektiv halfen sie den Feinden der DDR – und damit wurden sie deren Verbündete im Kalten Krieg gegen den Realsozialismus.“ Derart eingestimmt folgen Tratsch, Andeutungen, Polemiken und Denunziationen, u. a. von Gossweiler, Moneta, Hacks bis Kittner, die vor allem eines bewirken sollen: Irgendwelche ernsthaften Beweggründe werden Havemann und Biermann nicht zugestanden, die Hauptsache ist, es bleibt irgendein Makel an ihnen hängen. Nirgendwo wird ein Bezug zu den gesellschaftlichen Problemen der DDR hergestellt, nur Eitelkeit, Weibergeschichten und Charakterlosigkeit waren die Ursache aller Probleme mit den Oberen. Nicht, dass beide Herren untadlig und jenseits aller Kritik waren oder sind, aber auf diesem Niveau ist eine Auseinandersetzung mit dem Wirken beider nicht akzeptabel.
2007-03-15 | Nr. 54 |