Bis neulich 2004 (con anima CA 26551 / HÖRSTURZ ISBN 3-931265-51-X; 2 CDs, 10 Tracks, 78:13 Min.. + 7 Tracks, 78:02 Min., live) hatte Volker Pispers schon über 20 Bühnenjahre hinter sich und tourt jetzt mit ganz Aktuellem: mit Nummern der letzten 7 Programme. Tja, so ist das gelegentlich im Kabarett: die alte Satire kann auch die neue sein, denn die Dummheiten der Politik wiederholen sich. Gesundheitsreform oder den Golfkrieg von Bush, hatten wir doch alles schon mal, Arbeitslosigkeit und Ausländerfeindlichkeit gibt es immer noch. Daraus lässt sich was machen und wie Pispers das macht, sucht seinesgleichen. Sein politisches Kabarett ist informativ und locker, frech und präzis, intelligent und witzig. Er jagt sein Publikum durch Fakten und Zusammenhänge, Mitdenken ist gefordert, bevor man lachen kann. Übrigens gibt es das Ganze auch als DVD (con anima CA 26550 / HÖRSTURZ ISBN 3-931265-50-1), hier kommt die Live-Atmosphäre noch besser zur Geltung.
Alles inklusive (EMI 724386359421; 54 Tracks, 67:48 Min.) gibt es bei Mundstuhl. Das hessische Duo liefert ein Feuerwerk an derben Gags, Liedern und Sketchen; Verstöße gegen den guten Geschmack all over. Neues also u. a. von Dragan & Alder, von C- und F-Hörnchen und von Peggy + Sandy. Voll krass Alder, isch schwör!
Das andere hessische Zweigestirn Badesalz kommt uns diesmal märchenhaft: „Das Baby mit dem Goldzahn“ (SPV 085-99082; 24 Tracks, 65:51 Min.). Die Befreiung vom Tyrannen Rado im Jahre 2048 kann nur einem jungen Mädchen gelingen, das im letzten Tannenwald eben jenes Baby mit dem Goldzahn finden muss. Rado verbietet alle Schlager, erlaubt nur Bumm-Bumm-Rock, die brutale Schlagerpolizei wird von Jack Fat angeführt und im Untergrund kämpft der Schlagerfuzzi Tony Balloni. Eine verwickelte Geschichte also; wie sie ausgeht ? Hören Sie selbst!
Ein kleiner, sonderbarer Ort in Norddeutschland erregt seit Jahren die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit: Stenkelfeld. Ihr merkt’s doch selbst! (Selected Sound 770425-2; 22 Tracks, 71:59 Min.), dass gegen die Schlagermusik von Ralf Sögel kein Kraut gewachsen ist, die „100 Meisterwerke“ Meilensteine der Aufklärung sind und die knallhart recherchierten Reportagen Perlen journalistischen Schaffens darstellen. Auch die Neunte ist wieder ein gutes Beispiel dafür, was an guter Comedy im Radio, hier im NDR, möglich ist. Es muss nicht nur sinnfrei rumgeblödelt werden, es geht auch mit guter Satire.
Für Die Vorleser zeichnen Jess Jochimsen und der WDR verantwortlich. Was gibt es denn Schöneres, als Geschichten vorgelesen zu bekommen? Heimatklänge (WortArt 71456 / Lübbe ISBN 3-7857-1456-4; 16 Tracks, 56:20 Min., live, Infos) bekommen wir als Erstes zu hören. Neben dem Gastgeber bringen Wiglaf Droste, Rainer Pause, Jan Off und Dietmar Burdinski nette Geschichten zu Gehör. Droste spottet, Pause referiert über die plattgefahrene Fauna, Off führt Skins vor, Burdinski liest aus launigen Briefwechseln und Jochimsen erzählt Privates, z. B. wie er einst Helmut Birne in Bonn kennen lernte.
Auf Lesereise (WortArt 71457 / Lübbe ISBN 3-7857-1457-2; 13 Tracks, 66:14 Min., live, Infos) befinden sich Klaus Bittermann, Fritz Tietz, Harry Rowohlt, Hartmut el Kurdi und natürlich Jess Jochimsen. Bittermann und Tietz schildern die unterschiedliche Sicht auf eine gemeinsame Reise, Rowohlt tingelt durchs Land und die Themen, el Kurdi berichtet, wie leicht man Dänemark mit den Niederlanden verwechselt, und Jochimsen möchte gern auch mal was erzählen können, hat dann aber in Herzogenaurach (zur Info: Adidas, Puma, Loddar M.) doch einiges erlebt. Zwei empfehlenswerte CDs, auf denen man Land und Leute kennen lernen kann.
