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    Jung, magisch, Hannover

     

    Ja, die drei Worte fallen einem nicht so oft zusammen ein, aber es gibt sie, die junge Magie von Hannover. So haben wir hier längst den nächsten Uri Geller; das Besteckverbiegen, einst Grundstein für Gellers Erfolg, praktiziert hier locker der Nachwuchs. Cody Stone, 20, Deutschlands jüngster TV-Magier mit eigener Show „Magic Attack“ täglich auf Super-RTL, beherrscht das Löffelkrümmen lässig, zieht allerdings Gabeln vor – da kann er die Zinken noch in hübschen Varianten abspreizen lassen. Ein sanftes Darüberstreichen der Finger oder auch nur der Gedanken – schon sieht das eigentlich stabile Esswerkzeug ziemlich kurvig aus. Zum Beweis führte er es vor Journalistenkameras Hannovers neuem GOP-Chef Dennis M. Meyer vor, Nachfolger von Werner Buss, der sich jetzt ganz auf seine Aufgaben in der Gesamtleitung der GOPs konzentriert. Meyer, in dessen Händen die Verbiegung passierte, war baff. Allerdings strebt Cody Stone nicht in eine übersinnliche Uri-Geller-Ecke.Kabarettakademie_2008 Sondern macht in ambitionierter Großraum-Magie à la David Copperfield, für dessen Show er im Herbst 2006 ja in Bremen schon einmal den Vor-Zauberer gab. So sagte er ganz im Copperfield-Stil eine Schlagzeile der Neuen Presse Hannover mitsamt Fußball-Ergebnis von Hannover 96 Monate vorher korrekt voraus: Bei einer Festlichkeit der Neuen Presse im August ließ er sie in einen Umschlag stecken, übergab diesen amtlichen Händen und ließ sie bei der Premiere seiner Abendshow im Oktober wieder öffnen: Siehe da, alles stimmte. Nun plant der zauberhafte Cody Größeres, will im Sommer die Festungsinsel Burg Wilhelmstein im Steinhuder Meer verschwinden lassen. Die steht seit 1765 an Ort und Stelle, man darf gespannt sein.

    Und noch ein Jung-Hannoveraner schaffte jetzt den Sprung von der „Rampenlicht“-Varieté-Bühne, wo sich nicht nur, aber immer auch Nachwuchs tummelt, auf die größeren GOP-Bretter: Benni M., der rasante Jongleur und Meister des Diabolo, hatte bei einem Hannover-Special im GOP so überzeugt, dass er jetzt mit im Abendprogramm auftritt. Lässig in Turnschuhen, T-Shirt und Käppi tritt er an, lässt gekonnt die Rollen kreisen und fliegen und legt dazu, ganz die neue Generation, ordentlich kräftige Ska-Rhythmen auf. So gewann er auch einen ersten Preis beim internationalen LiLaLu-Zirkuspreis in München, so rockte er seit Jahresbeginn in Hannover den Saal, ließ die Menge nur so toben, und so geht er nun auch mit dem Programm auf Tour. Wetten, dass er einer der Großen wird?

    So wie es auf ganz andere Art Niels schon ist, der so poetisch-stumme Mime und beste Schrägsteher der Welt, der im Dezember mit einem Best-of beim „Varieté Le Grand Spectacle“ in der Brunsviga in Braunschweig begeisterte, danach mit dem Winterträume-Varieté in Pforzheim gastierte und nun im Neuen Theater Höchst Frankfurt spielt. Oder der große Clown Peter Shub, zugegebenermaßen ein zugezogener Hannoveraner aus San Francisco, der seiner Wahlheimat derzeit wieder vermehrt Auftritte gönnt. Bei Desimos Lindener Spezialclub im Apollo-Kino gehört sein Solo-Programm zu den noch „ausverkaufteren“ Veranstaltungen als die anderen dort, Shub hat seine Parade-Nummern wie den unsichtbaren Hund, das Spiel mit dem Luftballon, die Publikumsanimation mit Kamera und Koffer und Neueres wie seine Stand-up-Texte zu einer absurd-melancholisch-aberwitzigen, pseudo-autobiografischen Show zusammengebastelt, ein Clownsprogramm, wie es derzeit wohl kein zweites gibt, und mit dem er nun durch Deutschland tourt.

