Viereinhalb Stunden und mehr anstehen, um Karten für einen Kleinkunstabend zu ergattern, der kaum prominente Namen aufweist und bei Regen glatt ins Wasser fällt: Da muß schon was Besonderes dahinterstecken. In diesem Fall hatte sich die Stadt Hannover die denkbar dümmste Methode ausgedacht, die Karten fürs Kleine Fest im Großen Garten unter die Leute zu bringen: alle auf einmal an einem Tag an viel zu wenigen Kassen. Und so standen die Fans sich getreulich die Beine in den Bauch. Schließlich ist die Mischung einmalig und als eins der wenigen Dinge in dieser Stadt schon auf Weltausstellungs-Niveau: Rund 30 verschiedene Acts tummeln sich zwischen den abgezirkelten Hecken, Beeten und Wasserspielen des Baraockgartens. Im 25-Minuten-Rhythmus schlendern oder hasten die Gäste von Patomime zu Feuerspektakel, von Clownerie zu Schattenspiel: Da muß man die Zuschauer auf Anhieb packen, damit sie stehenbleiben. Damit hatte so ein relativer Stand-up-Comedian-Neuling wie Detlef Winterberg aus östlichen Gefilden etwas Probleme: Die leicht politisch angehauchte, ziemlich abgedrehte Komik, die er als Schaf im Wolfspelz produzierte, war von den Ideen her nicht schlecht, ansonsten aber, nett formuliert, noch ausbaufähig. Am besten noch sein Spiel mit Schein und Sein, als er die Langeweile dieser Welt durch Musik und Ton à la Film aufpeppte. Allerdings waren in Sachen Bessere präsent: Ton Schier unglaublich, was der Niederländer Niek Boes schlicht per Mund und Mirko bei seiner fulminanten und witzigen Geräusch-Show anstellte, vom Düsenjet übern Trabi bis zum Flugzeugklo intonierte er den Lärm der Welt, dabei so klasse Beobachtungen wie die Autobahn früher und heute. Lippenfertig erwies sich auch wieder der hannoversche Stimmenimitator Christian Korten, der von Berti Vogts bis zum Kohl'schen Elefant im Wolfgangsee die Prominenz zum Zeitgeschehen parat hatte. Der noch relative Neuling auf öffentlichen Bühnen präsentiert sich übrigens zunehmend routinierter und feierte jüngst auch im hiesigen GOP Erfolge, die über das Heimspiel-Maß deutlich hinausgingen. Abräumer der Gartenabende waren neben dem temperamentvollen Slapstick-Duo Naseweis ansonsten die stummen Künste: Die absurde Baustellen-Comedy der Ruhrgebiet-Familie Flöz steckte wieder die langen Maskennasen sinnlos in Baupläne, klaute mit unglaublich langen Armen Bierflaschen und jagte sich mimisch perfekt über Aufzüge und Laufbänder. Poetischster Act war ein Figurentheater, dessen Qualitäten ja zunehmend auch für Erwachsene entdeckt werden: Die Holznasen Victor Kucera und Dirk Volkmann erzählten Fanoschs größte Liebe, zu einer Blumenmaid nämlich, in bestechenden Bildern, mit Mond und Sonne und ein ganz klein bißchen Moral von der Geschicht'. Ebenfalls überraschend gala-tauglich zeigte sich das Improvisations-Theater Emscherblut. Egal, wie sinnlos die zugerufenen Stichworte, die drei machen gekonnt komische Nummern daraus, kurz und treffend.. Ihr Hit: das gegenseitige Synchronisieren, das absolute Ablach-Effekte erzielte. Ansonsten muß man aus der Fülle der Vorstellungen - kein Flop dabei! - noch einen hervorheben: Frans Custers aus den Niederlanden, der alljährlich als melancholischer Clown mit dem Koffer in der Hand einfach herumzieht, eine großartige Gestalt.