Das Abschiedskonzert (WortArt 71459 / Lübbe ISBN 3-7857-1459-9; 2 CDs, 19 Tracks, 60:44 Min. + 22 Tracks, 69:15 Min., live) von Rainald Grebe ist sein Debüt auf CD und mitnichten sein Ende. Geboren in Köln, ausgebildet in (Ost-)Berlin, gearbeitet in Jena am Theater – eine sympathische Pendlerkarriere. Und so außergewöhnlich der Lebensweg, so außergewöhnlich ist auch das Programm. Texte, Lieder, Sprüche zum Klavier, originell und temporeich, überraschende Wendungen inbegriffen. Er bringt einen neuen Ton, einen neuen Stil ins Kabarett. Das ist intelligent, albern, voller Bezüge und Anspielungen, es gibt Sprünge, Höhen und Tiefen, Literatur und Biographie, alles wird irgendwie eingebaut. Eine interessante Entdeckung! Wenn Sebastian Krämer am Klavier singt, ist er Ein Freund großer Worte (Tacheles / Roof Music RD 2433229 / Eichborn ISBN 3-936186-76-6; 26 Tracks, 61:53 Min., live, Texte). Seinen skurrilen Humor verpackt er in schräge Texte und seine Themen sind im Leben breit gestreut: z. B. Parkplatzuhren, Trams, Ängste und Träume, Mülltonnen, Spechte, Giraffen, seine Lieblingspizza und diverse Mädels. Er ist mit den Jahren heiterer geworden, früher war sein Humor „schwärzer“. Also: für einen heiteren, schwarzen Abend voller Unsinn, Überraschungen und Hintergründigkeiten bei netter Musik ist Sebastian Krämer eine gute Empfehlung.
Wenn berühmte Schriftsteller ihren Hobbys frönen, dann muss dabei nicht unbedingt Großes entstehen. Maxim Biller hat über Jahre Lieder gestrickt, er singt offenbar gerne und hat seine privaten Singereien zur Gitarre bzw. am Klavier auf Band aufgenommen. Diese Tapes (essay recordings 04; 18 Tracks, 41:10 Min.) sind jetzt veröffentlicht worden und haben viel Kritik einstecken müssen. Aber man darf das nicht so verbissen sehen. Was gibt’s zu hören? Blues, Dylan und eigene Texte, alles so charmant provisorisch und ungestylt, dass auch das Pubertäre einiger Texte über einigen Reiz verfügt und sympathisch authentisch wirkt. Keine Meisterwerke, aber sehr persönliche kleine Versuche, die sowohl Befremden als auch Schmunzeln hervorrufen.
Da gibt es in der Eifel einen kleinen, unscheinbaren Ort, der, der bündischen Jugend verbunden, in Deutschland Musikgeschichte geschrieben hat: Die Burg Waldeck. Hier hatte mancher, der noch heute die Gitarre zupft, bei den legendären Festivals seinen ersten großen Auftritt. Vom vierten Burg Waldeck Festival 1967 (Studio Wedemark STW 040504 / Conträr Tel.: 04 51-40 41 58; 2 CDs, 18 Tracks, 57:58 Min. + 17 Tracks, 53:18 Min., live) gibt es jetzt eine Dokumentation, die einen zurückversetzt in eine Zeit und eine Atmosphäre, die heute undenkbar wäre. Eine Art „Woodstock der Folkmusik“, mitten im Wald, ohne Konzertveranstalter, Management, Merchandising, Sponsoring und Security. Etwa 5.000 Menschen hörten unter freiem Himmel Hüsch, Degenhardt, Wader, Mey, Mossmann, Hein & Oss, Christopher & Michael, Hedemann, Schobert & Black und viele andere, auch ausländische Künstler. Erinnerungen, Romantik, Dokumentation, ehrliches Aufbegehren, große Künstler und gute Songs – viele Gründe, sich dieses Album anzuhören.