    Auch klasse: Peter Shub & friends bei den Winter-Festwochen in der Orangerie in Herrenhausen. Ein grandioser Georg Leiste turnte als Luciano Parmarotti mit angepapptem Bauch und Bart zum Opernarien-Playback irre Stemmübungen auf dem zwei Meter hohen Garderobenständer und tanzte später als üppig gepolsterte Primaballerina auf einem von zehn starken Zuschauern gehaltenem Seil. Max Nix und Will Widder Nix sahen als Duo schon absurd aus, vollführten noch absurdere Zaubertricks, glänzten aber vor allem mit ihrer saukomischen Rock’n’Roll-Nummer in Elvis-Anzügen mit Plastiktollen auf dem Kopf, bei der sie auf Alphörnern „Rock around the clock“ intonierten. Das hatte Charme, gute Aussichten fürs hiesige GOP, wo sie von April bis Ende Juni zu sehen sind. Den Ritterschlag zum „friend“ hat Shub auch Hannovers Nachwuchs-Jongleur Robert Wicke erteilt, dem spitzbübigen Youngster mit Ballonschirmmütze, der sehr amüsant mit Keulen und Publikum spielte und eine wirklich bezaubernde Beat-Box-Nummer mit Kartoffelchips und Mineralwasser hinlegte: Dank Loop knastert und cruncht rhythmisch der Beat aus den Lautsprechern.

    Und Peter Shub war auch einer drei „Spezialisten“, Preisträger des alljährlichen Publikumspreises des Lindener Spezialclubs, der diesmal in Hannovers Schauspielhaus verliehen wurde. Ganz neues Publikum in den Rängen, das außer Shub die so virtuose wie witzige Cellistin Rebecca Carrington mit ihrem Partner Colin Griffiths-Brown erlebte – Dudelsackklänge vom Cello, ein urkomischer Durchritt durch die Musik, tolles Duo. Und Sascha Korf, der hyperaktive, irrwitzige, durchgeknallte Comedian, schwänzte für die Verleihung sogar den Kölner Karneval, Hannover dankte mit brüllendem Jubel. Ja, Desimos Lindener Spezial Club ist weiterhin ein Hort des großen Blödsinns in Hannover, und dank Sponsor auch für weitere sechs Shows in Braunschweig in der Brunsviga. Im Oktober feierte er seine ersten fünf Jahre mit einer großen Gala im Theater am Aegi, bei der auch wieder Shub auftrat, zusammen mit einer sehr witzigen Martina Brandel, den smarten Blödlern Helge und das Udo, dem in Hannover adoptierten Stuttgarter Comedy-Trio Eure Mütter, deren Synchron-Haarewaschen auch beim x-ten Auftritt hier alle absolut aus dem Häuschen geraten lässt, und Lokal-Matador Matthias Brodowy, der eine schöne Breitseite gegen Eva Hermann losließ: „Ab 5.45 Uhr wird zurückgeputzt“.

    Für seine Solo-Abende erntet Hannovers liebster Kabarett-Jungstar mittlerweile allerdings auch kritische Stimmen. Nach der Premiere des Programms „Allergie“ mache das böse Wort vom „FDP-Kabarett“ die Runde, schrieb ein Zeitungskollege: „Auf die Themen setzen, die ohnehin in aller Munde sind, nicht gar zu viel Unerwartetes sagen und dabei möglichst wenigen wehtun.“ Und für sein Best-of-Programm „Bis es Euch gefällt“, das er bei den Winterfestwochen in Hannovers Orangerie mitschneiden ließ, prägte Brodowy selbst das passende Wort vom „Handlungsreisenden in Sachen gehobener Blödsinn – oder Neudeutsch: Chief-Representative of High-Level-Bullshit“. Entsprechend preist er seine Pointen an, er schießt sie nicht mehr ab. Ob es am „Allergie“-Inszenator liegt? Horst Schroth, der die Regie führte, hat sich schließlich auch vor Jahren von seinen einst so schön stacheligen Politthemen verabschiedet und sich auf das wabbelig-seichte Gebiet der Geschlechtsunterschiede begeben, vom Hirn in die unteren menschlichen Gefilde sozusagen – „Mario Barth für Akademiker“ schrieb ein anderer hiesiger Kollege höchst treffend über Schroth.