Bis sie dahinkommen, müssen die Absolventen von Hannovers Clownschule TuT sicherlich noch üben. Doch wer Nachwuchskräfte sucht, ist bei ihrer Absolventen-Tournee an einer guten Adresse. Die Premiere auf der Faust-Bühne in Hannover bewies wieder die Vielfalt der Talente und Temperamente. Termine siehe unten, sonst bei der TuT-Schule zu erfragen: Tel. 0511/ 32 06 80. Schließlich kann das hannoversche Privatinstitut auf so erfolgreiche Ex-Schüler wie Hans-Hermann Thielke verweisen. In diesem Herbst heißt es wieder: korrekter Postbeamter meets smarten Entertainer einer Eventagentur - Thielke ist mit Michael Genähr unterwegs. Der Aalglatte und der Staubtrockene: eine fürs Zwerchfell gefährliche Mischung. Im Dezember soll's neues von Thielke geben, alle sind gespannt. Viel unterwegs derzeit auch Comedy-Pantomime Niels, der auf dem Luxusliner MS Astor zwischen New York und New Orleans seine Kunst des Extrem-Schrägstandes vorführt. Pünktlich Anfang Oktober dampft er zurück und bestreitet im GOP Essen das Monatsprogramm mit, im Dezember ist er beim 4.Caldener Wintervarieté zu sehen, wo er auch Regie führt.
Eher zwischen Soltau und Göttingen liegt der Schwerpunkt der Musik-Theater-Literatur-Kooperative Hebebühne, deren prominenteste Formation, das Duo Bengt Kiene und Holger Kirleis, einen wie für sie geschaffenen Preis entgegennehmen konnte: Den 1. Querkunstpreis Hannover 1998, initiiert von der Wettberger Kulturgemeinschaft, mit Geld versehen von der Preussen Elektra, für künstlerische Leistungen, die sich "innovativ gegen eingefahrene Gewohnheiten stellen und quer zu etablierten Kategorien, quer zum Zeitgeist" sind. Und sieht man das Programm der beiden an, vom satirischen Aids-Programm "Wenn Barhocker anfangen, weh zu tun" bis zum Georg-Kreisler-Chanson-Abend "Gelächter aus dem Hinterhalt", ist das mit dem Querkünstlertum schon recht gut beschrieben. Am 5. November hat im Theater im Künstlerhaus ihr neues Programm Premiere: Wunschkonzert, eine Liederabend-Theatershow und Radio-Hommage der ganz eigenen Art, die als dritte im Bunde die Sängerin Karin Kettling featured. Und vom Kreisler-Abend erscheint dieser Tage eine CD, hübsch rechtzeitig vor Weihnachten. Überhaupt, wer seine Lieben mit heimischen Künstlern erfreuen will, hat reiche Auswahl: Alix Dudel, hannoversche Diseuse und Moderatorin mit nachtdunkler Stimme hat ebenso ein neues Sortiment von Friedhelm-Kändler-"Schangsongs" auf Silberling aufgenommen wie der Frankfurter Chansonnier Jo van Nelson. So vielfältig die schrägen Texte des Leinestädter "Wowo-eten", so unerschöpflich offenbar auch die Möglichkeiten ihrer Interpretation: von schaurig-melancholisch bis ironisch-melodramatisch. Und auch die CD "Töte mich ganz" des Duos Marianne Iser und Thomas Duda dürfte noch in etlichen Schränken fehlen - HR 3 befand, sie gehörte "mit zu dem Besten, was der neue deutsche Chanson in diesem Jahr zu bieten hat". Doch noch genußvoller kann man ihr lauschen, wenn man die beiden live erlebt aht: Ab Oktober touren sie mit ihren selbstverfaßten rotzig-fetzig-sarkastischen Lieder um Liebe und Leidenschaft durch Deutschland - die erste große Tournee der Shooting Stars aus Hildesheim.
Von einer derart steilen Karriere träumt ein ganz anderes Hannover-eigenes Produkt noch. Für das Kaschperl-Theater der Gruppe Holla-Bolla, Untertitel "Ex-Bolla-Holla" ist die Comedy-Nation offenbar noch nicht ganz reif. Für alle, die dazulernen wollen: Das Ensemble läßt nicht etwa die Puppen tanzen, sondern stülpt sich selbst die Kasperkappen und Gretchenzöpfe aufs Haupt sowie die Fäustlinge an die Finger. Und spielt so wunderschön unkomplizierte Plots wie den von der Prinzessin, die vom bösen Krokodil entführt wird, das einen Kuchen vom König verlangt, den die Oma gebacken hat, weshalb sich Seppl und Kasper auf den Weg machen. Oder so ähnlich. Leider werden nur während des Spiel regelmäßig verschiedene Akteure krank, weshalb plötzlich der Seppl auch das Krokodil oder die Oma der Kasper ist - oder war's die Hexe? Huah! heißt das schöne Werk treffend, das nur noch von seiner Fortsetzung Huah! 3 erreicht wird und in Hannover Kultstatus genießt - regelmäßige Zugaben mit Parodien auf Bonanza oder Raumschiff Enterprise sind fester Bestandteil der durchweg ausverkauften Abende. Ob da ausgerechnet in den als spröde und schwerfällig verunglimpften Niedersachsen das Kind erwacht?