Von Fritz Grasshoff ist heute nicht mehr allzu viel bekannt, aber die diversen Halunkenpostillen oder der Seeräuber Report (Conträr Musik 2913-2; Tel.: 04 51-40 41 58; 21 Tracks, 46:03 Min., Infos) mögen manchem noch ein Begriff sein. Er hat viele Gedichte, Schlager, Chansons und Bücher geschrieben, hat sich als Maler betätigt und Übersetzungen veröffentlicht (z. B. von Bellmans Episteln oder von Anakreon). Nun also der Seeräuber Report auf CD: Eine traumhaft aufwändige Produktion von 1973, mit Orchester und einem All-Star-Ensemble des deutschen Kabaretts (Reincke, Pfitzmann, Bendix, Ingrid van Bergen u. a.). Mit Pfiff und Tempo werden die frechen und frivolen Piratensongs umsetzt – eine gelungene Hommage zum 90. Geburtstags des Dichters.
Hört mal her, ihr Zeitgenossen (Conträr Musik 2912-2 / ISBN 3-932219-46-5; Tel.: 04 51-40 41 58; 28 Tracks, 44:49 Min., Infos) rufen der Blödelbarde Lothar Lechleiter, alias Black, und der Rundfunkjournalist Peter Klein, genannt Pit, bei ihrer Ehrung des Werkes von Fritz Grasshoff. Sie tragen Gedichte und Lieder vor (hauptsächlich aus der Neuen Großen Halunkenpostille) und lassen Grasshoff in Originalaufnahmen auch selbst zu Wort kommen. Sein Humor und seine Ernsthaftigkeit, seine Vielfältigkeit und Fähigkeiten werden auf dieser CD eindringlich und anregend verdeutlicht. Ein gelungener Einblick in das Schaffen des 1997 in Kanada verstorbenen Künstlers.
Wer sich unter Stiller Has ein schweigsames Nagetier vorstellt, hat weit gefehlt. Es ist hier stattdessen von einer der eigenwilligsten – darf man sagen? – deutschsprachigen Country-Blues-Rock-Kleinkunstformationen die Rede, die sich gerade auf einer Hühnchenreise befindet: Poulet Tour (SoundService 100404-2 / ISBN 3-908250-78-1; 13 Tracks, 71:36 Min., live). Das Trio um den unbändigen Endo Anaconda besticht durch seine skurrilen Texte (wer von A bis CH ohne Wörterbuch durchkommt, ist hier deutlich im Vorteil), seine brillante Musik und seine urgewaltigen Auftritte. Die Lieder der Poulet Tour sind auf früheren CDs schon zu hören gewesen, jetzt verstärkt die Konzertatmosphäre den starken Charakter der Songs. Wer die wilden Tiere noch live erleben will, sollte sich beeilen, da Althase Balts Nill (Schlagzeug) im Herbst davonhoppelt.
Hans-Eckardt Wenzel hat das Publikum in seiner über dreißigjährigen Künstlerlaufbahn schon mit vielen interessanten und unterschiedlichen Projekten, Programmen und Liedern überrascht und erfreut. Jetzt begibt er sich mit eigenwilligen Seemannsliedern auf eine Himmelfahrt (Conträr Musik 5503-2 / ISBN 3-9322199-51-1/ Indigo; 15 Tracks, 59:45 Min., aufwändiges Booklet mit Texten). Seemannslieder dienten stets auch dazu, Sehnsüchte, Fernweh, Ängste und Einsamkeit auszudrücken. Wenzel zielt genau auf diese Metaphern, um den Menschen ins Herz zu schauen und die Poesie und die Widrigkeiten unserer Zeit zu beschreiben. Mag „Himmelfahrt“ sich auch schön anhören, dahinter lauert der Tod – oder ganz banal jener Sauf- und Dumpftag, genannt Vatertag. Genau diese Spannung wird in schönen Liedern besungen.
Reinhold Andert, ebenso wie Wenzel gelernter DDR-Bürger, war im verschwundenen kleinen Land lange Jahre einer der bekanntesten politischen Liedermacher (Stichwort: Oktoberklub). Seine Lieder zeichneten sich vor allem dadurch aus, dass er mit Ironie und Humor auch Probleme und Schwächen der DDR anzusprechen wusste. Alte und neue Nummern (Andert / BuschFunk 15822, Tel.: 0 30-44 65 11 00; 2 CDs, 18 Tracks, 51:10 Min. + 16 Tracks, 51:02 Min., Texte) sind im Album zusammengefasst, mancher wird sich dabei der Zeiten und Träume seiner Jugend erinnern.
