Trottoir Online Magazin / Künstler und Eventattraktionen

--- Trottoir Admin Ebene ---

 
 
 
Trottoir Header
Suche im Trottoir

Kategorien Alle Jahrgänge




Admin Bereich K10


Artikel - gewählte Ausgabe
Meist gelesen
Statistik
  • Kategorien: 66
  • Artikel: 3596
  • Szenen Regionen :: Nordwest

    [zurück]

    Mitten aus dem Epizentrum des Humors

    Ja, dazu hat unser Shooting-Star Matthias Brodowy in einer neuen Strophe seines „Keks-Lieds“ die „Stadt am hohen Ufer“ ernannt: Hannover ist das Epizentrum des Humors – ach, wir lassen uns doch gern besingen. Und Atze Schröder hat uns versichert, wir seien ein gaaanz tolles Publikum und er käme mit seinem Programm jetzt achtmal zu uns – und nur zweimal nach München. Auch die Chaos-Comedy-Helden Eure Mütter pendeln zwischen Hannover und ihrer Heimat: Offenbar gehen nur wir verstockten Norddeutschen beim höheren Blödsinn einer Nach-Unfall-Casting-Show-Nummer so richtig aus uns heraus. Die Mütter werden hier weiter abgefeiert, und da die Kleinkunstbörse Freiburg offenbar einen schlechten Mütter-Tag erwischte, behalten wir sie wohl erstmal für uns.

    Ja, hier werden die großen kleinen Künste hoch geschätzt: Ihnen galt die allerallererste Amtshandlung unseres neuen OB. Kaum gewählt, verordnete er, dass Harald Böhlmann das Kleine Fest im Großen Garten weiter leiten darf, auch wenn er im Herbst 2007 aus dem Amt des Kulturdezernenten scheidet. Das Fest ist in der Tat schwer vorstellbar ohne den „Mann mit dem Zylinder“; er erfand es und führte es zu so viel Ruhm, dass er selbst im November in die Jury des Daidogei-World-Cup in Shizuoka in Japan, dem größten Straßentheater-Ereignis der Welt, berufen wurde. Hohe Ehren. In diesem Sommer findet das Kleine Fest vom 11. bis 29. Juli mit 15 Veranstaltungen statt; seine Ableger wie Eure Mütter, Hinz & Kunz (witzig) und Art of Mouth (phänomenal) füllten im Winter die Orangeriebühne am Großen Garten.

    Ebenso das adventliche Wintervarieté, bei dem Hannover wieder eine Stärke ausspielte: Man kennt sich hier. Wenn der Werner Buss vom GOP schnell mal tolle Musiker für die nächsten Monate braucht, dann fragt er den Erwin Schütterle vom Kanapee, wo immer die Künstler mit der riesigen Qualität und der ausbaufähigen Bekanntheit auftreten. Und schon touren sie durch die GOPs der Republik: Panama Red alias Miko Mikulicz (Violine) und Rainer Ranis (Gitarre und Mundharmonika) rocken das Publikum oder lassen es sinnieren, sind melancholisch oder wild, bluesig, folkig und jazzig und grandios. Dazu Herr Niels, dieser fantastische Pantomime als stummer Moderator, der die dümmste Fresse der nordischen Tiefebene ziehen kann, aber auch über den beredtesten Blick verfügt, der seine Arme und Beine schlackern lässt wie aus Gummi, sich völlig relaxt auf Luft abstützt und seine pantomimischen Acts in Perfektion beherrscht – der Mann ist top-class. So hatten die Traumtänzer bei uns ein halbes Heimspiel, was kein Nachteil war. Zum dritten Mal füllte das Wintervarieté wochenlang die Orangerie, und während es in den ersten beiden Jahren mit „Vivace“ und „Sonido“, sagen wir, ganz erfolgreich ausging – Publikum kam und klatschte –, so war es dieses Jahr der Hammer. Die Show poetisch und temporeich, gut gemixt, von den verblüffenden Zeitlupen-Handstandkünsten Ernest Palchykovs über die mystisch wirkende Leuchtring-Jonglage des Berliners Jochen Schell bis zu den schwerelosen Salti der Gruppe Crazy Flight klasse Nummern dabei, riesiger Jubel, ausverkaufte Shows, Zusatztermine, dann ging es weiter ins GOP Essen. Und schon wächst Neues in der Leinestadt: Denn Matthias Brodowy und Werner Buss taten sich mit dem Freundeskreis Hannover zusammen, um die jungen Künstler des hiesigen kleinen Varietés Rampenlicht auf der großen GOP-Bühne zu präsentieren, professionell umrahmt von Niels und Panama Red sowie Brodowys charmant-bissigen Moderationen. Beeindruckend schon die Vielfalt, die von Johanna, der Clownshexe auf der Glasharfe, bis zu charmanter A-cappella von Vocaldente reichte. Als Jüngster ließ der 15-jährige Mark bis zu sechs Bälle temporeich fliegen und dirigierte mit abgezirkelten Gesten selbstbewusst das Publikum. Gerade erst 20 Jahre alt, hat Cody Stone schon eine Deutsche Meisterschaft in der Tasche: Er ist Jugendmeister der Zauberkunst und mit seiner Serie „Magic Attack“ auf Kabel 1 wohl auch Deutschlands jüngster TV-Magier. Bei der GOP-Show freilich litt er unter dem rappelvollen Haus, man sah ihn auch von hinten – da könnte auch kein Copperfield zaubern. So beließ er es bei charmant präsentierten Fingerfertigkeiten – sonst hat er klasse Tricks mit Skateboards und fesselnde Entfesselungskünste drauf. Im Juni gastiert er im Blub-Blub-Club, im Oktober soll eine abendfüllende Show Premiere haben; derzeit bespaßt er die CeBIT. Und zwar zusammen mit einem weiteren Hit des Nachwuchs-Abends: Benni, einem Diabolo-Derwisch. Zu rasanter Musik tanzt er über die Bühne, lässt bis zu drei Rollen gleichzeitig Formationen fliegen, hüpfen und kreiseln, ver- und entknotet den Strick, dass das Auge kaum mitkommt, und elektrisierte selbst das recht gesetzte Publikum dieses Abends. Noch eine erfreuliche Überraschung: Sängerin Stefanie Seeländer, an dieser Stelle schon einmal arg geschmäht, bewies, dass sie doch über Bühnenpräsenz und Witz verfügt. Sie arbeitet an einem neuen Programm – wenn’s in dem Stil weitergeht, könnte es ein Lichtblick werden.

