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    Kritik: Désirée Nick in „Souvenir“ (Renaissance Theater)

    Nicht viele Leute kennen den Namen Florence Foster Jenkins. Aber die, die ihn kennen, fangen sofort an zu lachen, wenn sie ihn hören. Florence Foster Jenkins war eine reiche, ältere Dame in New York, die sich in den 1940er-Jahren in den Wahn verstieg, eine begnadete Koloratursopranistin zu sein und darum alle großen Werke dieses Genres öffentlich zum Vortrag bringen zu müssen. Tatsächlich traf die ältere Dame aber höchstens jeden zehnten Ton und hatte keinerlei Gefühl für Rhythmus. In Paradepartien wie der Königin der Nacht ließ sie die allzu schwierigen Töne einfach aus. Von diesen Darbietungen zeugen einige bei Kennern sehr beliebte Tonaufnahmen. Und es gibt ein Theaterstück namens „Souvenir“ von Stephen Temperley, in dessen Mittelpunkt die ebenso verschrobene wie tragische Figur steht. Im Sommer wurde dieses im Renaissance-Theater in Berlin aufgeführt. Wenn es aber in der Stadt um verschrobene Figuren mit tragischen Anteilen geht, ist Desirée Nick nicht weit. Die gescheiterte Balletttänzerin, gescheiterte Religionslehrerin und erfolgreiche Kabarettistin Nick gibt die Florence Foster Jenkins mit aller gebotenen Aufmerksamkeit.

    Wirklich bravourös gelingen der Nick die ohrenbetäubend schrägen Gesangseinlagen, von denen das Stück lebt. Mit bebender Koloratur jagt sie die hohen Töne und fuchtelt dabei wild mit den Händen. Hier kommt ihr der vielfach bewiesene Hang zur Selbstdemütigung zugute – und ihre Darstellung zeugt von einem wirklichen musikalischen Talent. Ansonsten ist die Inszenierung leider nicht besonders sehenswert. Der dramaturgische Bogen ist wenig originell. Foster Jenkins Pianist (gespielt von Musikkabarettist Jens Reichow) erzählt in Rückblenden von seiner zunächst widerwilligen, schließlich von einer merkwürdigen Rührung getragenen Zusammenarbeit mit der älteren Dame. Dazwischen betritt Desirée Nick die Bühne und führt die Sängerin mehr oder weniger vor. Denn sie nähert sich ihr wie einer ihrer kabarettistischen Figuren, die man ohne Rücksicht dem Gespött preisgeben kann. Erst ganz zum Schluss hat sie den Mut, sich auf die Tragik der Figur einzulassen.

    „Souvenir“ ist bereits die zweite Produktion am Renaissance Theater, in der Desirée Nick als ernsthafte Schauspielerin zu sehen ist. Zuletzt brillierte sie 2002 als Psychotikerin in Oliver Bukowskis Einpersonenstück „Nichts Schöneres“ (Trottoir berichtete). Aber auch, wenn „Souvenir“ nicht der ganz große Wurf ist: Es spricht unbedingt für die Entertainerin Nick, dass sie sich neben ihrer lauthals betriebenen Fernseh- und Kabarettkarriere immer wieder die Zeit für die weniger medienwirksame und so viel mühevollere Theaterarbeit nimmt.

    Redaktion: Susann Sitzler

     

     

    2008-09-15 | Nr. 60 | Weitere Artikel von: Susann Sitzler