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    Grosse Kleinkunst auf der Weltausstellung

    Jede Weltaustellung ist ja an und für sich schon ein einziges gigantisches Spektakel. Ein mehr oder weniger gelungenes Gesamtkunstwerk aus Architektur, Marketing, nationaler und internationaler Promotion und Selbstdarstellung. Kunst und Kultur spielen da natürlich auch eine Rolle - aber nicht unbedingt die Hauptrolle.  
    Die EXPO '98 in Lissabon bewies Instinkt mit der Wahl des Themas: "Die Ozeane - Ein Erbe für die Zukunft". Am Wasser gelegen, ist im sonnenheißen Pavillon-Park das kalte Naß allgegenwärtig. Nicht nur optisch in den Wassergräben, Wasserterassen und palmenbestandenen Wasserparks, auch akustisch in den Brunnen oder den Fontänen der von Künstlern gestalteten "Farb-Mosaik-Vulkane", die sich in Minutenabständen rauschend ergießen. Zerstiebende Tropfen kühlen die vom Warten oder Schauen ermüdeteten, erhitzten Besucher. Und manch einer stellt sich einfach unter den eisigen Guß.
    Wasser als das lebensspendende Element ist einfach überall und in allen Aggregatsformen von fest bis luftig präsent: Ob im großem Ozeanarium oder im Pavillon der Zukunft, wo mit einem tollen alle Sinne ansprechenden Drei-D-Film-Event für Umweltbewußtsein geworben wird - inklusive hauchfeinem Sprühregen, der zart die Haut überrascht. Im "Pavillon der Utopie" tosen dagegen die Wassermassen staubtrocken. Meer und Himmel teilen sich beim ulkigen Schöpfungs-Spektakel - von Philippe Genty mit Akrobaten, Sängern, Tänzern und High-Tech-Flugmaschinen in Szene gesetzt - mithilfe riesiger aufgeblasener Stoffbahnen und Projektionen. Ein theatralisches Fest für die Augen im muschelförmig ovalen Auditorium für 10 000 Zuschauer.      
    Es gibt aber auch den kleinen, bescheidenen Straßentheaterspaß mit einfachsten Mitteln, wie ihn die Natural Theatre Company so perfekt beherrscht. Die skurillen Briten wissen sich überall auf der Welt zu behaupten, in dem sie ganz sie selber bleiben und sich doch auf den Spielort einstellen. So führt ein wohlerzogener Bobby gestreng seine drei ungezogenen Hunde am Rinnsal inmitten der Avenida dos Oceanos spazieren. Sie platschen und kläffen zur Gaudi der Kinder und schnappen auch mal nach Beinchen oder der Eistüte. Auf den Treppenkaskaden des Utopie-Pavillons begegegnen groß und klein rüsselige Riesensaurier auf Fahrrädern rollend. Die Street-Show "Olharapos" von Change of the Guard gehört zu den regulären Daily-Acts wie auch die stampfende und feuerfauchende "Pilgrimage"-Monsterparade. Tatsächlich spektakelt es an allen Ecken und Enden des Riesengeländes am Tejo. Vom sonnenflimmernden Mittag bis tief in die traumhaften Mondnächte hinein. Trotz des täglichen Veranstaltungs-Führers erscheint das Angebot - auch von den teilnnehmenden Gastländern bestritten  - verwirrend und unübersichtlich. Da hilft nur pragmatische Entscheidung und eine gute Nase.
    Obwohl meine weder rund noch rot ist, führte sich mich direkt in die Premiere des französischen "Cirque Plume": Da fordert die Damen-Power-Band die Blaskapellen-Trottel so hitzig und verführerisch mit musikalischer und komödiantischer Verve heraus, daß manche Spieler oft nicht mehr wissen, ob sie Männchen oder Weibchen sind. "L'harmonie est-elle municipale?" ist ein musikalischer Clownsspaß erster Klasse, der mit Slapstick, Rad- und Seilakrobatik, Schattenspiel, Gesang und Tanz lustig, klug und turbulent das ewige (sinnlose) Gezänk der Geschlechter und der Völker auf die Schippe nimmt und in Flic-Flac-Kapriolen explodieren läßt (Regie: Bernard Kudlak). Ein halbe Stunde zuvor traf man auf dem Zirkus-Zeltplatz auf ein wunderliches Prozessionstheater von den Azoren: Bunt gewandete Spieler umkreisen aufgereiht an einem Riesenrosenkranz einen allerliebst Rauch spuckenden grünen Pappvulkan und beschwören singend und betend die Naturmacht.        
    Ein wichtiger Punkt im Initiativ-Programm der EXPO ist neben musikalischen und folkloristischen Tanz- und Theater-Veranstaltungen der einzelnen Länder, neben regelmäßigen Spekatakeln und dem Straßentheater auf dem gesamten Gelände das Portugal-Kulturprogramm. Heimische Künstler wurden für die Gestaltung der  einzelnen Programm-Linien eingeladen. Sänger wie Vitorino, Sergio Godinho oder Nuno Rebelo wurden gebeten, mit Komponisten, ihnen am Herzen liegenden Kollegen und vielleicht noch nicht so bekannten Interpreten oder Musikern ihrer ganz persönlichen Wahl einen Abend zu gestalten. Beim "Festival der portugiesischen Gitarre" geben an 17 Tagen unterschiedliche Meister der Saite und ihres Faches einen Abriß über die Entwicklung dieses Instrumentes und der Kompositionsvielfalt von der Vergangenheit bis in die Gegenwart. Junge Choreographen wie Olga Roriz, der "rabiate" Francisco Camacho oder Vasco Wellenkamp erarbeiten Stücke zum Thema "Urbane Tänze" und präsentieren sie an ungewöhnlichen Orten.

    Unter dem Stichwort "Verdes Anos" (Grüne Jahre) werden Kindertheater-Gruppen präsentiert. Und auch die Dichter und Schriftsteller kommen zu Wort: In der literarischen Reihe "Palavra do Dia" (Worte des Tages) lesen während der132 EXPO-Tage Schauspieler täglich Lyrik und Prosa aus Portugals Literatur des 20. Jahrhunderts.  Ebenso ist freies Theater mit interdiziplinären und experimentellen Produktionen vertreten. Auch außerhalb des EXPO-Erlebnis-Parks  finden Veranstaltungen statt - wie in Lissabons Kulturzentrum Belém genau am anderen Ende der Hafenbucht.

    Ausstellungen, Konzerte und das Tanz-und Theaterfestival "Eintauchen in die Zukunft" präsentieren nationale und internationale Künstler und Gruppen. Kurz und gut: Von hochprofessionell bis populär kommt bei der "Wasser-EXPO" in Lissabon die ganze breite Sparten-Palette der Performing Arts voll zum Zug.     

    Redaktion: Klaus Witzeling

     

    1998-09-15 | Nr. 20 | Weitere Artikel von: Klaus Witzeling