    Auch Brodowy wagt Neues: Er tut sich mit Männergestalten zusammen, dem Käpt’n-Blaubär-erprobten Puppenspieler Detlef Wutschig. Die gemeinsame Show heißt  „Bert Engel sagt Tschüß“ und angeblich wird der wohlstandsgerundete Brodowy dabei im hautengen Kostüm einen Ausdruckstanz wagen. Am 10. April ist Premiere in Alma Hoppes Lustspielhaus in Hamburg, in Hannover am 7. Mai bei Desimo im Apollo-Kino. Dort, beim Lindener-Spezial-Club, durfte Brodowy erstmals nicht die Laudatio für den jährlichen Publikumspreis „sPezialist“ halten – er war selbst einer der Bepreisten. Außer ihm wurden der technisch und darstellerisch brillante Bauchredner Sascha Grammel aus Berlin sowie das Duo Helge und das Udo aus Tübingen geehrt, deren Sketch mit dem hyperaktiven Buddhisten brillant war. Der Lindener-Spezial-Club läuft weiter höchst erfolgreich, auch die Soloabende mausern sich. Bodo Wartke, Jungstar des Musikkabaretts, war im Januar so ausverkauft wie umjubelt. Auch in der Brunsviga Braunschweig ist der „Club“ weiter aktiv, und neuerdings auch in Rethmar gleich bei Hannover: Auf dem Gutshof Rethmar hat nämlich Wolfgang Werner, in Hannover Macher der kleinen Bühne Werkstatt Galerie Calenberg, einen neuen Spielort mit charmantem Ambiente und 400 Plätzen aufgemacht, wo im März schon das Wall-Street-Theatre und Kalle Pohl auftraten und am 20. Mai die Münchner Lach- und Schießgesellschaft gastiert.

    Voran geht’s auch bei Fischbrötchen 1 Euro, die Kulturbörse Freiburg kam diesmal in den Genuss ihres „Arsch-aus-der-Hose-Mann“s: Hannovers schrägstes Duo schlug sich tapfer auf der Bühne, sang Hits wie den vom Rabatt, den es im Puff nicht gibt, und machte die Tempeltänzerin. Und auch wenn sie nicht ganz so locker und lustig wie daheim waren, trudelten Angebote ein. Ihr Blub-Blub-Club präsentiert die bunteste Humor-Mischung der Stadt: Female-Trash-Comedy von Heike Schneider aus Köln etwa, die intensiven Zungenkontakt mit dem Mikro pflegte und einen Zuschauer auszog, oder Berliner Blödelei mit Beppo Pohlmann von den Gebrüdern Blattschuss, der das Haus humorig rockte. Am gleichen Abend bewies der hannoversche Stimmimitator Christian Korten, dass seine Zunft auch nach Stoibers Abgang wenig Sorgen hat, solange ein Glos, ein Köhler und eine Merkel bleiben. Im April erwartet der Blub-Blub-Club den Prix-Pantheon-Preisträger Fatih Cevikkollu, dazu spielt das hannoversche „Ferkelpop“-Duo Saufziege und Fürst B. – und die halten, was ihre Namen versprechen.

