Wer – wie die Autorin selbst – aus dem Rheinland stammt, hat bisher in der hessischen Mainmetropole von der hessischen Fassenacht sicherlich nicht allzu viel mitbekommen. Denn wer sich nicht höchstpersönlich unter das närrische Volk mischt, trifft in Frankfurt, außer beim Faschingsumzug, kaum verkleidete Menschen – wenn man die Bänkerkluft nicht dazuzählt. Auch alternative Karnevalsveranstaltungen, wie in Köln oder Bonn, waren hierzulande bisher nicht üblich. Das änderte sich in der Faschingssaison 2008 schlagartig: An gleich zwei Örtlichkeiten haben emsige Vertreter der Bühnenkunst Fassenacht mal ganz anders angeboten. Sowohl Mainhattans Single-Experte Anton Le Goff als auch Horst Blue, Meister sanfter Schlagernoten mit ironischem Anklang, schwangen eigenhändig, aber unabhängig voneinander, das närrische Zepter.
Unter dem Motto „Ein Schuppen voller Narren“ lud die Kabarettistin in Männerkleidung, Maja Wolff alias Anton le Goff, in die Hausener Brotfabrik ein. Den alternativen Elferrat komplettierten die leidlich frohgemute Hilde aus Bornheim (sehr schön gespielt von Stefanie Kunkel) sowie Mainhattans Vorzeige-Travestiekünstler Thomas Bäppler alias Bäppi La Belle. Der eigentliche Stargast der Show entpuppte sich recht bald als Angela Merkel, wobei ihre augenscheinliche Vorliebe für Frohsinn trotz heruntergezogener Mundwinkel an der Authentizität der Bundeskanzlerin zweifeln ließ. Das Merkel-Double, natürlich niemand Geringeres als Bäppi La Belle, war dennoch so überzeugend in seiner Maskerade, dass die Stimmung im Talent-Schuppen von Anfang an auf dem Höhepunkt war. Dafür sorgten zudem am Eingang verteilte Tröten und Luftschlangen, die im vollbesetzten Saal verstärkt zum Einsatz kamen. Und auch der Kulturkontrollbeauftragte Herr Feierabend (Stefan Wilhelm Reith) machte Stimmung, und das, obwohl es doch eigentlich kurz vor der hessischen Landtagswahl noch nix zu lachen gab. Denn was bewegte in der Faschingssaison laut Le Goff: „Klimawandel, Gammelfleisch und Roland Koch!“ Denselbigen meinte auch Kanzlerin Merkel auf der Fahrt in die Brotfabrik in der U-Bahn gesichtet zu haben. „Der war bewaffnet mit einem Fotoapparat nach dem Motto: Kommst du? Haust du?“ Fazit à La Belle: „Es kam aber keiner.“
Was aber kam waren informative Beiträge über die hessische Fassenacht vom Sitzungspräsidenten Le Goff, närrische Lied-Klassiker des Elferrats und natürlich der Aufmarsch der Hausener Superstars. Eine bunte Mischung verschiedener Menschen mit unterschiedlichen Talenten. Dass die Professionellsten unter den Bewerbern, ein Artistenpaar, die Wahl zum Superstar gewannen, wurde von allen Teilnehmern mit Humor genommen. Schließlich ging es hier in erster Linie um echte Spielfreude und die Lust am närrischen Treiben mit kulturellem Anspruch in der Bankenstadt. Erfolgsaktie voraussichtlich steigend!
Zu vergleichen mit den üblichen Talentshows sei ihr Konzept nicht, erklärt Maja Wolff. „Geplant ist, jeden Monat eine neue Show mit einem neuen Thema zu machen“, so die Kabarettistin. „Ein Dieter Bohlen von Hausen hätte nur narzisstischen Wert!“ Im September 2007 haben die Wolff und ihre Mitstreiter die Hausener Show gestartet – mit durchschlagendem Publikumserfolg. „Beim dritten Mal war die Bude komplett voll.“ Jetzt planen sie ein Fernsehformat. Interesse örtlicher Sender ist bereits bekundet worden. „Bisher war Hausen ein Unort. Außer dem Kulturzentrum Brotfabrik und den Moscheen war der Stadtteil den Frankfurtern kaum präsent.“ Zurzeit entsteht ein Künstlerpool. Ideen sind genug vorhanden: „Auf jeden Fall wollen wir etwas Beständiges, ein Format im wechselnden Ambiente.“ Ob das Thema „Grüne Soße“, „Speed-Dating“ oder „Sport“ lautet (als Open-Air für den Sommer im Visier): dementsprechend wird der Veranstaltungsraum gestaltet. „Klar ist, dass es bei „Grüner Soße“ aussieht wie beim Blauen Bock, und auch Heinz Schenk wird zugegen sein – selbst, wenn ich ihn gebe“, sagt Maja Wolff schmunzelnd. Künstlerkontakte unter www.Hausenmacht.de.
