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  • Szenen Regionen :: Münster

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    Juwelen aus der Provinz ...

    Eigentlich schreibt man ja nicht so gerne über Kollegen. Entweder es artet in Lobhudelei aus, oder man gönnt sich den kritischen Blick – was spätestens beim nächsten Aufeinandertreffen (bei irgendeiner Gala oder so) mitunter sehr humorfreie Diskussionen nach sich ziehen kann. Dennoch verdient Münster, was seine rege Kabarettkultur angeht, ein größeres Augenmerk als ihm bisweilen zuteil wird. Also möchte ich versuchen, dem geneigten Leser Appetit auf diese bunte und lohnenswerte Szene zu machen ...

    Münster – was ist das? Die meisten denken jetzt an den Münster-Tatort, an Wilsberg-Krimis, vielleicht an Ottmar Alt und Pinkus-Bier, vielleicht auch an Volker Pispers, der in dieser schnuckeligen Stadt seine ersten Kabarettgehversuche startete ... und natürlich denken viele an unser lokales Zugpferd: Götz Alsmann. Der promovierte Musikwissenschaftler Alsmann ist nicht nur ein ausgezeichneter Kenner der Schallplattenkultur, sondern auch ein erfahrener Musiker – nicht nur Pianist! – und vor allem ein begnadeter Entertainer. Im wahrsten Sinne des Wortes. Viele kennen seine WDR-Sendung „Zimmer frei“, eine Art frei assoziiertes, liebevoll-chaotisches und mitunter alkoholgetränktes Interview, zusammen mit Christine Westermann und einem Gast. Westermann übernimmt den ernsten Part und Götz Alsmann glänzt mit Kommentaren, mit subtilen Stimmungskorrekturen und mit einer manchmal atemberaubenden Sicherheit im Spiel mit der Kamera. Neben Harald Schmidt wüsste ich in dieser Republik keinen anderen Entertainer, der derart schlagfertig jede Vorlage verwandelt, ohne dabei an Sympathie zu verlieren. Am schönsten aber finde ich die Auftritte mit seiner Band: Das ist Kleinkunst und große Show in einem. Alsmann entwickelt dabei im Laufe der Jahre einen immer feineren Humor und hebt sich mit seiner gepflegten Art angenehm ab von den Schreihälsen auf unseren Mattscheiben. Sein neuestes Werk „Kuss“ hält wieder einmal die perfekte Balance zwischen nostalgischer Atmosphäre und einer Prise Schalkhaftigkeit, der man schwer widerstehen kann.

    Auf dem Sommer-Kabarett-Festival der Münsteraner Szene fehlte Alsmann (das hätte wohl auch den Rahmen gesprengt ...). Und nicht nur er, sondern leider auch der aus meiner Sicht unangefochten beste Kabarettist unserer Szene, Thomas Philipzen. Von Haus aus ist er ebenfalls ein guter Musiker, aber wirklich herausragend ist seine Kombination aus Text und Schauspiel. Sein Timing auf der Bühne ist schlichtweg perfekt und seine Bandbreite lässt in seinen Programmen zum Glück auch einen roten Faden erkennen – er muss nicht Rollen-Zappen, um komisch zu sein. Bei Thomas Philipzen bekomme ich Zwerchfellmuskelkater.

    Diese Form von Muskelkater bekam ich aber auch beim Festival. Ganz oben an beim intimen und grandiosen Auftritt von Klaus Renzel. Eigentlich ein – sehr guter! – Pantomime spielte er sich an diesem Abend mit Gitarre und Charme direkt in die Herzen der Zuschauer. Ich hatte Tränen in den Augen – Lachen bis an die Schmerzgrenze!

    Mit dabei beim Festival auch Carsten Höfer, ein echter Kabarettakrobat, bühnenfest und TV-erfahren. Höfer führt rasant durch sein rund zweistündiges Programm „Frauenversteher“, mit einer großen Bühnenpräsenz – manches lebt allerdings nur von dieser Bühnenpräsenz, aber in jedem Falle lohnt es sich, Höfer anzuschauen, wenn er in Ihrer Stadt aufläuft.

    Organisiert hat das Festival eines der Münsteraner Urgesteine: Manne Spitzer. Spitzers Stärke ist das Wort. Seine Texte haben manchmal die Tiefe eines Literaten und erreichen die Skurrilität eines Erwin Grosche. Was das Schauspielerische angeht, so hapert es hier und da, eine Schwäche, die man ihm am Ende eines Programms gerne verzeiht.

    Das Schauspiel ist sicher nicht der schwache Punkt des hiesigen Studentenkabaretts Schulte Brömmelkamp. Seit vielen Jahren tritt dieses Ensemble in unterschiedlichen Formationen vor allem in Münster auf – immer besetzt von (immer-noch-)Studenten der hiesigen Uni. Allerdings: Manchmal wünscht man sich gerade von einem solchen Ensemble mehr Stärke im Wort ...

