Ein untypischer Sommer liegt hinter Berlin: nicht nur, weil es so heiß war, dass einem sogar das Meckern und Nölen vergangen ist. Die WM machte uns auch zu Freunden der auswärtigen Gäste und man verzichtete auf das Augenrollen, wenn diese tolpatschig in Scharen die Sehenswürdigkeiten oder ein Klo suchten und zumindest erstere mit offenem Mund bestaunten. Fast war es, als ob man in der eigenen Stadt im Urlaub war.
Leider ist nicht alles in Berlin in diesem Sommer gut ausgegangen. Zum Beispiel ist nun das endgültige Aus des Tränenpalastes als Spielstätte zu vermelden. Schon länger hatten der Betreiber und die Stadt um das ehemalige Grenz- und Bahnhofsgebäude an der Friedrichstraße (Trottoir berichtete) gerangelt. Jetzt wurden ganz plötzlich Tatsachen geschaffen. Der Investor, der das Gebäude mitsamt umgebendem Land vor einem Jahr von der Stadt gekauft hatte, und versprochen hatte, den Kulturbetreiber weiter wirken zu lassen, hielt sein Wort nicht mehr. Am 1. Oktober ist Baubeginn, die Spielstätte musste aufgeben. Was der Investor an bevorzugter Lage bauen will? Natürlich ein Bürogebäude. Das Inventar des Tränenpalastes inklusive Biergläser, Bühnentechnik und Flügel wurde versteigert. Die Stadt hat nach Kräften dazu beigetragen, den Veranstalter, der den Tränenpalast 15 Jahre ohne Subventionen betrieb, ins offene Messer laufen zu lassen. Danke dafür.
Wiederauferstanden sind hingegen die Geschwister Pfister, wobei sie ja zum Glück nie wirklich von uns gegangen sind. Sie hatten sich im letzten Jahr bloß mit einer Show von der Bühne verabschiedet – um jetzt mit der Comebackrevue dortselbst wieder aufzutauchen. „Home sweet home“ hieß die Show in der Bar jeder Vernunft. Andreja alias Fräulein Schneider hat die Geschwister-Pause übrigens genutzt, um ihre Karriere als Filmschauspielerin weiter voranzutreiben. In der Arbeitslosenkomödie „19 gehen. Einer bleibt!“ spielt sie die Ehefrau eines Handwerkers (Jürgen Tarrach), der beschließt, sein berufliches Glück in der zweiten Lebenshälfte noch einmal zu versuchen – mit einem Neuanfang in Norwegen. Mitverantwortlich für das Drehbuch ist der Berliner Ex-Kabarettist Knud Kohr, der Anfang der Neunzigerjahre mit der Truppe Die Passierten unterwegs war.
Das Auswandern bleibt dem Mecker-Comedian Kurt Krömer in den nächsten Jahren sicherlich erspart, es läuft sehr gut für ihn. Sein Haussender rbb hat beschlossen, Krömers Improvisations-Sitcom „Bei Krömers“ während der „Dittsche“-Sommerpause in die ARD zu schicken. Seit September können die meistens ziemlich ausufernden Vorgänge im (fiktiven) Familienwohnzimmer des Wahl-Neuköllners bundesweit mitverfolgt werden. Und nur Griesgrame beklagen, dass die Konstellation Krömer plus Ensemble manchmal etwas schwerfällig wirkt und weniger von dem kranken Charme des Vorgängerformats „Die Kurt-Krömer-Show“ hat. Krömer selber freut sich wie ein Schnitzel und bleibt gleichzeitig bescheiden: „Zu gut darf es nicht werden, sonst ist ja Dittsche weg.“
Ganz sicher nie in Krömers Wohnzimmer würde man ein neues Duo finden, das sich in Berlin gegründet hat – und zuallererst auch mit einem Wohnzimmerkonzert in Erscheinung getreten ist. Gabriele Droste (Gesang und Klavier) und Andreas Zehrt (Small Percussion und Gesang) interpretieren brasilianische Lieder in einer sehr persönlichen und eigenwilligen musikalischen Sprache: im Zentrum stehen Intimität und Reduktion. Beide Musiker sind klassisch ausgebildet. Gabriele Droste ist mit Brecht/Weill-Interpretationen aufgetreten, Andreas Zehrt trommelte in mehreren Samba-Formationen und führt die Berliner „Sambaholics“ an. Das Ergebnis seines Zusammenspiels mit Gabriele Droste ist ein sprödes und von tiefer Sehnsucht leuchtendes Programm namens „Voz do Coracao“ (Stimme des Herzens), in dem die brasilianische Seele bei Volkslied, Ballade und Bossa Nova im minimalistischen Klang der beiden erscheint. Weitab von jedem Brasilienklischee, melancholisch und wunderschön. Eine Demo-CD kann unter der Telefonnummer 030-617 50 34 oder 030-681 23 82 bestellt werden.
Wesentlich lauter präsentiert sich ein neuer Trend in Berlin: die Kunst der Burlesque ist wieder aufgetaucht. Vor allem in den Szenevierteln der Stadt erfreut sie sich großer Beliebtheit. Burlesque ist die amerikanische Interpretation des ursprünglich europäischen Varietés: leicht verrucht, aber im Kern humoristisch, spielte in der amerikanischen Variante das teilweise Entblößen während der Kunststücke eine wichtige Rolle. Obwohl Burlesque viel weniger weit geht als Striptease – und meist kleine, durch Kostüme und Pantomime unterstrichene Geschichten im Vordergrund stehen – funktioniert die neue, alte Form sogar im busengesättigten 21. Jahrhundert erstaunlich gut und ist in ihrer Unschuld manchmal richtig charmant.
Redaktion: Susann Sitzler
Mehringhof
26.9.–7.10. Mittwochsfazit: „Freeze – das Kühlschrankmusical“ (Lesebühnenkabarett)
10.–21.10. Michael Sens: „SoloSens“ (Kabarett)
21.11.–9.12. Arnulf Rating: „Reich ins Heim“ (Kabarett)
Bar jeder Vernunft
2.–7.10. Katrin Sass: „Fahrt ins Blaue“ (deutsch-deutscher Schlagerabend)
ab 13.10.–30.11. „Cabaret – das Musical“ (Eigenproduktion)
13.11. Holger Wicht & Rainer Bielfeldt: „Was tuckst du?“ (schwule Satire-Talk-Show)
Kookaburra
1.10. „Sonntagsbrandl“ (bunter Abend mit Martina Brandl)
4.–7.10. Leopold & Wadowski und die zart Besaiteten: „Jeder Orgasmus geht vorbei“ (Comedy)
8./15./22./29.10.//12./19./26.11. Open Stage
10.10. Helge und das Udo: „Der will nur Spielen“ (Comedy)
11.–14.10. Fil & Sharkey: neues Programm (Handpuppencomedy)
2006-09-15 | Nr. 52 | Weitere Artikel von: Susann Sitzler