Ebenso schräg-karnevalistisch und künstlerisch bunt gemischt empfing Horst Blue (Georg Keim) seine Gäste im Frankfurter Szene-Club Das Bett unter dem Motto „Bütte nicht!“ Auch hier gab es einen personell reduzierten Elferrat – laut Blue wegen der allgemeinen Sparmaßnahmen. Zur Stelle waren dementsprechend nur Blue und Renate von Diezenbach (Gabriele Meyer). Den Auftakt der Show machte Comedy-Zauberer Monsieur Brezelberger (Michael Leopold), der mit seiner gewohnt charmanten Schnodder-Schnauze und französischem Akzent das Publikum samt Applausanordnung und La-Ola-Welle auf den Abend einschwor. Ganz nach dem Motto: „Es ist Fastnacht, da geht man aus sich raus. Wenn alle mitmachen, sieht es nicht so blöd aus!“ Ebenfalls mit machten das Impro-Duo Bauer und Förster, die liebreizende Chantal Chabraque (Pia Lindner), Dr. Ruslana Onassis-Krupp (Riki Breitschwerdt), beide vom Frankfurter Impro-Ensemble Ampere Theater, und Effi B. Rolfs (Schmiere Theater). Das karnevalistische Konzept ging auf: Schließlich hatte jeder Protagonist der bunt zusammengewürfelten Kleinkunsttruppe dem Anlass Angemessenes zu bieten. Und mit der Büttenrede der Schmiere-Kabarettistin Effi Rolfs kamen auch politisch Erwartungsvolle voll auf Ihr Kosten. Fazit: Bütte nicht aufhören – auf ein Neues in der Frankfurter Fassenachts-Saison 2009!
Kurz nach den närrischen Tagen und pünktlich zur Darmstädter Varieté-Saison hatten auch Rainer Bauer und Iris Daßler von Kw8 wieder kulturelle Schmankerl zu bieten. Bereits im neunten Jahr inszenierten sie in der Bessunger Knabenschule ihr Varieté Extra, das sich erfrischend von durchschnittlichen Formaten wie dem Frankfurter Tigerpalast abhob. Künstlern unterschiedlichster Sparten, die sich im landläufigen Varieté-Betrieb bisher noch nicht etabliert haben, boten die Macher eine Plattform, die es in sich hatte. Rekrutiert aus dem Kleinkunst- und Straßentheaterbereich kamen damit Darsteller zum Zuge, die sicherlich auch außerhalb des Varietés Großes versprechen.
Allen im zeitlichen Ablauf voran war Moderator Daniel Reinsberg, der im Laufe des Abends nicht nur mit seinem Können als Spaß-Zauberer und Sänger das Darmstädter Publikum eroberte, sondern auch als bauchredender Humorträger im Zwiegespräch mit einem Waschlappen. Herrlich, als der Frottee-Handschuh unter Reinsbergs fachmännischer Führung verriet, er hänge sonst den ganzen Tag so rum, sei aber schwer verliebt in ein Shampoo, das ihm allerdings längst zu verstehen gegeben habe: „Wash and go!“
Pete Sweet, ein Streetperformer aus Kalifornien und äußerlich äußerst ungelenker Komiker, verblüffte die Zuschauer mit seiner Gabe, eine Kristallkugel auf unglaublich anmutige Weise balancieren zu können. Dass dieser Mann dann auch noch gekonnt komisch-artistisch Seil lief und sich zudem mit einem Einrad in luftige Höhen wagte, stellte das Auditorium eigentlich nur noch vor eine Frage: lachen oder vor Bewunderung verstummen?
Ähnlicher Mittel bediente sich das Duo Unwucht aus der Bundeshauptstadt. Auch bei ihrer Partnerakrobatik überzeugte der Mix aus Komik und artistischem Können. Der Applaus war ihnen dementsprechend ebenso sicher wie dem Luftakrobatik-Duo High Society aus Berlin. Mit Schönheit und Charme gelang den beiden grazilen Artistinnen in der Knabenschule der Höhenflug. Dem weiblichen Power-Duo schloss sich Christoph Rummel aus Köln an, der mit seiner Mixtur aus Show- und Humor-Elementen ebenfalls einiges fürs Auge bot, insbesondere für das des weiblichen Publikums, wie Moderator Reinsberg süffisant bemerkte. Für einen weiteren männlichen Part in der Show sorgte der Comedian Stefan Denzer aus Mainz mit viel Elan am Klavier und Stand-up. Alles in allem ein Hochgenuss für Augen und Ohren, der Lust macht auf weitere Überraschungen der Varieté-Extra-Klasse!
