Heimlich wische ich meine feuchten Hände am Hosenbein ab, wickle den weißen Lilienstengel aus dem rosa Papier und lege ihn zurück auf den leeren Stuhl. Vorsichtshalber bestelle ich ein Glas Wasser. Die Show ist vorbei, die Gäste an den Nachbartischen haben es nicht eilig, nach Hause zu gehen. Und ich warte darauf, dass Olga Lomenko aus der Garderobe kommt.
Fast unbemerkt hat sich die Künstlerin unter die verbliebenen Gäste gemischt. Galt der suchende Blick mir? Ich zögere. Olga spricht leise, lächelt. Ich bin sicher, dass sie mir nichts tun wird.
Olga will wissen, ob die Texte gut zu verstehen waren. Der Saal in der Schaubühne Lindenfels mit seinen Säulen und dem morbiden Putz besitzt das Flair eines alten Ballhauses, doch für so ein intimes Programm ist er zu geräumig. Trotzdem, Probleme mit der Akustik gab es nicht. Mit ihrem aktuellen Revueprogramm, das „Von Männern, Frauen und anderen Tieren“ handelt, bringt sie einige Grundmuster schon mal durcheinander. Ihre Tiger sind smart, ihre Täubchen gefährlich. Aber alles kann jederzeit auch wieder ganz anders sein. Olga Lomenko steht noch nicht lange im Rampenlicht. In der Schaubühne Lindenfels, wo sie gerade gastiert, hat die studierte Germanistin noch vor wenigen Jahren als Kellnerin gejobbt.
Die musikalischen Inszenierungen „Verstimmtes Klavier“ und „Tschechows Gesänge“ machten die Solistin zum Star im Leipziger Kleinkunstmilieu, ebenso wie ihre Mitwirkung im Krystallpalast Varieté, wo ihr das Publikum 1998 den hauseigenen Oscar verlieh. Olga wird geliebt. Für ihr Temperament, ihren Witz und - wie ich gerade selber spüre - für ihre natürliche Offenheit. Ob von da oder dort: Ihren latenten slawischen Akzent mixt die Wahlleipzigerin auf der Bühne gern auch mal ein bisschen dicker unter ihre überwiegend deutschen Texte. Den hemdsärmeligen „Ualdemaar“ (Ick liebe ihn) brächte vermutlich kein Kiewer Marktweib besser als sie. Wenn sie „Tjemperatura“ faucht (You Give Me Fever), ist das Publikum „chingerissen“, und alle Männer möchten sie anflehen: „Sprich Russisch mit mir!“ Die Kellnerin bringt drei Gläser. Der Wein ist für uns, das Wasser kriegt die Lilie. Ich überlege, ob Kornblumen nicht besser gewesen wären. Beim nächsten Mal bringe ich einen gemischten Strauß mit.
Redaktion: Carsten Heinke
2000-06-15 | Nr. 27 | Weitere Artikel von: Carsten Heinke