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    Ein bisschen Zauber

    braucht jede Stadt. Hannover hat dafür Desimo. Er ließ im November Wigald Boning in der SAT.1-Show „Clever“ als Jungfrau schweben; er lässt auf der Bühne in Spendendosen fest verschlossene Zehn-Euro-Scheine in einer Zitrone irgendwo im Saal auftauchen, saftgetränkt, aber heil, oder vermittelt einer in Augenbinde und Papiersack verpackten Zuschauerin per Gedankenübertragung korrekt die Namen oder Farben von hochgehaltenen Gegenständen im Saal: Schon nicht schlecht, was Detlev Simon, wie Hannovers Plauderzauberer mit bürgerlichem Namen heißt, mittlerweile so alles magisch in Bewegung bringt. Doch mit welchem Trick schafft er es, die hiesigen Säle stets bis auf den letzten Platz zu füllen? Sein „Lindener Spezial Club“, der an jedem letzten Montag im Monat ein Überraschungsprogramm von sechs Künstlern präsentiert, trägt noch immer zu Recht den Titel der notorischst ausverkauften Show der Stadt. Nun zieht der Maestro auch solo nach: Von seinem neuen Programm „Lass es uns tun!“ waren schon vor der Premiere alle drei Termine im Pavillon ausverkauft, immerhin jeweils 600 Zuschauer, und auch die Montagsshows im Apollo-Kino, dem Hort des Lindener Spezial Clubs, sind bis Mai ausgebucht. Sein Geheimnis? Vielleicht der unwiderstehliche Charme des netten Magiers von nebenan, den er versprüht. Und dass er sich noch immer offen über die verblüfften Gesichter im Publikum freut, wie einst beim Kindergeburtstag, wo er als Schüler für 10 Mark und zwei Stück Kuchen auftrat. Jetzt ist er knapp vierzig, feiert 25-jähriges Bühnenjubiläum und spielt souverän mit dem Publikum, mit den Erwartungen aller, die sich im Saal nur allzu gern von ihm an der Nase herumführen lassen. Aber auch mit den schlummernden komischen Talenten derer, die er auf die Bühne bittet. Desimo lässt sie gut aussehen, keiner wird ausgelacht, alle dürfen mitlachen – und auch er selbst lacht mit. Zudem hat Desimo in vielen Jahren Moderation seine Pointen wunderbar geschliffen, leistet sich spitzbübisch kleine Bosheiten und politische Seitenhiebe, immer mit Strahleblick gen Zuschauer. „Lass es uns tun!“ ist sein bisher bestes Programm und das einzige Manko der Premiere wird sich wohl noch beheben lassen: Da machte Desimo sich glatt den eigenen Beifall kaputt. Nun tourt er, moderiert ansonsten Mitte März den Quatsch Comedy Club in Berlin und im Juni das GOP-Programm, bei dem Knut Gminder, Filmemacher aus Hannover, Regie führt.

    Übrigens – als es in Desimos Lindener Spezial Club im Herbst um die Verleihung des „Spezialisten“ ging, waren gleich zwei weitere Künstler aus Hannover dabei: Matthias Brodowy, weiterhin stetig aufstrebendes Talent auf den Kabarettbühnen der Nation, hielt eine äußerst liebevolle Laudatio auf die drei ganz demokratisch vom Publikum gekürten Sieger, Niels, der lange, stumme Körperkünstler aus Burgdorf, Region Hannover, stand mit auf dem Podest (im März im GOP Hannover zu sehen). Auch ausgezeichnet: Eure Mütter aus Stuttgart und Knautschgesicht Fabien Kachev aus Paris.

    Apropos Preise: Das Trio The Liazeed, das vor 20 Jahren jamaikanische Palmen mit norddeutscher Landidylle tauschte und seither in einem Haus bei Hannover lebt, trat in diesem Jahr sogar im Rennen um die Artisten-Oskars, die Clowns des Monaco-Zirkusfestivals, an. Zuvor zeigten sie im November im GOP Hannover, wie atemberaubend und mitreißend Äquilibristik sein kann, ein ausgefeilter Act. Zwar blieben Zaida Liazeed nebst Papa und Freund in Monaco Clown-los, doch schon die Einladung von Fürst Rainier gilt ja als Ritterschlag; gleich im Anschluss ans Festival starteten die drei Artisten zu einer zehnmonatigen Tournee durch die USA.

    Ansonsten zeugt Hannover seinen Artisten-Nachwuchs auch gern selbst. Wie Sarah Schwarz, die mittlerweile auf den Seilen der Welt tanzt. Ihr Vater Bernd Schwarz ist Pastor in Hannover und gründete vor 20 Jahren hier den mittlerweile zumindest lokal schon renommierten Kinderzirkus Giovanni. Dort begann Töchterchen Sarah den Tanz auf dem Seil – zur nicht allzu großen Freude ihrer Eltern. Doch seit sie die Zirkusschule in Paris abschloss, geht’s steil aufwärts – und rasend abwärts nur, wenn sie sich 30 Meter Richtung Publikum stürzt. Nun gastierte sie wieder in ihrer Heimat, im GOP, ausgerechnet als Aschenputtel, aber eine wunderbare Nummer.