    Ich komme nun zu zwei Geheimtipps: Das Duo „die Leute“ packt aus. Da kommen zwei rasiermesserscharfe Beobachter des alltäglichen Wahnsinns auf die Bühne, die schauspielerisch ihr Handwerk gelernt haben. Marcel Kaiser und Irmhild Willenbrink gehören für mich zu den größten Talenten, denen hoffentlich noch eine gelungene Karriere bevorsteht.

    Mein ganz persönlicher Favorit aber ist das Duo Karsten Berg. Wer eine der raren Shows von Tobias Karsten und Oliver Berg zu sehen bekommen kann, der darf sich auf die pure Anarchie freuen. Stets vollbeladen mit nicht-funktionierender Technik (Videobeamer, Wasserbassins, Handpuppen), exorbitanten Bühnenbildern von Ausmaßen, die kaum eine Kleinkunstbühne fassen kann (alles handgemacht!) erscheinen sie frivol, unendlich komisch und mit der Konzeptlosigkeit als kongenialem Konzept. Der totale Wahnsinn! Da steht schon vor der Pause die Bühne unter Wasser, weil in der Wiederbelebungsszene von Fisch „Nemo“ echtes Wasser halt sein muss. Und ein mit zwei ineinander gestellten Wäscheständern gestütztes, etliche qm großes Plastikfolien-Meer für zwei schiffbrüchige Musiker von der Titanic entfaltet sich bedrohlich nah bis zur ersten Zuschauerreihe! Wirklich geradezu revolutionär, was diese schrägen Vögel auf der Bühne treiben. Leider betreiben die beiden ihr Programm immer noch als Hobby – hoffentlich fallen sie in ihrem Studium durch sämtliche Prüfungen und machen das, was sie wirklich können, endlich professionell: Nämlich wunderbaren Unsinn!

    Schon seit langer Zeit professionell und Deutschlands wohl meistpreisgekröntes Ensemble heißt Die Buschtrommel. Ihr Programm „Organisiertes Versprechen“ darf sich auf allen etablierten Kleinkunstbühnen des Landes sehen lassen – und tut das auch. Souveränes Kabarett mit einem äußerst gesunden Maß an Geschmacklosigkeit. Für Letzteres ist vor allem Andreas Breing verantwortlich, der hier in Münster in regelmäßigen Abständen in der Rolle des gescheiterten Führers „Hitlers Tischgespräche“ gestaltet – außergewöhnlich und absolut großstadttauglich!

    Ein weiteres Urgestein der Münsteraner Szene ist Markus von Hagen. Bei ihm muss man wirklich hinhören. Unter anderem mit dem „Herner Satirepreis“ ausgezeichnet, gelingen Markus von Hagen Texte von einer Tiefgründigkeit und einer Boshaftigkeit, die es getrost mit einem Kreissler aufnehmen können. Nix für Comedy-Fixierte.

    Die gehen ja auch lieber zu Klaus Hermann. Die Münstersche Antwort auf Atze Schröder beschränkt sich auf die wichtigsten Themen: Frau, Mann, Mann und Frau, Männer und Frauen ... und so was halt. Vielleicht nicht jedermanns Geschmack, aber Hermann ist in jedem Falle komisch!

    Zu „everybody’s darling“ hat sich Michael Tumbrinck entwickelt. Mit feinem Gespür nimmt er sich unterschiedlichster Themen an, die er schlagfertig und sehr souverän anpackt. Irgendwie ein Naturtalent und auf Festivals ein echter Abräumer! Wenn er sich endlich trauen würde, auf der Bühne auch mal richtig hässlich zu sein, etwas mehr Ecken und Kanten in seinem Spiel zu wagen! Dann steht diesem Mann – da bin ich mir sicher – eine goldene Zukunft bevor.

    Ein anderes Ensemble hat sich leider vor Jahren aufgelöst: In bester Tradition des politischen Kabaretts gab es in Münster lange Zeit Die kleinen Mäxe. Nun haben sich zwei von ihnen wieder zusammengefunden: Harald Funke und Jochen Rüther. Ihr Programm „Germanosaurus Ex“ besticht ganz im Stile der Mäxe durch die Qualitäten, die eben nur politisches Kabarett bieten kann. Nicht mehr, aber ganz sicher auch nicht weniger.

    Auch ein anderes politisches Ensemble hat sich aufgelöst, Dr. Wamslers Küchenkabinett. Übrig geblieben ist Willy Hochgrefe, ein echter Westfale. In seinem Solo beschwört er geradezu die westfälischen Tugenden – vielleicht nicht jedem zugänglich, aber als bekennender Westfalen-Fan kann ich mir auch nur ein westfälisches Urteil leisten ...

    So – habe ich noch jemanden vergessen? Ach ja ... mich. Wenn ich also in Ihrer Stadt spiele – na ja ... Sie wissen schon ...

    Redaktion: Tobias Sudhoff

    2005-12-15 | Nr. 49 | Weitere Artikel von: Tobias Sudhoff