    Traditionsgemäß spielte das hannoversche Kabarett-Urgestein Dietrich Kittner im Januar in Hannover – doch gegen die Tradition diesmal nicht im Theater am Küchengarten (TaK). Was verwundert, hat er doch das TaK gegründet – im Januar vor genau 20 Jahren. Allerdings hat das TaK vor drei Jahren erst Zehnjähriges gefeiert – zehn Jahre nach der Übernahme durch Horst Janzen nämlich. So verabschiedet man sich von seiner Vorgeschichte. Ein Grund: Das TaK möchte sich verjüngen, es hat mit Volker Surmann, Ingo Börchers, Ludger K., Hans Gerzlich, Robert Louis Griesbach und Florian Schroeder im Frühjahr jüngere Künstler eingeladen. Auch beim Publikum strebt man nach Nachwuchs und offeriert Schulveranstaltungen. Verjüngen konnte sich jedoch auch Erzlästermaul Dietrich Kittner bei seinem Umzug ins undergroundige Kulturzentrum Faust: Das dortige Stammpublikum, gut anderthalb Generationen jünger als der Künstler, fand mächtig Gefallen am ungebeugt links-kritischen Humor des alten Haudegens. „Sehr geehrte Drecksau“, der Programmtitel entstammt einem Schmähbrief an Kittner, denn ein „Briefroman“ bildet das Gerüst des wieder mehr als dreistündigen Programms: viele satirische Schreiben, die Kittner im Laufe seiner Karriere an Innen- und Verteidigungsminister sandte und jüngst auch an Bernd Neumann. Vor Jahrzehnten hatte der geäußert, er würde die Werke Erick Frieds lieber verbrannt sehen. Nun sandte ihm Kittner zum Amtsantritt als Kulturstaatsminister Zündhölzer – Neumann säße ja nun an der richtigen Stelle. Und zwischen Dank an Struck für seinen Hang zum Hindukusch und Schmäh über Schäubles Passbilderlass, der Staat verbiete Lachen und Zähnezeigen, schöpft Kittner aus seinem riesigen satirischen Fundus, improvisiert, rechnet, wettert gegen den Lauschangriff, gegen die „Diktatur der extremen Mitte“, gegen Kampfeinsätze: „bitter, böse, gut“, titelte eine Tageszeitung zutreffend.

    So pointiert politische Töne hört man sonst am ehesten noch bei Volker Pispers und Hagen Rether, die beide bei Hannovers erstem Kabarettfestival die rappelvolle Orangerie jubeln ließen – ebenso wie natürlich Urban Priol. Sehr erfolgreicher Start, nun folgt der zweite Streich: am 14. September eröffnet Mitternachtsspitzen-Star Wilfried Schmickler, am 15. folgt ZDF-„Anstalts“-Neuling Georg Schramm, am 16. Thomas Reis, am 17. das Kom(m)ödchen und am 19. die Lach- und Schießgesellschaft. Zwei Ensemble-Abende also diesmal, beide mit Jubiläumsprogramm. Wir freuen uns darauf.

    Redaktion:Evelyn Beyer

     

    Termine

    + Blub-Blub-Club mit Fischbrötchen 1 Euro: immer am 2. Donnerstag im Monat im Enercity-Expo-Café

    + Desimos Lindener-Spezial-Club: am letzten Montag im Monat im Apollo-Kino in Hannover. Nächster Desimo-Spezial-Club in der Brunsviga Braunschweig: 24. April

    + „Bert Engel sagt Tschüß“ von Matthias Brodowy und Detlef Wutschig: Am 10. April Premiere in Alma Hoppes Lustspielhaus in Hamburg, Hannover-Premiere am 7. Mai im Apollo-Kino

    + Kleines Fest im Großen Garten in Hannover vom 11. bis 29. Juli, im Kurpark Bad Pyrmont am 4. August, im Schlosspark in Ludwigslust am 10. und 11. August, im großen Park Clemenswerth am 25. August

    + 15.–19. September: zweites Hannoversches Kabarettfestival mit Wilfried Schmickler, Georg Schramm, Thomas Reis, Kom(m)ödchen, Lach- und Schießgesellschaft.

     

    2007-03-15 | Nr. 54 | Weitere Artikel von: Evelyn Beyer