    Ganz mächtig stolz sind wir auch alle auf die steile Karriere unseres einstigen Kunstturners und jetzigen Königs der Badewannenkultur David O’mer: Gerade Anfang 20 ist er und begeisterte mit seiner so erotischen (nasse Jeans only!) wie cool-sportlichen Show rund ums Wasser schon in der zweiten Saison das Palazzo-Publikum in Düsseldorf total. Im Dezember durfte er gar seiner Royal Highness, dem Prince of Wales vorspielen – bei der Royal Variety Performance im Londoner Coliseum. Wenn O’mer über der Badewanne schwebt, an zwei Seilen turnend, in die Wanne tropft und Wasserfontänen versprüht, lässt sich das Publikum gern mal nass machen. Ein Top-Act, schon viel gefragt.

    Zur Witzigmann-Show in München ist nun auch „Vivace“ dazugestoßen, die Show „vom Leichtsinn der Schwerkraft“, die schon am Broadway erfolgreich war und in der Vorweihnachtszeit in Hannover eine neue Saison begründen sollte: Die Winterfestwochen Herrenhausen, gedacht als Parallele zu den Sommerfestwochen, zu denen unter anderem das hocherfolgreiche Kleine Fest im Großen Garten gehört, in diesem Jahr übrigens wieder vom 14. bis 31. Juli 2005. Natürlich fanden die Winterfestwochen im Saal statt, in der barockschön verschnörkelten Orangerie Herrenhausen, die damit ihr Debüt als regulärer Varieté-Spielort erlebte. Eine durchkonzipierte Show, in der Jongleur Andreas Wessels Ölfässer in einer rasanten Choreografie zu klassischer Musik tanzen ließ, Kristin Sroka, siebenfache Meisterin in rhythmischer Sportgymnastik, einen leidenschaftlichen Hut-Tanz zeigte und Clown Jojo Weiß allein durch Zusammendrücken seiner Handflächen Mozarts „Kleine Nachtmusik“ spielte. Alle, die es sahen, waren absolut begeistert, doch den Saal wirklich täglich zu füllen, blieb eine Herausforderung für die Organisatoren GOP und Festspiele Herrenhausen, so was dauert in Hannover.

    Aber schön, wenn noch etwas entsteht in diesen Zeiten von Sparhammer und Kürzungssichel. Hannovers super geführter Kabarett-Bühne Theater am Küchengarten, kurz Tak genannt, strich die CDU-geführte Landesregierung kurzerhand zum Jahreswechsel die Zuschüsse, ohne Anhörung, mit nur knappster Vorankündigung per Telefon. Offiziell gab es keine inhaltliche Begründung, doch hinter den Kulissen hieß es, man würde doch kein „Staatskabarett von Schröders Gnaden“ fördern. Da waren die Verantwortlichen wohl schon länger nicht mehr vor Ort; denn Dietrich Kittner, der die Förderung einst tatsächlich nach persönlicher Zusage von Gerhard Schröder erhielt, ist längst auch nur ein Gast im Tak – wenn auch alljährlich ein besonders gern gesehener. Ansonsten holt sein Nachfolger als Theaterleiter, Horst Janzen, ja die gesamte Kabarett-Elite ins Haus, kooperiert mit Spielstätten wie dem Kulturzentrum Pavillon, um Größen wie Urban Priol ein passendes Forum zu bieten – für dessen großartigen Jahresrückblick „Tilt“ war der Saal allerdings immer noch zu klein, im Oktober kommt Urban ins Theater am Aegi. Andererseits fördert Janzen hervorragend den Nachwuchs, Pianosarkast Hagen Rether, derzeitiger Träger des Preises „Fohlen von Niedersachsen“, erwies sich auch in seinem vollen Soloprogramm in diesem Herbst im Tak als brillanter Pointenschütze und Geschichtenerzähler, seine Grönemeyer-Imitationen erreichen ebenso schon Kultstatus wie seine trocken hingelegten, bösen Spitzen zwischendurch; er kommt im Juni wieder ins Tak. Die nächste Fohlen-Verleihung ist in diesem November, Bewerbungen – ausschließlich von Nachwuchskabarettisten – ans Tak. Denn das ist gerade nochmal gerettet, für das Jahr 2005 sagte Kulturminister Lutz Stratmann schließlich in einem persönlichen Gespräch mit Janzen Fördermittel zu, wenn auch mächtig gekürzt. Nun wurden Eintrittspreise erhöht, wohl auch Honorare gesenkt, man bastelt am Erhalt. Sonst müssen Hannovers Kabarettfreunde zum Lachen nach Langenhagen fahren – dort, wo der Verein Klangbüchse ein Kleinkunst- und Kabarettprogramm mitsamt dem renommierten Festival Mimuse weitgehend ehrenamtlich bestreitet. Vom 27.1. bis 28.4.2005 findet die MIMUSE über drei Monate statt. Und das diesjährige Programm kann sich wirklich sehen lassen, u. a mit Luise Kinseher, Arnulf Rating, Matthias Deutschmann, Heinrich Pachl, Dirk Bielefeldt, Der Obel, Ingo Börchers, LaLeLu, Friedhelm Kändler, Schwarze Grütze, Johann König, Peter Vollmer, Bettina Castaño, Tailed Comedians, Lutz von Rosenberg-Lipinsky, Wallstreet Theatre, Matthias Brodowy. Infos unter www.mimuse.de         

    Redaktion: Evelyn Beyer 

    2005-03-15 | Nr. 46 | Weitere Artikel von: Evelyn Beyer