Die Show spielt sich auf einer Bühne ab, die rautenförmig in die Mitte des Zuschauerraumes gerückt wurde, an den Eckpunkten begrenzt durch an die Decke reichende Masten. Grenzüberschreitend soll die Show sein, eine Mischung aus Tanz, Theater und Akrobatik, zeitgenössisch eben. Nun ist Grenzüberschreitung im Varieté so ganz neu nicht, Varieté definiert sich in der Herkunft des Worts ohnehin als Vielfalt, und das „Handbuch Populäre Kultur“ sieht Gesang, Komik und Tanz entwicklungsgeschichtlich im Varieté an erster Stelle. Pabst wollte seiner Inszenierung einen tieferen Sinn geben; sie soll die Begegnung zweier Welten widerspiegeln, Liebe versus Hass, Nähe vs. Distanz, Wärme vs. Kälte, die Geschlechtergegensätze sollten sich als zwei Welten treffen. Demonstriert wird das durch Video- und Lautsprechertexte am Beginn der Show. Da wird wohl etwas zu viel philosophiert und die Aktionen benötigen das sicher auch nicht.
Es gibt einige hübsche Einfälle, so die an der Decke einschwebenden Darstellerinnen – insgesamt wirken vier Artistinnen und vier Artisten mit, die sich u. a. zu einem Luftballett an vier Trapezen vereinen. Insgesamt wird in der Inszenierung weniger Wert auf die akrobatische Einzelleistung gelegt. Es gibt Aktionen am Luftring, an den Strapaten, am Vertikaltuch; die vier männlichen Akrobaten klettern an den Masten; aber vor allem sind es Soli und Duette, die tänzerisch das Trennen und Verbinden darstellen sollen. Die Kostüme sind schlicht, als Requisiten dienen Schleier und Stoffbahnen, als Soundtrack wurde Musik von „Antony and the Johnsons“ und „Muse“ ausgewählt. Als Schlussbild gibt es eine Kletteraktion an zahlreichen ineinander verschlungenen Tüchern, optisch ein interessantes Bild.
Im neuen Wintergarten-Programm „Made in Berlin“, das am 9. Mai Premiere hatte, führt Markus Pabst Regie. Die Grundidee, Berlin in all seinen Facetten darzustellen, versucht Pabst mit Hilfe von Musik in einer Mischung aus Berlin-Chansons, Pop, Hip-Hop, Rock und Schlager zu kombinieren, mit tänzerischen Figuren der Mitwirkenden auf der Bühne. Die Musik passt manchmal nicht so recht zur Darbietung, die tänzerischen Bemühungen, die den Artisten abverlangt werden, sind oft etwas zu lang und in einigen Bildern ist Pabst denn doch mit der Umsetzung seiner Ideen nicht zurande gekommen. Man kann die Berlin-Geschichte nicht in einer solchen Produktion abhandeln, und schon gar nicht den Mauerfall. Wenn da zwei Akteure in DDR-Grenzer-Uniformen mit zwei grauen Tafeln herumhantieren, die die Mauer darstellen sollen, und dann noch mit der Losung „Wir sind das Volk“ in einer Pseudo-Demonstration über die Bühne gezogen wird, ist das einfach peinlich. Bemüht originell auch der Auftritt des Eisbären Knut zusammen mit dem (überaus hässlichen) Berliner Bären als „Reicher Bär trifft armen Bär“, das versteht keiner und es ist überflüssig.
Ansonsten setzt das Programm auf Artistik, diese wird in unterschiedlicher Qualität geboten. Die Wasser-Strapaten-Nummer von Pablo Caesar registriert man eigentlich nur ob ihrer Länge. Caesar tritt dann noch einmal auf an einem in der Luft verkehrt hängenden Fahrrad und dessen Spiegelung auf einer Leinwand, das ist in Maßen originell. Überzeugend der Jongleur Girma Tsehai, Ballbouncing gegen zwei und drei schräge Flächen, was sehr schöne Touren in hohem Tempo ermöglicht. Eine Mischung aus Tanzakrobatik, Äquilibristik und Kautschuk zeigt David Pereira, u. a. mit Standspagat und Kautschukhandständen.
Am doppelten chinesischen Mast arbeiten Rémi Martin und Eike von Stuckenbrok, das erhöht mit den Tricks, so u. a. Sprüngen von Mast zu Mast oder Sprüngen über den Partner, die Dynamik der Nummer gegenüber einer Soloarbeit. Stuckenbrok hat dazu als Auftaktdarbietung eine Handstandakrobatik auf einer Schaufensterpuppe vor, deren Arme beweglich einsetzbar sind. Eine hübsche Antipodenarbeit mit Ringen, Reifen und Rolle kommt von Nata Galkina, sie arbeitet aus einer Mülltonne heraus (wie Pabst offenbar solche Dinge liebt, der Kontorsionist Pereira benutzt als Requisit einen Einkaufswagen). An zwei Trapezen, teils solo, aber auch gemeinsam in ihren Tricks aufeinander abgestimmt, zeigen Mareike Koch und François Gravel zwei unterschiedliche Formen der Trapezakrobatik, Koch im eher klassischen Stil, Gravel mit mehr tänzerischen Elementen.
Eine ausgezeichnete Vertikaltucharbeit präsentieren Kati und Philipp, hier stimmen Choreografie und Trickabläufe, eine sympathische, kraftvolle und trickreiche Darbietung. Beide zeigen auch eine gute Hand-auf-Hand-Äqulibristik, nur leidet diese Arbeit unter der Kostümierung mit Ballons auf Armen und Rücken, die keinerlei Funktion haben, eher hinderlich sind und außerdem in der Sicht von hinten unschön aussehen.
Insgesamt machen die artistischen Darbietungen die anzumerkenden Regie-Schwächen dann doch wieder wett. Das Programm ist bis 12. Juni zu sehen, dann pausiert es wegen der Fußballweltmeisterschaft, startet wieder am 14. Juli und läuft dann bis zum 25. September.
Am 5. Juli gibt es im Wintergarten die Absolventengala der Staatlichen Schule für Artistik, daran anschließend für einige Tage das Tourneeprogramm der Absolventen, und vom 27. 9. bis 16.10. gastieren The Tiger Lillies.
Der Friedrichstadtpalast kündigt ab 2. September die neue Revue „Yma – zu schön um wahr zu sein“ als die bedeutendste europäische Show-Premiere des Jahres an.
Redaktion: Dietmar Winkler
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