Ein Knaller im Stuttgarter Merlin. Die Kleinkunstpreis Überhäuften aus Krefeld: Die Scheinheiligen gewannen in St. Ingbert, Oberndorf, Melsungen, Magdeburg. In ihrem Programm „GENERATION XXL“ mit Themen wie Europa, Management im finsteren Kleinkunst-Wald – Mein Gott Dieter -, alternaive Kirchentage im modernen Outfit und vieles mehr. Bissige Texte, parodistisch eingesetzte Musik, gekonnte Regie, verrückte Interaktion auf der Bühne. Volker Diefes und Christian Ehring haben eine hohe Meßlatte angelegt, die für ihre kabarettistische Zukunft Maßstäbe setzt. Packende Doppelconferencen, satirische Szenen und als Höhepunkt die definitive Suche nach einer Europahymne für die verwöhnte deutsche Jugend. Soll sie mehr nach Mey, van Veen, Westernhagen oder Gröhle-Meyer klingen oder doch noch ganz anders? Die Kabarett-Bundesliga hat einen neuen Aufsteiger.
Im Rahmen der Kulturmesse West trat im Merlin die Kabarettgruppe Der Muli und ich auf. Die Newcomer begeisterten ihr Publikum mit ihrem ersten Programm „DER MANN MIT DEM GESICHT“. Absurde Geschichten aus dem Off, schmähhafte Philosophie über Sinn und Unsinn des Kabaretts, aber auch heiße Eisen, absurd verpackt, über Ausländerfeindlichkeit und Waffenschieber. Die Gruppe Bühnenstich, eine Amateurgruppe aus Stuttgart, präsentierte ihr neues Programm „FREIZEITPARK DEUTSCHLAND“, ein Spektakel anonymer Freizeitgeschädigter, die zwischen Fun-Park und virtuellen Erlebniswelten hin und herzappen. Besonders zu erwähnen sind neben gut aufbereiteten Szenen die musiklischen Elemente. Ein Freizeitkabarett im wahrsten Sinne des Wortes, just for Fun, und dieser Spaß kommt zu den Zuschauern rüber.
Den Förderpreis des Kleinkunstpreises Baden-Württemberg gewann ein Kabarettist, der eine wirklich neue Gattung auf die Bühne bringt. Bruder Grimm serviert ein Versragout nach allen Regeln der Dichtkunst.
Beim Fest des Kulturbesens Krug gab er Kostproben aus seinem kulinarischen Menu. Vom Oberrocker, der von der Tankwartin im dunklen Keller abgefüllt wird bis zur „Hymne auf das Frühstück“. Konsequent innovativ, nach keinem Vorbild schielend, endlich mal ein wirklich neues Gesicht in der Szene, ein Sprachartist von hohem Unterhaltungswert. Bei der gleichen Veranstaltung trat der allseits bekannte Kabarettist und Liedermacher Martin Herrmann auf, ebenfalls kleinkunstpreisgestählt, der neben kurzen, auf den Punkt gebrachte Gedichten sein neues Lied über das Viagra-Leid und Lust zum besten gab. Herrmann ist immer einen Abend wert - hingehen!
Bei meinen Reisen durch die Kleinkunstlandschaft machte ich auch beim Passauer Thingfestival Station. Während sich tagsüber Supergruppen wie Chumbawamba die Klinke in die Hand geben, gastierten nachts
Kleinkunstacts im Zirkuszelt. Besonders beeindruckt hat mich Cora Frost aus Berlin. Starke Bühnenpräsenz,treffende Songauswahl, gute Interpretationen, witzige Conferencen, Profi durch und durch mit einer sympatischen Ausstrahlung. Am gleichen Ort Faltsch Wagoni aus München, die in ihrer eigenen Klasse spielen. Ein Programm voll blühender Fantasie. Womit soll man das auch vergleichen? Ver-rücktes Musiktheater vermischt mit kabarettistischen Elementen, Einsatz von Instrumenten, die ich noch nie gesehen hab, mal witzig, mal absurd. Mit ihrer konsequenten Bühnenarbeit, musikalischer Vielfalt, ausgefallenem Bühnenoutfit und ihrem Humor haben sie sich seit Anfang der Achtziger ihre Fangemeinde in Clubs und Theatern erobert.
Als Oldie-Fan gab es für mich ein musikalischen MUSS: Die Spencer Davies Group im Naturtheater Grötzingen. Zweimal hatte ich sie in den 60ern in Essen gesehen, nun das Revival mit Spencer und Pete York, unterstützt von Colin Hodgkinson (Alexis Korner Band) und Miller Anderson (Keef Hartley Band).