Einen langfristig festen Platz im Frankfurter Kulturgeschehen hat eine Eigenproduktion des Stalburg Theaters in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Rundfunk. Die Hintergrundgeschichte des Erfolgstücks von Kult-Autor Michi Herl ist leicht zu erzählen, aber schwer zu verdauen. Der Schauspieler Ilja Kamphues verkörpert den ungelenken Molekularbiologen Dr. Theodor Kögel in „Wer kocht, schießt nicht“, der in einer Lebenskrise vom Arbeitsamt einen Auftrag als Seminarleiter beim Fast-Food-Hersteller „Schnell und Lecker“ erhält. Ausgerechnet der Gastwirtssohn aus dem Sauerland und begabte Hobbykoch soll dem „ausgesuchten Testpublikum“ im Stalburg Theater die Fertig-Produkte von „Schnell und Lecker“ schmackhaft machen. Anfangs noch gewollt angepasst an die Firmenpolitik „Alles ist zu verkaufen. Nobody isst perfect“, macht sich Akademiker Kögel an die Arbeit und gerät immer mehr aus dem Konzept. Somit gerät die Werbekampagne für „Schnell und Lecker“ schnell zur Farce, als Kamphues alias Kögel eine Spargelcremesuppe anpreist und dann aber beim Verlesen der Zutaten ins Stocken kommt. Ganze drei Prozent Spargel enthalte die Tütensuppe des Auftraggebers, lässt Kögel verlauten und ergänzt: „Meine Herren, stellen Sie sich vor, Sie kommen nach Hause, legen Ihrer Frau drei Spargel auf den Tisch und sagen: Zauber uns mal daraus eine leckere Suppe. Sehen Sie, Sie können das nicht. Schnell und Lecker kann es!“ Und so serviert Kögel im Laufe seines Verkaufsgesprächs immer mehr Privates und fängt tatsächlich an zu kochen. Bei der Zubereitung seines Hühnergerichts à la Kögel erfährt das Publikum allerlei Wissenswertes über die Nachteile der Fertigküche sowie über die „Daseinsberechtigung und Sterbegeschichte“ einer weiteren Akteurin des Bühnengeschehens: eines Huhns namens Berta. Das Resultat von Kögels Kochkünsten wird selbstverständlich von glücklichen Zuschauern direkt vor Ort verköstigt, während der Rest des Publikums als Ausgleich das Rezept für die gefüllte Hühnerkeule mit selbst gemachten Nudeln zum Selbstversuch mit nach Hause nehmen kann. Auch der, ebenfalls von Kamphues gespielte, Teamleiter des Unternehmens „Schnell und Lecker“ bekommt schlussendlich sein Fett ab. Nachdem er den kochkühnen Kollegen Kögel von der Bühne verdrängt hat, um seinerseits mit der Verköstigung eines Fertiggerichts werbemäßig wieder Land zu gewinnen, ist ihm nach Verlesen des Etiketts auf der Dose für Hundefutter selber endgültig der Appetit auf Fast Food vergangen. Köstlich lehrreich, Herr Herl, nur weiter so!
Jede Menge Spaß und frühlingshafte Gefühle vor und auf den bundesweiten Kleinkunstbühnen wünscht Kiki Krebs
Seit Februar 2000 wird in München jährlich die Internationale Kinderkulturbörse veranstaltet, am 8. und 9. April ist sie erstmalig in Mainz-Kastel. Geplant ist, die Börse von jetzt an im zweijährigen Wechsel in beiden Städten anzubieten. Infos gibt es unter
Auf neuen Pfaden www.kinderkulturboerse.net. wandelt auch Anton le Goff. Im April gibt sich der Frauenkenner seinem Publikum bei einem „Blind Date“ die Ehre im Frankfurter Dialogmuseum. Premiere ist am 11.4., weitere Vorstellungen sind für den 13., 14., 15., 20., 21. und 22. April geplant. Infos unter www.anton-le-goff.de.
„Kein Grund zur Veranlassung“ heißt es, wenn Rolf Miller am 9. und 10. April im Neuen Theater Höchst zu Gast ist.
„Du willst es doch auch!“ sagt sich und dem Publikum hingegen Florian Schröder, der Miller am 12. April im Höchster Neuen Theater auf dem Fuße folgt. Infos unter www.neues-theater.de.
2008-03-15 | Nr. 58 |