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    Wer sich mal wieder die Birne durchpusten lassen will...

    Wer sich mal wieder die Birne durchpusten lassen will, dem sei Wiglaf Droste empfohlen. Einen simplen Haarschnitt seines Resthaares im Sinn, verlor er sich verzweifelnd Im Sparadies der Friseure (Edition Tiamat / ISBN 978-3-89320-132-7; 144 S., 12 €). Statt solider Handwerker waren allenthalben Hair-Killer oder Kopfgeldjäger zu finden. Überall aufgeblasene und dümmliche Originalität, man wird durch den Kakao gezogen und soll noch von ihm trinken. Eine kleine Sprachkritik nennt er seine scharfsinnigen Beobachtungen in seltener Bescheidenheit, doch es ist mehr. Es ist die Einladung, mit klarem und kritischem Kopf durch die Welt zu gehen, Worte ernst zu nehmen und Stil zu bewahren. Nicht darum die Reinheit der deutschen Sprache zu bewahren geht es ihm, seine Bemerkungen setzen da an, wo Sprache missbraucht wird, verschleiern soll, den Verstand betrügen will.

    Oliver Polak behauptet: Ich darf das, ich bin Jude (KiWi 1070 / ISBN 978-3-462-04050-0; 190 S., 8,95 €) und beschreibt seine Jugend in Papenburg im Emsland. Mit einer erdrückenden jüdischen „Mamme“, dem Vater als einzigem Überlebenden seiner Familie im Holocaust, dazu in der tiefsten Provinz, und er war weder bei den Mädels noch in der Schule ein Überflieger. Darüber macht er sich lustig und spielt mit dieser verklemmten Situation zwischen Ablehnung, Anbiederung und betretenem Schweigen bei einem deutschen Juden – oder Juden in Deutschland, oder wie? Angenehm ist vor allem seine große Offenheit, seine Ehrlichkeit, auch wenn es um ganz persönliche Dinge geht.

    Manfred Wekwerth, ein Mitarbeiter Bertold Brechts und langjähriger Intendant des Berliner Ensembles, hat ein streitbares Handbuch zum brechtschen Theater herausgegeben: Mut zum Genuss (Kai Homilius Verlag / ISBN 978-3-89706-656-4; 232 S., 14,80 €). Er liefert damit seinen Beitrag zur Diskussion über aktuelles Theater und betont vor allem auch die sinnliche Komponente, die dem Brecht-Theater oft abgesprochen wird. Der Band enthält Reden, Artikel und Materialien, die ebenso interessant wie anregend sind.

    Als Urgestein der Liedermacherszene hat sich Walter Mossmann dennoch stets etwas abseits gehalten und ist seine eigenen Wege im Badischen gegangen. Diese Wege schildert er unter dem etwas abgegriffenen Titel: realistisch sein: das unmögliche verlangen (edition der Freitag / ISBN 978-3-936252-11-8; 252 S., 19,80 €). Sehr subjektiv und persönlich – der Untertitel lautet: „wahrheitsgetreu gefälschte Erinnerungen“ – schildert er seine Entwicklung: Waldeck, Biermann, RAF, Flugblattlieder oder Whyl seien hier nur als Stichworte genannt. Ein facettenreicher, aber auch fragmentarischer Rückblick.

    Roger Stein, der zusammen mit Sandra Kreisler das Duo Wortfront bildet, hat sich zu seiner Promotion in Wien eines delikaten Themas angenommen: Das deutsche Dirnenlied (Böhlau / ISBN 978-3-412-03306-4; 554 S., 47,90 €). „Literarisches Kabarett von Bruant bis Brecht“ lautet der Untertitel, und Stein untersucht, welche Rolle Lieder über Huren im Laufe der Zeit auf den Brettl-Bühnen spielten und welche Gattungen und Typen sich entwickelten. Ausgehend vom französischen Cabaret brachte schon Ernst von Wolzogen, der Gründer des ersten deutschen Kabaretts 1901, im Eröffnungsprogramm „Madame Adèle“ unter. Trotz gelegentlicher Eingriffe der Zensur war dieses Genre von den Bühnen nicht mehr wegzudenken. Stein zeigt, das gegen Ende der 20er-Jahre die Gattung Dirnenlied an Attraktivität nachließ und mit der Machtergreifung der Nazis war zwar nicht die Zeit der Huren, aber die der Hurenlieder auf der Bühne vorbei. Eine äußerst materialreiche Arbeit und gewinnbringend zu lesen.

    Redaktion: Rainer Katlewski

    2009-09-15 | Nr. 64 | Weitere Artikel von: Rainer Katlewski