Der Clown Calvero gastierte mit seinem brandneuen Programm im Renitenztheater. Über die starken artistischen Leistungen beim Jonglieren, hier kann ihm kein Clown das Wasser reichen, braucht man kein Wort mehr zu verlieren. Kraftvoll, poetisch und sehr persönlich ist das Stück "Lovelaugh ". Ein paar Striche würden dem Ganzen noch gut tun. Für diejenigen, die ihn noch nie gesehen haben, wartet ein Abend voller Überraschungen, Körper-Sprache im wahrsten Sinne des Wortes. Bernd Lafrenz hat sich diesmal über Shakespeares Sturm hergemacht. Weiterhin faszinierend sind die blitzschnellen Rollenwechsel, seine Mimik und Gestik, die Animationsfähigkeit beim Mitspiel. Aber der Sturm ist nicht so bekannt wie Hamlet oder Macbeth. Hier liegt die Gefahr, dass das Publikum nur über Persiflagen lachen kann, wenn es das Original auch kennt. Lafrenz überspringt auch diese Klippe auf seiner "Never Ending Shakespeare Tour". Malediva & Florian Ludwig bieten ausgefeilten Gesang garniert mit bissigen Dialogen. Eine Halbzeit ist unheimlich spannend, es macht Spaß, die drei mal über die volle Distanz beobachten zu können. Gekonnte Lichttechnik, schwarzer Humor, minimalistische Bühne: zwei Barhocker, Wassergläser und ein Piano. Die Witze über Pianisten sind bekannt, kleine Längen gegen Ende der Vorstellung. Trotzdem, ein Ausnahme-Duo, ein interessantes Konzept. Die U-Bahn Kontrollöre in tief gefrorenen Frauenkleidern, die Gruppe mit dem XXL-Namen, kamen mit reichlich Vorschusslorbeeren nach Stuttgart. Comedy oder Acapella, das ist hier die Frage. Beides wird versucht, beides klappt nicht richtig. Diese sympathische Chaotengruppe wird sich irgendwann entscheiden müssen. Im Theaterhaus las Iris Berben aus dem Tagebuch der Anne Frank und Auszüge aus Goebbels Tagebüchern. Ihr gelingt der Balanceakt, zwischen Opfer und Täter zu pendeln, mit einfachen, wirkungsvollen Mitteln. Hier die weiche Mädchenstimme, da das metallisch harte Naziorgan, kalt und verachtend. Sie setzt mit ihrer Prominenz ein wichtiges Zeichen gegen den neuen salonfähigen Antisemitismus der Möllemänner und Möllefrauen. Es gibt auch neue Hausproduktionen, z.B. "Warum das Kind in der Polenta der Polenta kocht". Es scheint nicht einfach zu sein, den Roman von Aglaja Veteranyi für die Bühne spielbar zu machen. Eine gute Leistung des Ensembles um Brombacher, Moos und Schmidt-Oehm, ein aktuelles Thema, Menschen auf der Flucht, und trotzdem. Irgendwie fehlt ein letzter entscheidender Funke. Im gleichen Haus: "Mutti", dargeboten von Peter Grohmann, dem künstlerisch politischen Multitalent, und Adrian Turner, einem Tänzer. Beide haben die Vergangenheit ihrer Mütter und Väter durchleuchtet, komprimiert. Sie erzählen im Wechsel, ernst, gefühlvoll, satirisch und witzig. Die eine Mutter machte den Weg von Breslau ins Schwabenland, die andere den von Italien nach England. Wenn Turner auf Englisch erzählt, fasst Peter G. es auf deutsch zusammen. Grohmann im Duo, meiner Meinung nach sein bestes Programm. In einer wundervollen Umgebung veranstaltete das Merlin eine Freiluftveranstaltung: Bestarium im Lapidarium. Eine tolle Idee, ein wunderschöner Abend! Aber dann geriet die 70minütige Vorstellung etwas langatmig. Was gibt es in den letzten 30 Jahren für herrliche Vorbilder im Bereich Text und Musik. Das Ganze hätte dramaturgisch durchdachter, schwärzer, erotischer, spannender werden können. Allein die variantenreichen stimmlichen Fähigkeiten von Barbara Stoll reichen nicht aus, die enge Verzahnung mit der Musik von N. Lutz blieb die Ausnahme. Im Herbst gibt es im Merlin wieder Kabarett-Highlights: 11.1o. Thomas Breuer. 25.10. Jochen Malmsheimer. Auf der Burg in Esslingen veranstaltete die Dieselstrasse ein dreitägiges Open-Air-Spektakel. Hervorzuheben sind Urban Priol mit seinem tagesnahen politischen Kabarett, der es schafft, auch Zuschauer, die im großen Gelände verteilt sind, in seinen Bann zu ziehen. Die Acapellagruppe The Magnets bestach durch perfekten Sound, eigenwilligen Coverversionen, Eigenkompositionen und sympathischen Ansagen. Wer allerdings in den frühen Achtzigern die Original Flying Pickets mit ihren politischen Sketschen und hervorragenden Oldie-Parodien gesehen hat, dürfte die gegenwärtige Szene zwischen steriler Perfektion und flacher Comedy als Rückschritt empfinden. Heather Nova sollte der Höhepunkt des Festivals werden. Nach einem rasanten Start blieb das Konzert trotz der tollen Stücke ihrer neuen Platte Mittelmaß, für ständige Überraschungen in einem anderthalbstündigen Konzert reicht das Repertoire noch nicht aus. Für mich waren die Gatschpletzen, drei österreichische Akrobaten, die im Bergbauernlook mit ihren verrückten komediantischen Einfällen glänzten, ein Highlight am Abschlusstag. Die Gruppe Bühnenstich, eine Amateurgruppe aus Stuttgart und Pforzheim, präsentierte ihr neues Programm 5 Tage im Haus Osterfeld in Pforzheim. Ein Wellnes-Mix aus Sketschen und Songs, und auch vor einem wilden Can-Can schrecken die jungen Damen zwischen 82 (!) und 19 nicht zurück. In Backnang präsentierte das Scharlatantheater ein dreistündiges Programm. Bisher auf Event-Auftritte programmiert, ist das ein guter Ansatz zu einer variantenreichen Show für öffentlichen Räume.
