Sie sind keine Söhne Münchens und doch gehören sie dazu. Sie sind irgendwo anders geboren und doch echte Münchner. Sie leben gern in der Stadt – und zwar schon lange. Wenn sie etwas zu feiern haben, dann feiern viele mit. Der eine hat vor kurzem seinen 75. Geburtstag gefeiert und gilt als einer der größten in der Zunft überhaupt. Den Namen des anderen, haben alle schon einmal gehört, wenngleich nicht ganz so viel Aufhebens um ihm gemacht wird, wie um den anderen. 60 wurde der andere in diesem Jahr. Über Dieter Hildebrandt braucht nicht mehr viel gesagt werden an dieser Stelle. Das haben die Feuilletons der überregionalen Zeitungen schon unternommen. Bemerkenswert ist – und das soll durchaus angemerkt werden – seine ungebrochene Lust auf die Bühne. Wenn er so weitermacht, wird er wohl noch lange dazugehören zu denen, die in der Stadt etwas auf die Beine stellen. Etwas anders liegt der Fall bei Helmut Ruge. Auch er hat einen großen Namen, auch er ist ein Altmeister des politischen Kabaretts und auch er wird so schnell nicht die Lust am Auftreten verlieren. Doch seine feinen, oft lyrischen Untertöne und Töne sind dem Zeitgeist wohl allzu oft zuwider gelaufen. So einer kann kein Superstar werden, so einer bleibt sein Leben lang Geheimtipp. „60 Jahre Ruge, 36 Jahre Kabarett, 2000 Jahre Abendland“ so kündigt der intellektuelle Dinosaurier unter den Kabarettisten der Stadt sein neues Programm an. „Mein Ego und ich“ heißt es, und wieder einmal präsentiert sich Ruge von seiner gewohnt starken Seite. Da hat einer noch ein Anliegen, da will sich einer nicht von irgendwelchen Antiterrorgesetzen terrorisieren lassen, da graut es einem vor widerlichen Glatzköpfen, da will sich einer nicht abfinden mit der zunehmenden sozialen Kälte. Wer jetzt Angst vorm Zeigefinger hat, der sei beruhigt. Ruges feiner Sprachsinn bewahrt das Publikum vor Plattheiten und auch wenn ein Rugeprogramm kein Schenkelklopferabend ist, wohltuend ist er allemal. Über den Sommer präsentierte er sein Extraprogramm „Entspann dich oder was mich sonst noch aufregt“ im Theater bei Heppel und Ettlich und beweist mit diesem eigenwilligen Streifzug durch die deutsche Geschichte einmal mehr, dass – wenn anderen schon lange nichts mehr einfällt – er immer wieder mit neuen Ideen zu glänzen weiß. Ein alljährliches Sommerspecial der ganz besonderen Art findet nicht in den überhitzten Kleinkunstbühnen, sondern in den Zelten des Tollwood-Festivals im Olympiapark statt. Auch wenn die Veranstaltung sich längst von ihrem Erzeuger, der Münchener Kleinkunstszene, gelöst hat und zu einem der größten Entertainmentevents unter freiem Himmel geworden ist, sind die Veranstalter dem Kabarett über die Jahre treu geblieben. So treten in der großen Musikarena neben Marianne Faithfull, George Clinton oder Van Morrison eben auch Django Asül, Sissi Perlinger und der Münchner Publikumsliebling und Softcomedian Willy Astor auf. Zudem wird dort jährlich der mit 3500 Euro wohl dotierte Kleinkunstpreis der Münchner Stadtsparkasse vergeben, der in diesem Jahr an die Chanson-Sängerin Olga Lomenko ging. Eine Sommerangelegenheit ist traditionell auch die Premiere des Hausensembles der Lach- und Schießgesellschaft. Das neu gegründete Ensemble legte einen furiosen Start hin. Man merkt der Gruppe den Spaß an der Freude richtig an: Ob Michael Altinger den SPD Ortsvereinsvorsitzenden aus Graindlbach gibt, der das wiederholte Scheitern seiner Partei an der Achtprozenthürde bedauert, ob Uli Bauer, den ewig Falten werfenden, Moral triefenden Richtigmacher Joschka Fischer nachgrimassiert, ob Holger Paetz den unfehlbaren Pfarrer spielt, der den besorgten Eltern ohne viel Worte klar macht, dass es nichts Unnatürliches ist, wenn sich der Herr Kaplan am ministrierenden Sohn vergreift, oder ob Viola von der Burg mit herrlich dämlichem Augenaufschlag an der Wahlarithmetik versucht: Wie groß ist X, wenn Schily Beckstein minus X ist, und Stoiber ein Wahlergebnis von 50 plus X anstrebt? Das Tempo stimmt und die Stimmung im Publikum auch. Vor allem musikalisch weiß das neue Hausensemble zu überzeugen. Unvergleichlich: das Liebeslied für Nida-Rümelin, die erotische Geheimwaffe der deutschen Politik. Das politische Kabarett wird als Politcomedy neu erfunden. Und eine weitere Kunstform haben die vier entwickelt: Politsatirisches Kriminaltheater. Die Schmierenkomödie um die verschwundene Festplatte von Max Strauß hat das Zeug zum Klassiker. Der bucklige Barmann seiert Töne zum selbstverliebten Monolog des Agenten, der die heiße Ware in der Plastiktüte trägt. Der scheinbar unwichtige Ehestreit am Nachbartisch, das Gespräch des Agenten mit der allein zurückgebliebenen Gattin, der Penner, der in der Tüte den zuvor von ihm vergessenen Schnaps wähnt und sie mitnimmt, all das lässt uns verstehen, dass es so unverständlich nicht, beinahe schon notwendig ist, dass Beweismittel verschwinden. Neubeginn und Abschied, das weiß man, wenn man sich für deutsche Schlager interessiert, liegen oft nahe beisammen. Während das neue Ensemble aufersteht, geht die Geschichte einer der populärsten Münchner Vertreter der sogenannten anderen Volksmusik zu Ende. Mit ihren Konzerten im August in der Lach- und Schießgesellschaft und im Lustspielhaus verabschiedete sich der Bairisch-diatonische Jodelwahnsinn vom Münchner Publikum. Gespannt wartete man auf das neuen Programm von Ingo Appelt, der sich nach zweijähriger Bühneabstinenz viel vorgenommen zu haben scheint. Als „Superstar“ lud er zur Premiere im Lustspielhaus.
AdNr:1089