Seit Jahren gehören sie zur Crew des 1975 erstmals in Hamburg gesichteten Kulturkahns „Das Schiff“, heuern regelmäßig einmal pro Monat für drei, vier Tage darauf an, gehen im Sommer mit auf große Fahrt zur Kieler Woche und haben im Norden bereits ihre Stamm-Sehleute: Grund genug, einmal über die Verbindung zwischen dem Kabarett-Ensemble Denkzettel aus der Elbestadt Madgeburg und den beiden „Schiffs“-Führern Gerd und Anke Schlesselmann zu berichten – hoffentlich ganz ohne Seemannsgarn.
„Wir sind kein ostdeutsches, sondern ein deutsches Kabarett, und unterscheiden auch nicht zwischen Ost- und Westpublikum – unsere Programme sind überall gleich“, sagt Frank Hengstmann (51), der die Gruppe 2004 mit Vera Feldmann (40) und Thomas Müller (47) gegründet hat. „Früher brauchten etwa die Hamburger Besucher immer eine Weile, bis wir sie mit unseren Gedanken einfangen konnten. Inzwischen sind wir so weit, dass sie gleich mitgehen.“ Im Frühjahr stellten die Gewinner des Reinheimer Satirelöwen von 2006 hier den dritten Teil ihrer Gesellschaftsordnungs-Trilogie vor: „Sozial is muss! Oder: Den Rest kriegen wir später“ – nach den Abenden „Feudal is muss!“ und „Kapital is muss!“. Die Bandbreite von persönlichen Frotzeleien über aktuelle Schnodderigkeiten in Richtung Politik und (Miss-) Wirtschaft bis hin zu zündenden, textlich verfremdeten Schlagern zu Klampfe und Klavier kam bei den Hanseaten gut an. Noch etwas mehr Struktur und tiefere Analyse hätten der Vorstellung aber durchaus nicht geschadet.
„Wir wollen uns nicht vormachen, die Welt verändern zu können. Wenn wir erreichen, dass die Leute einen lockeren Abend erleben und sich besser fühlen, erscheint uns das schon viel“, erläutert Müller das „Denkzettel“-Konzept. Alle drei Ex-„Zwickmühlen“-Mitglieder betonen, dass sie nach der Wende die alte (Ost-)Tradition des Ensemblespiels nicht aufgeben wollten, da sie gemeinsam ihre Weltsicht am besten formulieren könnten. Nach Jahren der Kabarett-Flaute sei auch im Osten das Interesse wieder da. Ein Problem bereite bekanntlich allerdings, dass man hier und heute alles sagen dürfe und eigentlich niemanden mehr aufrege. Im Gegensatz zu DDR-Zeiten, als Programme noch genehmigt werden mussten – und die Besucher auf der Bühne entwickelte Leerstellen im Geiste selbst auszufüllen hatten.
Eine Hommage an alte Entertainer à la Heesters, dabei das Metier liebevoll persiflieren – das war es, was die puppenspielende Ex-Männergestalt Detlef Wutschik (40) und der preisgekrönte Hannoveraner Stand-up-Comedian Matthias Brodowy (35) für ihr erstes gemeinsames Programm (wir berichteten) ausgetüftelt hatten. In Alma Hoppes Lustspielhaus war es dann soweit: „Bert Engel sagt Tschüss“ heißt die Show (Regie: Horst Schroth), mit der sich beide künstlerisch weiterentwickeln wollen. Geboten wurde ein nostalgisch glitzernder Rahmen, der Vielerlei zusammenhielt – das Spiel mit einer lebensgroßen, nur leicht senilen „Bert-Engel-Puppe“, Gesang mit Flügelbegleitung („Willkommen, bienvenue, welcome“), politische Witze, Zauberei-Parodie, die sterblichen Überreste von Ilse Werner und Hans Albers in einer violetten Urne, das Original Ratt-Pack („Klo-ak, Klo-ak“ statt „New York, New York“) und noch mehr. Der Abend war launig, hatte Charme und wurde vom Publikum heftig beklatscht. Und doch würde man sich wünschen, dass Wutschik und Brodowy – die stimmig miteinander agieren – zu mehr Linie finden. Das würde nämlich dem Format der beiden erst richtig entsprechen.
Im Stil eines absurden beckettschen „Endspiels“ inszenierte Politkabarett-Urgestein Henning Venske das neue Programm des Duos Alma Hoppe: „Im Dickicht der Dummheit“ heißt Nils Loenickers und Jan-Peter Petersens Auftritt, bei dem die beiden „Lustspielhaus“-Betreiber in dunklem Anzug und Bowler auf kahler Bühne zügig, spitzzüngig und stringent den allgegenwärtigen Geisteszustand in Politik, Wirtschaft und Familie aufs Korn nehmen (denn: „Das Hirn ist das Organ, mit dem wir denken, dass wir denken“). Obwohl die Bonmots noch gewinnen würden, wenn sie seltener unter die Gürtellinie zielen, dafür häufiger Beispiele aus dem wahren Leben bringen würden, verdient das Programm den starken Beifall, den das Publikum zollte.
Einladungen und Plakate gestalteten sie wie eine Todesanzeige, „In Liebe und Dankbarkeit“ betitelten sie entsprechend ernst ihren Abendauftritt – denn mit Bo Doerek ging es zu Ende. Das ist wahrhaft traurig, denn einerseits sind Alexandra Doerk und Hubertus Borck noch keine vierzig und andererseits waren sie einfach klasse Musik-Comedians. Doch zwölf Jahre Bühnenpartnerschaft seien genug, hieß es seitens der beiden Kiez-Künstler. Und so baten sie in ihr Stammhaus Schmidts Tivoli zum finalen Best-of. Das geriet zur etwas nostalgischen, aber großartigen Show, bei dem die kecke Brünette und ihr betont schwuler Comedy-Partner noch einmal mit knackiger Präsenz, Stimmstärke, präzise servierten Zickigkeiten und schrägen Kostüm- und Rollenwechseln begeisterten. Diesmal begleitet von einer Vier-Mann-Band, gaben die Vielseitigen Schlager, Chansons und Flamencos zu Gehör und ließen etwa den Schweinezüchter von der Hallig Hooge, „Starlight Express“ sowie Grand-Prix-Sängerin Nicole von vor 25 Jahren wieder aufleben. Das vollbesetzte Haus spendete Ovationen. In Zukunft will Borck Drehbücher schreiben, während Doerk Musik und Hörbücher macht.
Redaktion: Ulrike Cordes
Fliegende Bauten
bis 14.10. The Legends of Bahia Brasil, „Born To Samba“
Fools Garden
11./12.10. Renate Coch, „Renate CochT vor Liebe“
Alma Hoppes Lustspielhaus
16.–28.10. Jochen Busse & Henning Venske, „Legende trifft Urgestein“
Das Schiff
11.11. Rita Schrem & Hans-G. Pachmann, Premiere „Humpelnde
Welt“ – ein J.-Ringelnatz-Abend
2007-09-15 | Nr. 56 | Weitere Artikel von: Ulrike Cordes