Auf alle Fälle lacht der Leinestädter an und für sich gerne. Wie alljährlich bei Norddeutschlands Kleinkunstfestival Mimuse zu erleben. Diesmal profitiert der Veranstaltungsort Langenhagen nicht nur in der Publikumsmenge von seiner Hannover-Nähe. Auch einen unumstrittenen Star kann man dort nur präsentieren, weil dieser vor Jahren aus Liebesgründen hier hängenblieb: Peter Shub, Ex-Roncalli-Clown, den viele schon jetzt zu den ganz großen Mimen nicht nur unserer Zeit zählen, gastiert wieder im Rahmen einer Gala FUNtastisch, die er auch mitgestaltet. Zuletzt geschah das bei der Mimuse 96 und war das Comedy-Spektakel des Jahres - man freut sich also auf einiges. Peter Shub kam übrigens mit frischem Ruhm vom internationalen Festival in Montreal: Er wurde dort sowohl für die Eröffnungs- als auch für die Schlußgala ausgewählt. Nur um die Dimension klarzumachen: Dafür werden von über tausend Künstlern je sieben gekürt. Shub bastelt derzeit weiter an Ideen gemeinsam mit Otto Waalkes und auch an einer eigenen abendfüllenden Show. In Deutschland ist er live praktisch nicht zu sehen - bis auf in Hannover. Seiner zweiten Heimat spendiert der Amerikaner einen Monat lang (Januar 99) Auftritte im GOP. Übrigens sucht Shub in Hannover dringend ein größeres Atelier zum Proben und Unterrichten, Angebote an seinen Manager Hans Malkmus, Tel. 0 61 44/ 9 34 60.
Zurück zur Mimuse, bei der übrigens auch Zauber-Entertainer Desimo mit seinen Plebsbütteln als Täter der Klamotte eines seiner raren Heimspiele gibt. Als ein weiteres Highlight gilt Massimo Rocchi, pantomimische Quasselstrippe aus Italien, der im letzten Jahr im Rahmen einer Gala begeisterte und nun mit seinem Solo-Abend am 23. Oktober den Theatersaal erobern dürfte. Am Abend darauf dürften dort die Säulen beben, wenn zur Finale-Gala Krissie Illing antritt. Als weiblicher Teil von Nickelodeon wurde die trottelig-schlaue Kassenbrillenträgerin berühmt, ihr Solo mit unverändert schickem Nasenfahrrad sollte den Trennungsschmerz der Ex-Duo-Fans um einiges trösten. Mit von der Partie bei dieser Laugh Parade: die Chapertons aus Barcelona, die aus Schläuchen aller Art absurde komödiantische Fantasien basteln, sowie der blonde Emil aus Berlin mit Gesangsparodien und gepflegtem Schwachsinn zun Ablachen. Ob das Programm gehalten hat, was es verspricht, liest man an dieser Stelle im März.
Bis denne, Evelyn Beyer
4.10. Burgdorfer Oktobermarkt, u.a. mit Niels
6.10.-11.1. Niels im GOP Essen
10.-24.10. Mimuse, Norddeutschlands größtes Kleinkunstfestival, Langenhagen, Info Tel. Mo- Fr (05 11) 7 30 72 41
19.+ 26.10. Alix Dudel: "Ab ins Desaster" im GOP Hannover, 20 Uhr
5.11. Hebebühne, Premiere "Wunschkonzert", 20 Uhr, Künstlerhaus Hannover
25.11. Thielke und Genähr, "und ab die Post!", Theatersaal Langenhagen
25.+26.11. Holla Bolla, Huah!/Huah! 3 im Pavillon, Hannover
27.+28.11. Marianne Iser, Thomas Duda: "Was kann mir schon geschehen?" Gallus Theater, Frankfurt
16.-20.12. Hebebühne: "Crunchy Xmas, Weihnachten für Randgruppen" im Theater am Küchengarten
Januar 1999 Peter Shub im GOP Hannover
7.1.-7.2.. Dietrich Kittner, "Mords-Gaudi oder Betretenheit verboten" jeden Do-So im Theater am Küchengarten, Hannover
1998-09-15 | Nr. 20 | Weitere Artikel von: Evelyn Beyer