Natürlich fehlt die Stimme von Stevie Winwood. Trotz der Hits kein Konzert, das dem abgeschlafften Oldie-Revival entspricht. Jeder Musiker hat seine Freiräume, bringt seinen Stil ein. Natürlich dürfen Hits wie „Keep on running“ und „Gimme Some Lovin`“ nicht fehlen. Ein Stück Rockgeschichte an einem lauen Sommerabend., der mit „Sweet Little Sixteen“ endet, na, und das ist auch schon fast vierzig Jahre her. Hervorragend übrigens die Vorgruppe Mablues aus Backnang, die mit brillianten Bläsersätzen, humorvollen Choreographien und einer eingeschobenen Elvisparodie eines Gastmusikers das Publikum richtig anheizte.
Im Theaterhaus Stuttgart fand das Internationale Kinder- und Jugendtheaterfestival statt. Ensembles aus vier deutschen und acht ausländischen Städten wurden speziell ausgewählt und eingeladen, insgesamt 50 Aufführungen von 21 Theatern wurden präsentiert. Die Compagnia Corona-Gherzi-Mattioli arbeite in ihrer Duoproduktion mit Elementen des Tanzes, Textpassagen auf Deutsch und Italienisch wurden auf das Notwendiges reduziert. Beeindruckend bis beängstigend die wilden Choreographien mit Puppen zu trommelfellbetäubender Discomusik. Das Freiburger Theater im Marienbad unter Dieter Kümmel brachte „Parzival“ von Tankred Dorst auf die Bühne. Das Tübinger Landestheater versuchte sich an Kinderoper „Friedas Reise“, die sehr gemischte Gefühle beim Publikum hinterließ.
Ganz klein und fein außerhalb des Festivals im teatro piccolo in Stuttgart die Produktion von Agora, dem Theater der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, „Prinzessin Bammel“. Sie bringen ihre eigene kleine Bühne mit, knapp vier Meter Durchmesser. Das Publikum gruppiert sich in zwei Reihen um die Minibühne, Kinder und Erwachsene sind dem Geschehen zum Greifen nahe.
Die Gruppe zeigt eine wunderschöne Verbindung von Puppen-, Schauspiel und Objekttheater. Humorvoll, emotional, die Zuschauer einbeziehend nimmt uns das Theater auf eine fantastische Reise durch die Kindheit mit.
Politkabarett im Keller der Galgenstricke in Esslingen. Rainer Kröhnert schlug das kabarettverwöhnte Publikum mit seiner neuen Produktion in den Bann,
„HONNIS RACHE“. Alle deutschen Politiker befinden sich im Knast, die RAF-Veteranen haben ein letztes Mal zugeschlagen. Kinski als Ankläger, Böhme als Richter, Hinze als schleimender Verräter der CDU-Sache, Bossi als zwielichtiger Anwalt der guten Sache, der den frommen Hinze politischen Triebtätern wie Rühe ausliefert. Satirisch ausgefeilt, sprachlich angelehnt an die Knastfäkalslang, blitzschnelle Rollenwechsel, bekannte Figuren treffend dargestellt, Kröhnert spielt auch in seinem vierten Solo all seine Stärken aus, begeistert sein Publikum, und das in einer Zeit, in der schwerpunktmäßig Comedy-Acts Erfolge feiern.
In der Dieselstraße sah ich Tresenlesen, endlich ist es mir gelungen meine Landsleute und Kollegen aus dem Pott auf der Bühne erleben zu können. Malmsheimer und Goosen haben schon nach wenigen Minuten das Eis gebrochen, das Publikum gewonnen. Egal, ob sie Verordnungen der Post vorlesen oder einen ruhrgebietstypischen Kaufhausdialog vom literarischen Stapel lassen, das Publikum goutiert ihre Art des Vortrags, biegt sich vor Lachen und geht literarisch gestärkt nach Hause.
Zum Abschluß noch ein Kurzbericht vom einem Leckerbissen der besonderen Art. In Stuttgart trat wie jedes Jahr der Circus Calibastra auf. Schüler und Ehemalige der Michael Bauer Waldorfschule mit Unterstützung der Solid Old Jazz Band präsentierten vor weit über tausend Zuschauern eine fantasiereicheVorstellung aus Menschenpyramidenbau, Akrobatik, Jonglieren, Tanzen und Clownspielen.Die gekonnten Nummern wurden mit satirischen Conferencen mit guten Gags miteinander verbunden. Bemerkensdwert der Spaß, den alle Akteuere bei der Sache haben und der sich problemlos auf die Zuschauer überträgt. Beiendruckend die Jonglagen mit brennenden Fackeln, leuchtenden Keulen und Diabolos. Eine im manegenhaften Sinne ganz runde Sache, die Zuschauer zum Selbermachen anregt und immer einen genußvollen Abend verspricht.
Redaktion: Bruno Schollenbruch
Stuttgart
kommunales kontakt theater:
9.10.1998 PRÉVERT-Abend (Premiere)
13.-14.11.1998 Lola Blau
Filderstadt
Alte Mühle:
9.10.1998 Nils Kaiser
Herrenberg
Comedy-Festival mit Earl Okin am 27.10.98 sowie „FABIAN und Herr Hormes“ am 31.10.98 mit ihrem neuem Programm 1998-09-15 | Nr. 20 | Weitere Artikel von: Bruno Schollenbruch