"Hoffentlich hält sich das"! Gerhard Woyda live!
Ein älterer, sympathischer Herr, voll von Geschichten, Kabarett- und Zeitgeschichte live: Gerhard Woyda: 41 Jahre Renitenztheater, 54 Jahre Kabarett und kein bisschen leise! Zusammenfassung eines Gespräches zwischen Bruno Schollenbruch und Gerhard Woyda, dem dienstältesten Kabarett-Intendanten Deutschlands. 1961 gründete Gerhard Woyda in Stuttgart das Renitenztheater. Bei einem Gastspiel mit den "Amnestierten" in der Stuttgarter Mausefalle von Werner Fink erfuhr G. Woyda zu seinem Bedauern, dass der berühmte Kabarettist in der Schwabenmetropole das Handtuch schmeißen wollte. Alle selbsternannten Experten vermuteten, dass auch das "Kleine Renitenztheater" nur einige Monate existieren würde. Wie sagten die Schwaben eingedeutscht immer wieder: "Hoffentlich hält sich das". Woyda brachte neben seinem Können als Pianist und Texter reichlich Erfahrung aus mit. Er war 1948 der Pianist der Comedian Harmonist Nachfolgegruppe Comedian Quartett, bevor er Mitglied bei den "Amnestierten wurde, dem bekanntesten nachkriegsdeutschen Reise-Politkabarett. Hier arbeitete er mit Ursula Noack, Hans Jürgen Dietrich, Walter Kabel und Klaus Peter Schreiner zusammen - die später zur "Lach- und Schießgesellschaft werden sollten - und mit Joachim Hackethal. Dieser trat auch im ersten Renitenzprogramm "Goethe, Girls und Gartenzwerge" - Premiere 18.4.61 - als Autor, Regisseur und Darsteller in Erscheinung. Das Programm war ununterbrochen ausverkauft, Woyda und sein Ensemble, zu dem noch Pit Krüger, Harald Müller, Christa Peuckert und Jutta Eckert gehörten, hatten den Durchbruch geschafft. Schlag auf Schlag ging es weiter, im April 1962 gab es bereits die 3. Premiere mit "Humor ist, wenn es trotzdem kracht". Natürlich fanden neben den Hausprogrammen von Anfang an Gastspiele statt. Künstler wie Wolfgang Neuss mit seiner Pauke, Ursula Herking, Gert Fröbe, Georg Kreisler, Hüsch und Ensemble, Jürgen von Manger und Helmut Qualtinger gaben sich die Klinke in die Hand. 1963 gab Gerhard Woyda, der neben der Intendanz weiter für Musik, Klavier und einen Teil der Texte zuständig war, die Regie an Therese Angeloff ab. Auch Ron Williams gehörte Mitte der 60er zum Ensemble. 1968 schreckte Stuttgart auf, als Woyda die "Reichskabarettler" Eckart Hachfeld, Volker Ludwig, Dieter Thierry und Markus Scholz neben Martin Walser als Texter für das 13. Programm "Show up" gewinnen konnte. Verrisse in Stuttgart, ein Riesenerfolg in München. Als die Schwabenpresse auf Woyda eindrosch, holte Sammy Drechsel das Programm in die Lach- und Schießgesellschaft. Weitere Höhepunkte waren 1969/70 die ersten Damenkabaretts mit Olivia Molina und Ingrid Ohlenschläger, wohlwollend in Stuttgart angenommen, eine Sensation in Wien und Berlin. 1974 entdeckte Woyda Thomas Freitag und Mathias Richling für sein Hausensemble, ab 1980 spielte Sebestian Weingarten mit, der heute neben Woyda Leiter des Theaters ist. Auch Reiner Kröhnert war einige Jahre Ensemblemitglied. 1991, nach drastischen Mieterhöhungen, musste das Renitenz sich nach einer neuen Bleibe umschauen. Woyda fand in der Eberhardstrasse Kellerräume, die er zu einem Theater umbauen ließ. Alle Subventionen der letzten 10 Jahre sind zur Schuldentilgung gebraucht worden, erst 2003 sind wieder Gelder für künstlerische Projekte frei. Ohne den Hauptsponsor Daimler Benz hätte Gerhard Woyda den Spießrutenlauf durch das Heer der Gläubiger nicht überstanden. Neben Kabarett hat auch Comdedy im Haus einen festen Platz, von Mary & Gordy in den Achtzigern bis zu Wommy Wonder. Woyda gab Künslern wie Rosenstolz, Tim Fischer, den Geschwister Pfister und anderen Auftrittsmöglichkeiten, als sie noch nahezu unbekannt waren. Ein Höhepunkt ist das alljährliche Kabarett-Festival in Zusammenarbeit mit dem SWR, auf dem Hader, Dorfer, Lisa Fitz, Hüsch, Kreisler, Freitag, Richling kurz, die ganze deutschsprachige Kabarettprominenz auftraten. Trottoir wünscht Gerhard Woyda weiterhin Erfolg und noch viele "renitente" Jahre in der Schwabenmetropole.
Redaktion: Bruno Schollenbruch
AdNr:1082