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    Premierenfurioso in Wien

     

    Gleich mehrere Premieren bestimmten den ausklingenden Winter bzw. den noch sehr jungen Frühling dieses Jahres. So zum Beispiel Die Hektiker und ihr jüngstes Programm "Ich". Wobei Viktor Gernot, Fifi Pissecker, Florian Scheuba und Werner Sobotka das Risiko einer Publikums-Polarisierung ganz bewußt eingingen. Ihr bereits im Vorfeld offensiv verkündetes Ansinnen, sich konsequent weiterentwickeln zu wollen und es dem Publikum zu überlassen, mitzuziehen oder nicht, ist voll aufgegangen. "Ich" ist wahrlich kein leichtes Programm, die dramaturgische Klammer der auch auf eine Kabarettgruppe einfließenden weltwirtschaftspolitischen Zusammenhänge verursacht trotz massiver Ausflüge in die eher dumpfen Sphären unserer Gesellschaft bei etlichen Zuschauern Stirnrunzeln und Aussteigersyndrome. Dennoch, oder gerade deswegen, muß erwähnt werden, daß sich die Hektiker zu einer überaus professionellen Showtruppe mit einer Vielzahl an Talenten entwickelt haben. Florian Scheubas und Rupert Hennings Texte laden nicht nur zum Mitdenken, sondern auch zum Losbrüllen ein, schmiegen sich mit großem Selbstverständnis an sämtliche Humorkategorien und machen auch vor Gefühlstabus wie Betroffenheit und Selbstironie nicht halt. Sensationell sind einmal mehr Viktor Gernots Musikparodien, die sehr oft - und keineswegs nur aufgrund der textlichen Bösartigkeiten - das Original bzw. seine Interpreten zu Dilettanten degradiert. Erwähnenswerte Details am Rande: Die Publikums-Solidarität mit dem aus Effizienzgründen wegzurationalisierenden Fifi Pissecker samt postcäsürlichem Kollektivaufatmen nach unvermuteter Reunion der Gruppe.


    Ganz anders Steinböck&Rudle mit ihrem aktuellen Wurf "Killerkipferl2". Die Hektik des ersten Killerkipferl-Programms ist jetzt beim zweiten verloren gegangen, an ihrer Statt steht nunmehr ein gehörigen Maß an humoresker Reife und skurrilem Spaßgut. So wurde dann auch viel gemütlicher angefangen als sonst. Gleich geblieben ist hingegen das Licona-Outfit, die grenzgenialen Jean-Paul und Püpp-Dialoge und die spontanen Szenenwechsel. Das Ideenbeet der beiden Vollblut-Komiker scheint ein wahrlich übervolles zu sein, und mit jeder Ernte eines Gags wachsen mindestens fünf neue nach. Wer sich beim Pissoir-Dialog von Bat- und Superman, bei den tausend Meisterweinen oder bei der Taubennummer nicht angewischerlt hat, ist entweder notorischer Trockenfutterfresser oder Nebenerwerbs-Pamperstester.


    Ganz anders Alf Poier mit seinem Programm "Zen". Des Poiers größte Sorge anläßlich seiner Kulissen-Premiere von "Zen" war stets die, mit dem Stoff nicht durchzukommen, weil ihm die Zeit davonrünne, jawohl rünne. Viel zu viel hatte er vorbereitet, der schräge steirische Vogel, auf daß er Zen zu straffen hatte, auf Neun oder gar auf Acht. Als in der zweiten Halbzeit - witzigerweise vorwiegend weibliche - Zuseher knieend um Gnade winselten, legte Turbo-Alf noch einen drauf und bewies eindrucksvoll, daß Gleichzeitigkeit auch für Normalsterbliche machbar ist. Vorausgesetzt, daß Alf nach wie vor ein solcher ist und nicht bereits - programmnamenkonform - in höhere Bewußtseinsebenen abgehoben hat. So hetzte er uns also durch sein Breitbandantibiotikum namens Gedankengänge und nahm weder Rücksicht auf synapsenabhängige Autobushaltestellen noch auf ganglienunfreundliche Tunnelfunzen. Er konfrontierte uns mit bunten Strichen samt erklärenden Geschichten, warf uns wilde Melodeien in die weit aufgerissenen Ohren und knallte uns die Lichtstrahlen seiner Gedankenbirne unbarmherzig in die Seele. Seine so leichtfertig dahingesprudelten Fetzen entpuppen sich oftmals erst nach dem dritten Mal danach Schnappen als Worte oder so, und ehe man sich's versieht haben diese uns hinuntergezogen in ungeahnte Tiefen oder lassen sie uns bereits an der Oberfläche mutterseelenalleine. Alf Poier wagt den Grenzgang zum oftmals als Trash bezeichneten Nonsens, wirkt jedoch mit seinem Tun angenehm frisch, nie langweilig und dennoch beinahe philosophisch erdverbunden. Poier tut ganz einfach gut. Den Lachmuskeln sowieso, aber auch Herz, Hirn und Seele. Kein Wunder also, daß seine Bilder vorwiegend in Kliniken und Ordinationen hängen.


    Ganz anders Ludwig W. Müller, Olivier Lendl, Mike Supancic und Irene S. mit ihrer langen Nacht des Kabaretts, bei der die vier zuerst nacheinander und schlußendlich miteinander auftreten, und zwar so oft und so lange es das Publikum will. "Die lange Nacht des Kabaretts" - eine Idee von Supancic-Manager Thomas Tröbinger, der die österreichweite Tournee auch organisiert - heißt das Kleinkunst-Happening, welches sich in jedem Fall lohnt, bis zum - keineswegs bitteren - Ende beizuwohnen. Wo sonst kann man einer dermaßen hochkarätigen kabarettistischen Jam-Session beiwohnen und am nächsten Morgen mit Unterarm-Muskelkater und Klatsch-Schwielen an den Handflächen - aber unendlich glücklich - aufwachen und lauthals "Zugabe" aus der Bettwäsche brüllen? Der Premierenabend im Niedermair war jedenfalls ungemein vielversprechend, dauerte länger als vier Stunden und endete mit einem schier orgiastischen Ausflug in die ziemlich afrikanisch angehauchte Rhythmusmühle, bei der Olivier Lendl den Grundstein für seine Zweitkarriere als Go-Go-Tänzer legte. Einfach grandios! 


    Ganz anders Kabud, Reinhard Nowak und Lukas Resetarits. Über deren Premieren berichte ich dann im nächsten Trottoir. Genauso wie über Roland Düringers Stadthallen-Gigs, dem es als ersten Kabarettisten gelang, die Wiener Stadthalle zu füllen. Und das gleich an zwei Tagen hintereinander.

    Redaktion: Willy Zwerger

     

    1999-06-15 | Nr. 23 | Weitere Artikel von: Willy Zwerger