     

    Apropos Winterfestwochen:

    Der überdachte Gegenpart zu Hannovers Festwochen Herrenhausen im Sommer bescherte der Stadt in diesem Winter ein extra-starkes Varieté-Stück. La folie, die Verrücktheit, rauschte in einem großen, übermütigen Bilderbogen über die Bühne der Orangerie, pralle Lebensfreude, inszeniert von Werner Buss als Produktionsdirektor und Regisseur Knut Gminder, ursprünglich Filmregisseur aus Hannover, der sich mittlerweile auf den Varietébühnen Deutschlands eine ordentliche Zweitkarriere aufgebaut hat. Er konnte ein Top-Ensemble in Szene setzen und nutzte dazu auf eigenwillige und überraschende Weise Teile des Zuschauerraums, spielte mit Licht und Stimmungen und schuf so ein Gefühl von mittendrin statt nur davor. Gleich zu Beginn seilte sich Clown Anthony Venisse von der Decke ab, ein wahrlich innovativer Comedian, der als roter Faden durchs Programm stolperte und sehr körperlich das Klavier austestete, während Amélie Venisse den angeblich eleganten Gegenpart gab, auf Hackenschuhen als akkordeonspielende Puppe über die Bühne stöckelte und großartige Grimassen schnitt. Atemberaubend in den Bildern Valerie Bilodeau, die phänomenal mit einem „Cyr“, dem Riesen-Hula-Hoop-Reifen, tanzte; oder auch Elizabeth Williams, die am Vertikalseil turnte und mehrere Meter über der Erde Tango tanzte. Mitreißend auch der junge Schwede Erik Ivarsson, der mit großen und kleinen Einrädern über Bretter bretterte und dabei irre Tricks auf Lager hatte. Basile Narcy verblüffte und amüsierte mit Jonglage, das Quartett Akoréacro mit klasse inszenierter Voltigeakrobatik, Ernesto Terri & Cynthia Fattori faszinierten im leidenschaftlichen Tangoschritt – und dann war da noch Fleeky. Ein Wesen wie vom anderen Sterne. So war er angekündigt, so trat er in Erscheinung. Ein Handstand-Equilibrist und Kontorsionist der neuen Generation „und verrückt“, schreibt er auf seiner Webseite dazu. Rote Fledderhaare, ein Outfit irgendwo zwischen altem Gauklerkostüm und New Wave, tanzt er seine Kontorsionen geradezu in aufregend neuem Stil, schaut dem Publikum tief und intensiv in die Augen, während er sich die Beine hinter die Ohren klemmt. Gänsehautverdächtig. So war La Folie, viertes Wintervarieté und zweite Eigenproduktion in Hannover, mindestens so gut wie, auf ganz andere Art, im Vorjahr Sonido.

    Und sonst? Hat sich Stephan Guddat vom Lokalmatador-Travestie-Trio Böse Schwestern getrennt und schlafen gelegt: „Im Bett mit Gisbert“ heißt seine Comedy-Show, in der er verrückte Geschichten mit hemmungslosen Liedern paart, Premiere war im Marlene. Fischbrötchen 1 Euro landete trotz des schönen Namens in der Tonne, als Phönix aus der Asche kletterten Wolfgang Grieger und die High Nees. Die Themen seiner schrägen Lieder blieben – vom Almabtrieb über den Puff bis zur Fußpflege –, nur hat er diesmal Hein und Highn an seiner Seite, mit Flöte, Kartoffelstampferfidel und Kontrabass, kurz, wie sich das Trio selbst anpreist, „ein Kessel Quatsch mit drei Esslöffeln Blödsinn“. Premiere war auf der Hinterbühne, mittlerweile auch eine klasse Adresse für spaßige Kunst in Hannover. Übrigens: ein anderer Hort der kleinen Künste läuft derzeit so gut, dass sein Programm aufgestockt wird: Die Werkstatt Galerie Calenberg, der einst auch Matthias Brodowy entwuchs, macht ab Herbst zusätzlich zum Wochenende auch donnerstags Programm. Auf dass der Nachwuchs weiter wachse.

    Redaktion: Evelyn Beyer

     

    Termine:

    Immer am 2. Donnerstag im Monat: Blub Blub Club mit schrägen Gesängen, Spaß und Comedy, mit Nico Walser und Wolfgang Grieger

    Immer am letzten Montag im Monat: Desimos Lindener Spezial Club im Apollo Kino in Hannover

    6.–8. Mai: Rampenlicht-Varieté im Kulturzelt Hannover: Clowns Comedy Show, die Absolventen der hannoverschen Clownsschule TUT stellen sich vor

    30./31. Mai: Rampenlicht-Varieté im Kulturzelt Hannover: Varieté-Programm

    27. April: Desimos Überraschungs-Mix in der Brunsviga Braunschweig

    9. bis 27. Juli 2008 Kleines Fest im Großen Garten

    August/ September: Kultur im Zelt, Braunschweig, Programm wird im April veröffentlicht

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    2008-03-15 | Nr. 58 | Weitere Artikel von: Evelyn Beyer