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    Alles Lüge


    artbild_350_martin_buchholzMartin Buchholz hört auf mit der Bühne. Lese ich, und dass sein letztes, und zwar allerletztes Programm mit dem Titel Alles Lüge; kannste glauben erfolgreiche Premiere bei den „Wühlmäusen“ hatte und dass er am Sonnabend, den 27. Januar 2018 dann endgültig Tschüss auf der Bühne der „Wühl-mäuse“ sagen werde.


    Ich war noch nie bei Martin Buchholz, und darum denke ich, wird ja mal Zeit. War knapp, beinahe hätte ich einen der besten satirischen und politischen Kabarettisten verpasst.

     

    Bitte festhalten!

    Zweieinhalb Stunden politisches und gesellschaftskritisches Kabarett vom Feinsten, aber Achtung: kein Wohlfühl-Achwashabenwirgelacht-Kabarett, sondern fordernd, denn wenn man hier einmal seine Gedanken abschweifen lässt, ist man verloren. Buchholz feuert im Sekunden-Takt. Scharf. Feste Ansichten über Politik, das Leben und die Welt an sich werden hier so richtig schön durcheinander gerüttelt.

    Und das in einer ausgefeilten und teilweise sehr philosophischen Sprache. Die Zitate aus der Bibel, von Karl Valentin oder Mark Twain liest Buchholz ab. Aber ansonsten hat er alles im Kopf und schießt ein Gedankenspiel nach dem nächsten heraus.

     

    Wer ist hier penetrationsfähig? 

    Das Programm ist ein Ritt durch die deutsche Politiklandschaft unter dem Thema „Alles Lüge“. Am Ende haben alle ihr Fett weggekriegt, vor allem aber Lindner und Merkel, die „McPom-Domina“. Einen Bogen kann der Kabarettist hier zu eigenen Erfahrungen spannen: Jamaika-Sondierungsgespräche habe auch er schon geführt, als er mit seiner Frau auf Jamaika zu Besuch war. Eine Frau bot sich gleich am Hafen an für sexuelle Leistungen und versuchte auch Buchholz‘ Partnerin mit einem „it would be a wonderful fun for three of us“ zu überzeugen. Erfolglos. Parallelen zu den aktuellen Gesprächen gebe es durchaus, die Grünen seien ja penetrationsfähig, Özdemir in der Lage, kräftig nachzubohren. Trotzdem sei es nix geworden. Nun bleibe noch Schulz, der einsame Spitze sei und bei jedem Auftritt unbekannter werde, so Buchholz.

    Buchholz ist – wie man hören kann - ein richtiger Berliner, im roten Wedding aufgewachsen, im proletarischen Blau der Eckkneipen, wie er es beschreibt. Politik habe ihn seit jeher interessiert. Er sei ein begeisterter Hobbywähler, aber oft enttäuscht von seinen ganz eigenen Wahlversprechen. Und in der Politik? „Es gilt das gebrochene Wort“, sagt er.

    Und die Welt an sich? Trump sei eine grausige Erscheinung, aber darauf wolle er nach der Pause genauer eingehen. Vor der Pause ein Gedicht, wie es Josef heute als Asylsuchenden wohl ginge. Harte Kost im lyrischen Plauderton. 

    Lügen machen Kriege möglich, erklärt Buchholz nach der Pause. Er selbst sei aus der deutschen Medienlandschaft verschwunden, nach allzu kritischen Äußerungen zum ersten Irak-Krieg in seiner Kolumne im SFB. Und die Medien heute? Bei dem überall präsenten „Talk mit Gesabbel“ erfahre er bei sich selbst sensationelle Abschaltquoten, fasst Buchholz zusammen.

     

    Das Trump

    Und nun zu Trump. „Der ist doch nicht ganz echt, der kann doch nicht wahr sein“, ruft Buchholz, dem sei der Dickdarm ins Gehirn gewuchert, eine Dark Vadder Morgana, ein Fake. Aber – er selbst habe ein Jahr undercover recherchiert und könne uns sagen: Es handle sich in Wirklichkeit um eine Verschwörung und bei Trump um ein genetisches Experiment vom Kreml-Macho Putin. „Das“ Trump sei gar kein menschliches Wesen, sondern eine künstliche Kreatur, genauso wie das „Kim“, Trumps Puppen-Gegenspieler.

    Aber nicht nur in Amerika litten Wähler unter mentaler Blasenschwäche und Hirninkontinenz: „Der demokratische Anstand verpisst sich“, auch bei uns, wenn man an die AfD und beispielsweise den „Galgenhumor“ in Sachsen denke. In 28 Nach-Mauer-Jahren habe es jetzt schon 185 Mordopfer gegeben. Da könne man nur noch singen: „Ihr Kinderlein verkommet“.

     

    Wir sind das falsche Publikum

    All diese in infernalem Rhythmus vorgetragenen Provokationen sind aufrüttelnd und wir, als genauso wie Buchholz denkendes Publikum, dafür empfänglich. Sind wir aber nun eigentlich das richtige Publikum dafür? Nein, sagt Buchholz, das habe man ihm schon vor vielen Jahren vorgeworfen, er trage seine Bösartigkeiten vor dem falschen Publikum vor. „Ich bin der richtige Künstler, aber Sie sind das falsche Publikum!“, ruft er.

    Deshalb habe er 2003 etwas Abenteuerliches versucht:  eine Expedition auf das Kreuzfahrt-schiff MS Europa, um dort mal vor einem anders gearteten Publikum aufzutreten. Große Teile des Publikums hätten gemeutert. Ein Abenteuer, das nicht wiederholt wurde.

     

    Zum Abschluss und auf vielfältigen Wunsch noch mal eine „alte“ und sehr glanzvoll vorgetragene Nummer: Demonstration eines Beziehungsgespräches, der Psychofolter schlechthin. Wenn im Paar der Gesprächsstoff ausgehe: einfach fragen: „Sag mal, hast du was?“. Undsoweiter…

    Ja und nun? „Der Humor hat seine Schuldigkeit getan“, sagt er und verlässt unter tobendem Applaus die Bühne.

    Man wird sicherlich weiter von ihm hören, bzw. lesen. Sein letztes Buch zum Beispiel. : Missverstehen Sie mich richtig! Ein satirisches Lexikon, oder den Gedichteband „Geh!Denken – Geh!Dichte“.

     

    Rest-Karten gibt es noch an den vier Sonnabenden im Januar 2018, aber auch da wird’s immer enger - Bestellungen unter www.wuehlmaeuse.de.


    Redaktion:
    Katrin Schielke


     

    2018-01-06 | Nr. 98 | Weitere Artikel von: Katrin Schielke