Ich habe das Gefühl, dass meine musikalischen Entdeckerreisen immer spannender werden. Und dass sich dabei die Übergänge von Tradition zur Moderne oder vom Jazz zur Klassik immer mehr verwischen. Spannung ist dabei allerdings leider nicht immer nur positiv.
Mit der Frankfurt City Blues Band und Deep'n Back hab ich zwei gegensätzliche Bands aus dem Rhein-Main-Gebiet kennen gelernt. So vielversprechend der Southern.Mix von Deep`n Back begann, so wenig hielt er jedoch, was er versprach. Die Band um Sängerin Elke Diepenbeck intoniert als erstes Cajun, „Live is a misery“, und verfällt gleich darauf in gefällige rockig – poppige Wohlklänge. Wenig aufregend. Erst beim funky „Anyway I can“ grooved es dann auch mal. Deep´n Back featured derzeit den Saxofonisten und mouth-harp- Artisten der Rodgau Monotones Achim Farr. Mit ihm gelingt es ihr, in „Find a wheel“ und dem Blues-Rock „Lovely Rita“ das Musikleben pulsieren zu lassen. Ein letztes temperamentvolles Aufbäumen. Danach plätschert der Sound nur noch aus den Boxen.
Dagegen kommt bei der Frankfurt City Blues Band richtig Freude auf. Die fünfköpfige Formation, verstärkt wiederum durch Achim Farr, zelebriert den Blues, transportiert diese Musik mit den wenigen Akkorden und den unzähligen Facetten ins hier und heute. „Blues is alive“ lautet das Motto. Die „Band is on the road“ und die Zuhörer sind aus dem Häuschen.
Großer Andrang ist vorhersehbar, wenn Klaus Doldinger auf der Bühne steht und vom Jazzolymp auf das Publikum herunterschaut. Doldinger mit Passport ist allererste Sahne.
Ich hab sie allesamt open air und bestens aufgelegt erlebt, um Jazzträume wahr werden zu lassen. Pulverisierende Rhythmen und faszinierende Melodien verschmelzen zu einem mitreißenden Sound, der bei aller Gefälligkeit vor Kreativität nur so strotzt. Da tänzelt der Doldinger mit seinem Saxofon bei „Happy Landing“ im Dreiertakt über die Bühne, zeigt die Ausgelassenheit seiner Musik, die den Jazz tanzbar macht. Und sendet seine verständlichen tonalen Botschaften in die begeisterte Menschenmenge. Eingetaucht in das Blau und Gelb der Scheinwerfer schickt er sich an, vor dem Hintergrund einer exzellent musizierenden Rhythm-Section saxofonale Triumphe zu feiern. Atemberaubende Läufe, mundgeblasene Kreationen, überströmen die Menschentraube vor der Bühne und versetzen in fiebrige Freude. Tempiwechsel werden körperlich spürbar, Modulationen gehen zu Herzen und selbst kurze Versatzstücke werden zu Musikereignissen. Remixwerke aus den 70er und 80er Jahren katapultiert Passport in die Gegenwart. „The Cat from Katmandu“ wird ebenso wie „Yellow dreams“ unterlegt mit Synthiloops oder orchestralen Geigenklängen und glänzt neu und elektrisierend im bluesig-rockigen Gewand.
Natürlich darf nie vergessen werden, dass Doldinger bei zahlreichen TV-Produktionen seine musikalischen Finger im Spiel hat. Da entwickelt sich in der Musik zur Anwaltsserie „Liebling Kreuzberg“ allerdings mehr Spannung als im Film. Und da geht es um mehr als pure Unterhaltung. Doldinger beherrscht die Sprache der Musik und spricht sie mit Passport in vielen Dialekten. Ich habe dieses Konzert als Geschenk an die Jazzfreunde empfunden. Danke dafür.
Zum genauen Hinhören zwingt der Gitarrist Peter Autschbach. Er geht neue Wege mit altbewährten Stilmitteln. In Quartettbesetzung meditiert sein Projekt die Unterwassererfahrungen aus der CD „Under the surface“. Während das Plankton den Strudel der Harmonien im Latin-Bossa erlebt, stirbt der Taucher in Synthiklängen. Das alles hat jazzigen Charme, ist phasenweise ideenreich. Autschbach aber ist auch bereit zu Kompromissen, erweckt bei der melodiös-poppigen „Beach Party“ gar den Eindruck, Chris Rea würde im Hintergrund mitsingen können. Am Ende erst wird’s lebendig, greifen Soli ineinander, und das Autschbach – Projekt charakterisiert seinen eigenen Stil als gesunde Mischung aus allem, was Klassik, Jazz und Pop an Gutem zu bieten haben.
Mittlerweile institutionalisiert hat sich das Koblenzer Zigeunermusikfestivals „Djangos Erben“. Es schien als hätten die Veranstalter bei der diesjährigen dritten Veranstaltung vorsorglich einen Pakt mit dem Himmel geschlossen. Sie verzichteten auf das große Festzelt und sorgten so bei angenehmen sommerlichen Temperaturen für absolutes Open-Air-Feeling. Drei Tage lang wurde auf der überdachten Bühne genau das zelebriert, was die große Besucherschar sich gewünscht hatte: Zigeunerjazz mit all seinen faszinierenden Facetten.
Nicht erst seit dem legendären Django Reinhardt ist diese beherzte und aus der Seele fließende Musik Tradition. Und nicht nur die Dynastie der Reinhardts fühlt sich dem großen Vorbild verpflichtet. Kein Musiker von Ferrys Hot Club etwa ist Zigeuner, ist aber dennoch „Djangos Erbe“. Mit „Minor Swing“ pulsiert und grooved der jazzige Sinti-Swing im Two-Beat.
Lulo Reinhardt, direkter Nachkomme von Django, feiert mit Hot Club de France die großen Erfolge Djangos in seiner Pariser kreativen Zeit. Waltz und Swing im Geigen- und Gitarrensound kreiert er gekonnt zu einem Ohrenschmaus. Und „Sweet Georgia Brown“ erstrahlt in voller Schönheit.
Bis demnäx.
Euer Bernhard Wibben
2002-12-15 | Nr. 37 | Weitere Artikel von: Bernhard Wibben