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  • Themen-Fokus :: Puppenspiel

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    Bunte Schatten aus Athen

     

    Wie das Kaspertheater oder Frankreichs Guignol trägt auch Griechenlands volkstümliches Puppenspiel den Namen seines Helden: Kara-Ghioz. Wie Kasper und Guignol ist der Held ein Narr, ein gewiefter Störenfried, der auch dem Arlecchino der Commedia dell’Arte im Geist nahe steht. Kara-Ghioz bedeutet wörtlich: schwarzes Auge. Er ist ein gerissener Underdog, ein schlagfertiger Überlebenskünstler, der es den mächtigen Paschas immer wieder zeigt und im Alltag über deren Eitelkeit und Einäugigkeit triumphiert. Ludger HollmannEr trägt Lumpen, hat einen Buckel und eine dicke Nase und schlägt sich in allen erdenklichen Berufen und Lebenslagen durch. Normalerweise also identifizieren sich die sozial Schwächeren mit ihm, in Zeiten nationaler Bedrohung aber alle Griechen. Während der Besatzung Griechenlands durch Hitlers Armee wurden die Stücke des Kara-Ghioz-Theaters so interpretiert, als sei Kara-Ghioz der Grieche schlechthin, und die Sultane etc. die Nazi-Besatzer.

    Interessant auch, dass Griechenland sich hier eine ottomanische Kreatur aneignete und zum Volkshelden erhob. Das spiegelt sich deutlich in den typischen Rollen von Bey, dem Pfeffersack oder dem gestrengen Pascha. Dagegen stehen Alexander der Große oder der verarmte Adelige, Dionysius. Die Tradition blieb lebendig, bis auch in Griechenland Kino und TV das populäre, kollektive Theater verdrängten. So versuchte sich das Karaghiozis schließlich selbst im Fernsehen, um die Massen doch noch zu erreichen. Doch hier trafen die Puppenspieler, die Karaghiozopaichtis, auf mediale Macht, gegen die kein Kraut gewachsen war. Und die wenigen Meister des Karaghiozis stammen, wie Evgenios Spatharis, aus langer Familientradition. Wo immer Spatharis – der „Schattenjongleur“ – auftritt, geschieht ein kleines Wunder: Das Publikum bebt, lacht oder weint, und man bekommt eine Vorstellung davon, wie es früher selbst in den Kinos noch zuging. Das müsste eigentlich Hoffnung machen für die Zukunft des Karaghiozis, denn die moderne Gesellschaft hungert nach solchen Gemeinschaftserlebnissen. Genau diese Stimmung fehlte natürlich im TV, und so wurde es still um Kara-Ghioz. Dabei lässt Spatharis die Puppen tanzen, als hätten seine Schattenfiguren dreidimensionale Volumina. Unglaublich gelenkig und beweglich, sprühend vor Farbe und Leichtigkeit.

    Der betagte Herr dreht nach der Aufführung seine kleine Bühne einfach um und demonstriert, wie er alle Stimmen und Geräusche selbst erzeugt, assistiert nur von seiner Tochter Menia, die ihm die Figuren reicht. Seit über sechzig Jahren spielt er sein Repertoire aus traditionellen Farcen. Verständlich, dass seine Tourneen seltener werden. Dafür haben er und seine Familie in Maroussi, einem Vorort von Athen, ein internationales Museum des Schattentheaters gegründet, und der Meister bildet junge Karaghiozopaichtis aus, denn er ist überzeugt davon, dass seine Kunst nicht aussterben wird.

    weitere Informationen unter: www.karaghiozismuseum.gr/spathario@yahoo.gr

    Und tatsächlich: Auf manchen Freiluftfestivals begegnet man einem tragbaren Bildschirm, auf dem farbige Figuren eine esoterisch angehauchte Märchenwelt kreieren. Ein Paar überwindet seine Angst vor Rieseninsekten, bewundert Elfen und marschiert Richtung ewiges Licht. Da sind die Figuren so zart und poetisch, ihre Präsenz so vielschichtig, dass die (kurze) Geschichte nicht kitschig wird. Sidomi nennt sich diese wandernde Miniatur, und der Herr hinter dem Bildschirm berichtet, wie er seine Inspiration ausgerechnet aus dem TV bezog. Da sah er nämlich eine Reportage über eben jenen Evgenios Spatharis und sein Figurentheater. Nach dessen Vorbild entwickelte er seine eigenen Farbschattenkreaturen. ( 49 Bd. de Verdun, 12400 Saint-Affrique, Tel.: 33 5 65 49 34 18 )

    Redaktion: Thomas Hahn

    AdNr:1069    

    2005-03-15 | Nr. 46 | Weitere Artikel von: Thomas Hahn