„Am Ende der Nacht (Lamu records ISBN 3-935099-12-6; 12 Tracks, 53:35 Min.) wird es doch wieder hell“ tröstet Manfred Maurenbrecher, der es mit diesem Lied wieder geschafft hat, einen Ohrwurm zu platzieren. Seine rauchige Stimme, kluge Texte und eingängige Melodien – seit Jahren versorgt er mit Zuverlässigkeit und Qualität sein Publikum. Seine Gabe, Alltagsgeschichten mit hoher Poesie in Lieder umzusetzen, dazu einfache aber raffinierte Melodien, die hängen bleiben, dazu seine Stimme – erdige Songs, die hoch fliegen.
Ein Dreigestirn lässt aufhorchen: Frank Ramond als raffinierter Texter, Matthias Böttcher, der die leicht-swingige Musik komponiert hat, und Annett Lousian, die als kleines, leichtsinniges Unschuldsluder den richtigen Ton trifft. Das Ergebnis heißt Bohème (105 Musik / Sony 1055188372; 13 Tracks, 44:02 Min., Texte) und ist Ausdruck eines neuen (urbanen) Lebensgefühls im Chanson (gerade bei Frauen). Gefühle, aber keine Bindungen, Zärtlichkeit ohne Verpflichtungen: das Leben will genossen sein. Diese Leichtigkeit ist es, die den dreien so gut gelingt. Es ist kein Zufall, dass der Einstiegssong „Das Spiel“ so ein großer Erfolg geworden ist. Ein schönes Spiel.
Supersexy rational (Pläne 88908; 14 Tracks, 53:10 Min., Texte) ist auch Mathilda. Ehe es jetzt zu Missverständnissen kommt: Mathilda ist ein Berliner Sextett um Texter und Gitarrist Florian Bald und die Sängerin Anika Mauer. Ruhige, stimmungsvolle Geschichtenlieder aus der Stadt, Empfindungen, Beobachtungen und Erfahrungen – wie es halt so ist im Leben. Auf weitere Songs darf man gespannt sein.
Das Label Pläne wurde im November 40 Jahre alt und feiert ein wenig mit einer Jubiläums-CD: plaene@world (Pläne 88910; 20 Tracks, 76:11 Min.). Hervorgegangen aus der bündischen Bewegung, politisch links und DKP-nah, hat es sich früh der internationalen Musik, der Weltmusik, geöffnet. Diese prägt auch die CD: Theodorakis, Feidman, Auvray, Vissotzki u. v. m. sind vertreten. Ein leckeres Appetithäppchen.
Um die Erde dreht es sich auch bei Rachelina und den Maccheronies. Ihre CD Terra Terra (duo-phon 04053; 14 Tracks, 58:36 Min., Infos) präsentiert Lieder von Raffaele Viviani, einem neapolitanischen Schreiber Brecht’scher Manier, und anderen aus der süditalienischen Metropole. Lebensnähe, Wärme und Temperament zeichnen die Lieder aus, und Rachelina, die seit Jahren in Berlin wohnt, ist eine überzeugende musikalische Botschafterin ihrer Heimatstadt Neapel.
Über ein kleines Wunder soll am Ende noch berichtet werden. Da tingelt eine Musikerin jahrelang über die Dörfer mit dem großen Ziel, in der Münchener Olympiahalle aufzutreten. Barbara Clear heißt diese erstaunliche Frau, die sich ihren Lebenswunsch im April 2004 auf eigene Faust erfüllte. Nur mit ihrer Gitarre und einer Menge (auch eigener) Songs im Gepäck begeisterte sie ihr Publikum. Jenseits aller gestylten und gecasteten Kunstgroups hatte sie Erfolg mit handgemachter Musik. Ihre Stimme erinnert an Janis Joplin, ihre eigenen Titel sind ein wenig esoterisch und romantisch, bei den Cover-Versionen ist das Spektrum breit, von Joplin bis Beatles, von Blues bis Rock. Eine engagierte und couragierte kleine Person, die ihre nächsten großen Ziele schon anpeilt: Für Oktober 2006 hat sie sechs Großhallen (in B, HH, M, K, F und Wien) gemietet und verkauft jetzt schon fleißig Karten dafür bei ihren Auftritten. Die CDs look out! (14 Tracks, 39:11 Min.) und live in München (16 Tracks, 53:43 Min.) gibt es bei Konzerten und im Internet (www.barbara-clear.de). Viel Erfolg!
2005-03-15 | Nr. 46 |